Kapitel 17

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Einmal rund um das S.H.I.E.L.D.-Gebäude haben wir mit der Hilfe des Hub-schraubers alles abgesucht, doch Steve ist nirgends zu finden. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Und laut Maria, hat sie die Carrier aufeinander schießen lassen, während er noch drauf war. Ich bin so oder so schon sauer genug auf sie, doch diese Aktion hat meine Wut verzehnfacht. Wie konnte sie das tun, hätte sie ihm nicht noch ein paar Sekunden Zeit geben können? Dann ist sie auch noch so dreist und versucht ihn nicht einmal zu retten! Was ist nur los mit ihr? Hat sie ihren Verstand verloren? Und Nick ist auch kein Stück besser als sie. Er hat sich ebenfalls nur um seinen Allerwertesten gekümmert und vermutlich nicht einmal daran gedacht Steve zur Hilfe zu kommen. Dass er es wirklich so drauf anlegt und meinen Zorn schon praktisch heraufbeschwört, hätte ich niemals von ihm erwartet. Mein Bild von ihm muss über all die Jahre hinweg falsch und verdreht gewesen sein, denn von dem Mann, den ich einst kannte, ist nichts mehr übrig. Das einzige, was noch da ist, ist sein nerv tötendes Vatergetue, welches mich schon früher auf die Palme gebracht hat. Er will unbedingt, dass ich mich unter-suchen lasse, obwohl ich nicht einmal an einer einzigen Stelle blute. Ein paar Kratzer und blaue Flecken sind hinzugekommen, doch die sieht man kaum durch die anderen. Meine Prioritäten liegen gerade einzig allein bei Steve sonst nirgends. Und wenn ihm durch Nick und Marias Schuld etwas zugestoßen ist, dann... Sie sollten lieber so weit weg von mir wie möglich. Sam versucht mich zwar zu beruhigen, doch die Tatsache, dass wir ihn nicht finden, lässt mich immer unruhiger werden. Ich kann ihn nicht verlieren, dass darf nicht passieren. Steve ist der einzige, der mir noch geblieben ist. Was soll ich denn nur ohne ihn machen? Ich würde untergehen, wie die Hellicarrier!
Während Sam weiterhin auf mich einredet, springt mir plötzlich ein Gedanke in den Sinn. Wenn er auf dem Carrier war, dann ist er vielleicht im Fluss gelandet und konnte sich ans Ufer ziehen.
„Ich wollte erst einmal dich finden, dann Rogers", versucht Nick sich mit aller Gewalt rauszureden.
„Bete, dass er noch am Leben ist", zische ich und renne an ihm und den anderen Beiden vorbei. Maria sieht mich nur stillschweigend an und Sam versucht mich noch festzuhalten. Jedoch rase ich wie ein Tornado an ihnen vorbei. Wenn ich so schnell wie jetzt renne, bin ich in ein paar Minuten am Ufer, doch wo soll ich anfangen? Der Fluss ist beinahe endlos lang und das Ufer ist vollbewachsen mit Bäumen und Büschen. Ihn zu suchen könnte Stunden dauern und es wird schon bereits dunkel. Ich schüttle meine düsteren Gedanken ab und konzentriere mich auf meinen Weg. Egal ob es hagelt oder schneit, ich werde nicht aufhören ihn zu suchen, bis ich ihn gefunden habe. Dasselbe würde er auch für mich tun.

Am Fluss angekommen, schlage ich mich durch die Äste, die mir weitere Kratzer und Schrammen verpassen. Den Schmerz dabei spüre ich so gut wie gar nicht, meine Konzentration liegt ganz allein bei Steve. Verflucht, wenn ihm etwas zugestoßen ist, dann war alles umsonst. Dann hat HYDRA trotzdem irgendwie gewonnen. Sie dürfen ihn mir nicht weggenommen haben.
„Steve?", rufe ich laut genug, damit man es ein paar Meter weit hören kann. Bitte lass ihn leben.
„Steve!" Nichts bis auf fortfliegende Vögel folgt auf meine Rufe. Ein zweites Mal überstehe ich so eine Situation nicht, das weiß ich genau. Lokis Tod hat mir bereits den Boden unter den Füßen weggezogen, doch Steve war da um mich aufzufangen. Aber wenn er jetzt...wer bliebt mir dann noch? Thor ist weg und bekommt vermutlich nicht einmal mit was hier passiert. Tony und Bruce sind beide nicht sehr feinfühlig und auch nicht an solche Dinge gewohnt, genauso wie Natasha. Nick und Maria sind für mich dann nicht mehr von Bedeutung. Clint hat schon genug eigene Probleme mit seiner Familie und noch hinzu, dass er jetzt vermutlich Arbeitslos ist. Der letzte wäre nur noch Sam, doch ihn will ich nicht belasten. Er wurde unfreiwillig in diese ganze Sache mithineingezogen, das muss ich nicht auch noch mit meiner Anwesenheit fördern. Bis auf Steve bleibt mir also strenggenommen niemand mehr. Ich bin die letzte meiner Art und vollkommen allein. Vielleicht soll es ja so sein, vielleicht ist genau das mein Schicksal – von jedem verachtet zu werden, überall unerwünscht und zum Schluss Mutter Seelen allein. Jeder der mir etwas bedeutet, verlässt mich Stück für Stück. Die anderen versuchen einfach wie gewohnt weiter zu machen, aber ich kann das nicht. So bin ich nicht und so werde ich auch niemals sein. Selbst Loki war so. Egal wer starb, ihn kümmerte es nicht wirklich. Sogar nach Friggas Tod kam er mir wie immer vor, obwohl das die Frau war, die ihn großgezogen hat. Möglicherweise bin aber auch ich die Ursache für dieses ganze Leid. Überall um mich herum sterben die Personen. Auf Asgard wurde mir mehr als klar gemacht, dass ich quasi den Tod herbeiführe. Odin und auch Sif wollten mich vielleicht gerade deswegen aus dem Weg räumen. Sogar Friggas Tod könnte meine Schuld sein. Jeder Tod, der seit New York über uns hereinbrach könnte meine Schuld sein. Auch Lokis...
Meine Hände fangen wieder an zu zittern und meine Wagen werden ganz feucht von meinen salzigen Tränen.
„Bitte Steve, komm zu mir", wispere ich mit verschwommener Sicht. Unbe-merkt habe ich mein Tempo verlangsamt und schlendere ziellos umher. Vorsichtig steige ich über den einen oder anderen Baumstamm, der sich mir in den Weg stellt. Es ist genug. Ich bin am Ende meiner Kräfte und könnte mich jetzt genauso gut in den Sand legen und warten. Ich würde einfach einschlafen und hoffentlich nie wieder aufwachen. Jeder Ort wäre mir lieber, als dieser. Selbst der Planet, auf dem Loki gestorben ist. Er sieht genauso aus wie ich mich fühle. Kein Leben gab es dort, keinen Tag und keine Nacht. Nur Nebelschwarten und Dreck. Hätte ich die Möglichkeit irgendwie dort hinzugelangen, würde ich keine Sekunde verschwenden. Dort könnte ich in Ruhe und Frieden sterben. Hier würde nur irgendjemand versuchen mich zu retten oder zurückzuholen, soviel traue ich Nick zu. Doch dort wäre alles anders und gleichzeitig auch nicht. Hier und da wäre ich allein. Aber im Gegensatz zur Erde wäre ich dort von Stille umgeben. Ruhe, die wie Balsam für meine Seele sein könnte. Ich würde niemanden mehr verletzten, niemanden mehr manipulieren und zu etwas zwingen was er eigentlich gar nicht will. Ich könnte wieder ich selbst sein, das Mädchen, welches ich noch vor eineinhalb Jahren war.
Ein Plätschern im Hintergrund lässt mich plötzlich zusammenzucken. Sofort reagieren meine Sinne und treiben mich wieder schneller vorwärts.
„Steve!", schreie ich laut in die Richtung. Das Plätschern versiegt nicht, sondern wird sogar noch lauter. Da ist jemand, da muss jemand sein! Ich springe erneut über einen modrigen Baumstamm und kämpfe mich durch einen wuchernden Busch. Mit Händen und Füßen schlage ich mich durch das wilde Gestrüpp.
„Lass es ihn sein, bitte." Den letzten Zweig zertrete ich, bevor ich endlich frei bin. Eine Bewegung in meinem Augenwinkel lässt mich zur Seite fahren. Eine tropfnasse Gestalt zieht etwas mühelos an Land. Mein Herz bleibt stehen, als ich den roten Stern auf dem Metallarm erkenne. Meine Füße setzen sich augenblicklich wieder in Bewegung und preschen zu ihm vor. Desto näher ich ihm komme, desto besser erkenne ich, was genau er da ans Ufer zieht.
„Steve!", schreie ich erschrocken und errege seine Aufmerksamkeit. Als Bucky seinen Körper im Sand ablegt, bleibe ich vor ihm stehen.
„Ist er...?", frage ich zitternd. Ich traue mich kaum auf seine Antwort zu warten, doch die kommt so oder so nicht. Er presst einfach seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und bleibt stumm. Ich sinke vor ihm auf meine Knie und konzentriere mich nur noch auf Steves leblosen Körper. Sein Gesicht ist voller Schrammen und offener Wunden. Und das dunkle Auge ist so dick zugeschwollen, dass er es niemals aufbringen würde. Vorsichtig lege ich ihm meine Hand an die feuchte Wange.
„Steve, kannst du mich hören?" Bucky steht felsenfest hinter mir und starrt mich an. Ich ignoriere seinen stechenden Blick in meinem Rücken.
„Steve bitte, du musst aufwachen", flüstere ich verzweifelt. Ich sehe an ihm runter und erkenne erstmals die klaffende Wunde an seinem Bauch. Erschrocken halte ich den Atem an.
„Nein, bitte nicht." Vorsichtig lege ich mein Ohr an seine Brust. Durch seinen Anzug ist es schwer etwas zu hören, doch ein schwaches Pochen erklingt dennoch. Kurz flammt Freude in mir auf, doch die verschwindet wieder sofort, als mir klar wird, dass er dem Tode näher steht als dem Leben.
„Wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen", meine ich an Bucky gerichtet. Mein Blick richtet sich wieder hoch zu ihm, doch dort wo er gerade noch stand ist nichts mehr. Panisch sehe ich um mich und erkenne ihn ein paar Meter weiter weg.
„Bucky!", rufe ich ihm hinterher, aber er reagiert nicht. „Du kannst ihn nicht so einfach zurücklassen, bitte, er ist auch dein Freund!", für eine Sekunde verharrt er in seiner Bewegung. Seine Hände ballen sich zu Fäusten, doch er dreht sich nicht um. Er atmet langsam ein und aus und setzt dann seinen Weg fort.
„Bucky bitte!", schreie ich weiter, aber er bleibt eisern. Er wirft keinen Blick auf mich und den bewusstlosen Steve zurück. Tausende von Tränen strömen meine Wangen hinunter und tropfen auf meinen Anzug. Nein, nein, nein, das kann alles nicht wahr sein. Er darf mir nicht direkt vor den Füßen wegsterben.
„Steve bleib bei mir, hast du gehört? Ich befehle es dir, du darfst jetzt nicht sterben", schluchze ich weiter und greife nach seiner kalten Hand. Verflucht, warum habe ich nicht mein Handy mitgenommen, oder wenigstens ein Funkgerät. Die einzige Möglichkeit ihn zu retten, ist zu gehen. Aber wenn ich ihn jetzt allein lasse... Hier zu bleiben bringt aber auch nichts.
„Ich hole Hilfe, du musst hier bleiben okay? Du darfst jetzt nicht sterben, du bist viel zu weit gekommen um jetzt zu verlieren." Mein ganzer Körper zittert, als ich langsam aufstehe und mich von seiner Hand trenne. So schnell wie es mir gerade möglich ist, laufe ich den Hügel hinauf, in der Hoffnung, dass mir irgendjemand mit einem Handy entgegenläuft.

Das Herumrennen der Ärzte und Schwestern treibt mich beinahe in den Wahnsinn. Nicht einer von ihnen will mir sagen was mit Steve ist. Jeder gibt mir dieselbe Antwort.
„Ich kann Ihnen leider noch nichts zu seinem Zustand sagen."
Meine Finger haben die Lehne des Stuhls so fest umklammert, dass ich schon fast Furchen hineinkratze. Nachdem ein Jogger mir helfen konnte, indem er den Notarzt gerufen hat und bei mir blieb, bis dieser auftauchte, fuhr ich mit Steve ins Krankenhaus. Die Notärzte stellten mir aber tausende von Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Ich war einzig und allein auf Steve fixiert und konnte nicht einmal verstehen, was sie mich eigentlich fragten. Ich hätte sogar fast meine Kontrolle verloren, wenn ich nicht die Hand von Steve fest umklammert hätte. Sein Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde blasser und sein Herz schwächer und schwächer. Das laute Piepsen zertrümmerte mein Trommelfell und trieb immer mehr Tränen aus meinen Augen. Die Männer versuchten mich zu beruhigen, doch ihre Worte halfen nicht. Ich sah an ihren Blicken, dass sie selbst nicht einmal wussten, ob er durchkommen würde. Und allein das reichte schon um mich an meine Grenzen zu treiben.
„Miss sind Sie seine Freundin?", fragt mich plötzlich jemand von der Seite. Ruckartig stehe ich auf.
„Was ist mit ihm, ist er okay?", plappere ich direkt drauf los. Mit angehobenen Händen sieht mich der Arzt an. Er trägt immer noch die grünblauen Kittel, die sie während Operationen tragen müssen.
„Mr. Rogers hat einige Knochenbrüche und seine Schussverletzung hat ihm übel zugesetzt." Augenblicklich bleibt mir die Luft weg.
„A-a-aber er l-lebt doch, oder?", stottere ich. Neue Tränen bahnen sich ihren Weg und lassen mich schneller atmen.
„Ja, ja er ist am Leben und bleibt es auch. Aber wir mussten ihn in ein künstliches Koma versetzen, damit er besser heilen kann." Erleichterung übermannt mich und lässt mich kurz schwanken. „Aufgrund seiner speziellen...Fähigkeiten, wird er schneller heilen und dürfte innerhalb der nächsten Tage wach werden. Er darf sich allerdings nicht zu viel bewegen, das müssen Sie ihm klar machen. Er muss mindestens bis nächste Woche bei uns bleiben." Hastig nicke ich und wische meine Tränen weg. Er lebt...Steve lebt!
„Kann ich zu ihm?", frage ich zitternd vor Freude.
„Natürlich, kommen Sie mit." Der Doc geht voraus und schleust mich durch ein paar Türen, bis er vor einer schließlich stehen bleibt.
„Soll ich Ihnen etwas bringen lassen?", fragt er mit besorgtem Blick. Verwirrt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen.
„Nein, es geht mir gut." Als ich meine Hand auf die Türklinke lege, wird mir bewusst, wie sinnlos das geklungen haben muss. Ich sehe sicherlich furchtbar aus und bin vermutlich so blass wie Steve es vor ein paar Stunden noch war. Ein warmer Luftzug kommt mir entgegen, während ich langsam in das Zimmer eintrete. Hinter mir schließe ich die Tür, damit auch ja keiner auf die Idee kommt hier hereinzuplatzen. Das gleichmäßige Piepsen klingt plötzlich so schrecklich angenehm, wie seine Stimme es tun würde. Mit kleinen Schritten nähere ich mich ihm. Genauso leblos wie am Ufer, liegt er mit geschlossenen Augen im Bett. Sein Gesicht hat ein wenig mehr Farbe und seine Wunden bluten nicht mehr, aber ansonsten macht mir sein Anblick noch so viel Angst wie zuvor. Dass ich ihn jemals so sehen würde, hätte ich mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht gedacht. Ich schiebe mir den Stuhl von der Seite direkt neben sein Bett und lasse mich sinken. Eine meiner Hände lege ich auf seine, darauf bedacht keinen der Schläuche zu entfernen. Die andere lege ich auf seine Stirn. Seine Haut fühlt sich nicht mehr so kalt an wie zuvor, dennoch ist sie nicht annähernd warm. Mit meinen Fingern fahre ich leicht durch seine goldenen Spitzen und zügle mich nicht noch mehr zu weinen. Es geht ihm gut, das ist alles was zählt. Er wird durchkommen. Nichts sehnlicher wünsche ich mir gerade, als dass er seine Lider öffnen würde und mich mit seinen stürmisch blauen Augen ansieht. Ich will wieder in diesem Ozean ertrinken und seine weichen Lippen auf meinen spüren.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was für einen Schrecken du mir eingejagt hast", murmle ich. Das ist alles so schrecklich schief gelaufen. Auch wenn jeder mit einem blauen Auge davongekommen ist, so hätte das nicht laufen dürfen. Ich sehe Steve jetzt schon vor mir, wie er seine Verletzungen abstreitet und so tut als wäre er im besten Zustand. Er mag stärker sein als normale Menschen, aber das heißt nicht, dass er unverwundbar ist. Er fühlt Schmerzen wie jeder andere auch, ob er das nun zugibt oder nicht. Und dass er unter anderen Umständen hätte sterben können, jagt mir genug Angst ein.
„Tu mir das bitte nie wieder an." Ich rutsche ein Stückchen näher zu ihm und senke meinen Kopf auf seinen freien Arm. Meine Finger verschlinge ich mit seinen. Erschöpft von den letzten Tagen fallen mir die Lider zu. Beruhigend wie eine Einschlafmelodie ertönt Steves Herzschlag und lässt mich schnell in einen tiefen Schlaf gleiten.

Guten Morgen meine Lieben,
mit diesem Kapitel wünsche ich euch einen wunderschönen Samstag und einen guten Start ins Wochenende ;)♡

Die letzte Sirene - The Winter SoldierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt