Kapitel 9

1.1K 53 5
                                    

Mein Bett war schon immer mein Lieblingsort. Nicht etwa weil ich faul bin, oder es so kuschlig weich ist. Nein. Ich liebe mein Bett, weil es direkt gegenüber von meinem Fenster steht und mir einen atemberaubenden Blick auf die Sterne bietet. Zuhause sehe ich kaum Sterne, höchstens ein paar vereinzelte am Nachthimmel. Doch hier ist es ein richtiger Sternenhimmel, mit deutlich zusehenden Sternenbildern. In ein paar Stunden dürfte es wieder so weit sein. Die Sterne werden mich vergessen lassen, wenn ich nur lange genug hinsehe. Selbst Loki unter mir schafft es nicht, mir die schrecklichsten Minuten meines Lebens zu nehmen. Die Bilder der geraden Linie auf dem kleinen Bildschirm und der ohrenbetäubende Ton wollen einfach nicht verschwinden. Immer wieder und wieder spielt sich die Szene vor meinen Augen ab.
Meine Tränen sind mittlerweile schon getrocknet. Ich kann nicht sagen ob es möglich ist, aber es fühlt sich so an als wäre mein Speicher für die nächste Zeit aufgebraucht. Ich habe zu viel geweint, irgendwann ist es wohl genug. Jahre lang könnte ich noch weiter weinen und still in meinem Bett liegen, doch das würde keiner meiner Freunde zulassen.
Lokis kreisenden Bewegungen an meinem Rücken würden mich beruhigen, wenn ich nicht in dieser Verfassung währe. Doch gerade ist es mir einfach nicht möglich. Erneut habe ich jemanden verloren und der Gedanke daran, dass ich noch jemanden verlieren könnte, der mir wichtig ist, versetzt mir einen bitteren Stich ins Herz. Wenn Maria oder Clint oder vielleicht Steve etwas zustoßen würde, weiß ich nicht wie ich es schaffen soll diesen Verlust zu überleben. Es geht einfach nicht. Ich bin schwach. Ich bin nicht so abgebrüht wie die anderen. Ich kann nicht einfach mir nichts, dir nichts darüber hinwegkommen und da weiter machen wo ich aufgehört habe.
„Dein Kopf platzt, wenn du nicht ruhe gibt's", murmelt Loki und streicht mir einmal sanft über meine Wange.
„Und wie glaubst du soll ich das anstellen? Ich bezweifle, dass ich jemals wieder an etwas anderes denken kann." Ohne mir direkt zu antworten, zieht er die Decke fester um uns und drückt mich näher an seine Brust. Sein heißer Atem an meiner Schläfe lässt meine kurzen dünnen Strähnchen fliegen. Als wäre sie ein Teil von mir, lässt er seine Hand an meiner Wange ruhen.
„Das hier wird vorerst mein letzter Besuch", platzt es aus ihm heraus, so als hätte er es schon die ganze Zeit unterdrückt. Er wartet nicht auf eine Antwort, sondern spricht weiter. „Dafür verlange ich allerdings etwas." Hellhörig sehe ich zu ihm auf.
„Ich will dich nie wieder so sehen", fängt er an und lässt mich mit seinem Zeigefinger auf meinen Lippen wissen, dass er noch nicht fertig ist. „Ich werde dich nicht länger aufsuchen, bevor ich nicht sicher bin, dass ich dich bei mir behalten kann." Seine Smaragde funkeln mich an. Ich erkenne eindeutig das Laster, welches seine Worte tragen. Er wünscht sich seine Worte zurücknehmen zu können, doch er verbietet es sich selbst.
„Und wenn du es nicht schaffst?", frage ich und stütze mich mit den Armen an seiner Brust ab, um in seinen Smaragden zu versinken. Immer noch streicht seine Hand meine Wange entlang und bleibt schließlich an meinem Kinn hängen.
„Mir bleibt keine Wahl, genauso wenig wie dir." Kaum spürbar platzieren seine Lippen einen Kuss auf meine Nasenspitze.
„Willst du mir nicht sagen auf was du warten musst, was so gefährlich ist?" Er sieht mich still an. Was ist es nur, dass ihm im Weg steht?
„Damit werde ich dich nicht belasten, mein Engel. Du sollst dir nicht auch noch darüber deine hinreißenden Kopf zerbrechen", antworte er bedrückt.
„Wie kann ich mir sicher sein, dass du nicht doch eines meiner Hirngespinste bist?" Mittlerweile fällt es mir selbst kaum noch auf, was real ist und was nicht.
„Ich bin es", versichert er mir und vereint seine Lippen mit meinen. Loki legt beide Hände an meine Wangen und zieht mich näher zu ihm heran. Der Kuss fühlt sich anders an, nicht so wie sonst. Eher wie ein Abschied. Unsere Lippen trennen sich wieder, aber Loki duldet es nicht, dass sich Platz zwischen uns staut. Ich bin ihm so nahe, dass ich keine andere Möglichkeit habe, als ihm in seine funkelnden Smaragde zu sehen.
„Wie lange glaubst du wird es dauern, bis wir uns wieder sehen?" Meine Stimme klingt plötzlich so zittrig, als würde ich jeden Moment wieder in Tränen ausbrechen, doch meine Augen bleiben trocken. Seine Daumen streichen im Einklang miteinander über meine Wangenknochen und halten mich nah bei ihm.
„Ich weiß es nicht, mein Engel. Aber ich werde so schnell machen wie ich kann, das verspreche ich dir." Seine Augen strahlen Entschlossenheit aus und ich kann nicht anders als ihm zu glauben.
„Was passiert dann?", will ich nach ein paar Minuten Stille wissen. Unsere Gesichter haben sich voneinander entfernt, jedoch nicht so weit, dass ich seinen Atem nicht mehr spüren kann.
„Ich werde dich holen kommen." Die Wahrheit in seinen Worten ist nicht zu überhören. Er meint es ernst.
„Und wohin?", frage ich weiter. Wo könnten wir nur ungestört leben? In Asgard? - Sicher nicht. Und hier sowieso nicht. Wie stellt er sich das denn nur vor?
„Alles zu seiner Zeit, mein Engel", murmelt er. Ich gebe mich geschlagen, da er mir es ohnehin nicht sagen wird, bevor er es von sich aus als richtig empfindet. Mit dem Kinn an meiner Hand abgestützt sehe ich ihn eindringlich an. Wenn das wirklich unsere letzte Begegnung für eine lange Zeit sein wird, muss ich mir jedes Detail einprägen. Wie lange wird das überhaupt dauern? Wochen? Monate? Jahre? Bei dem Gedanken Loki für etliche Jahre nicht mehr wieder zu sehen, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Ich denke wirklich zu viel nach. Wer weiß, vielleicht ist er ja nur eine Einbildung oder ich träume. Eine Gänsehaut zieht sich zusätzlich noch über meinen Körper. Solange ich die einzige bin, die ihn sehen kann, werde ich mir nie sicher sein können. Egal wie echt sich alles anfühlt. Um wenigstens noch ein paar Minuten mit ihm genießen zu können, lege ich meinen Kopf in die Mulde zwischen seinem Hals und Schlüsselbein. Zufrieden schließe ich die Augen und lasse ausnahmsweise keine düsteren Gedanken meine Gefühlswelt kontrollieren. Loki legt seine Arme um mich und lehnt seinen Kopf gegen meinen. Wenn es doch nur immer so unbeschwert sein könnte.
„Versprich mir, dich nie wieder so gehen zu lassen. Ich kann mich nur von dir fernhalten wenn du dich nicht selbst in Gefahr bringst", bittet er mich mit ruhiger Stimme.
„Das habe ich nicht", verteidige ich mich sofort und sehe ihn trotzig an.
„Ach nein, und was ist dann das?", fragt er während er über meine Platzwunde an der Stirn streicht. Kurz zucke ich zusammen. „Oder diese ganzen Kratzer." Der Ärmel meines Pullis ist so weit hochgerutscht, dass man eine perfekte Sicht auf die Kratzer und Blutergüsse hat. Verlegen ziehe ich ihn zurück.
„Ich kann dich vor jeder Gefahr schützen, aber nicht vor dir selbst", meint er und legt seine Finger unter mein Kinn, so dass ich ihn ansehen muss. „Sag es."
Ich beiße mir kurz auf die Unterlippe, bevor ich ihm antworte.
„Ich werde es versuchen, aber versprechen kann ich es dir nicht." Seufzend zieht er die Luft ein. „Wenn ich noch jemanden verliere, dann..." Meine Stimme versagt und ich schaffe es nicht länger den Smaragden Stand zu halten.
„Das hast du nicht", flüstert er so leise, dass ich es beinahe überhört hätte. Verwirrt sehe ich wieder zu ihm hoch. Loki schüttelt nur den Kopf und setzt sich auf. Ich tue es ihm automatisch gleich und sehe ihn weiterhin an.
„Du bekommst Besuch", sagt er anstatt mir seine vorherigen Worte zu erklären. Schweigend steht er auf und mustert mich ein letztes Mal, bevor er mir einen Kuss auf die Stirn drückt. Eilig stehe ich auch auf und will ihn gerade am Gehen hindern, als plötzlich die Tür unten ins Schloss fällt.
„Zoe, bist du hier?", ruft die Stimme von Steve unten. Überrascht sehe ich zu Loki. Missbilligend sieht dieser den Flur hinunter.
„Ja, hier oben", rufe ich zurück und passe eine Sekunde nicht auf. Schneller als ich hätte reagieren können hat sich Loki in Luft aufgelöst und ist mal wieder verschwunden. Enttäuscht sehe ich auf den Fleck, wo er gerade noch stand.
„Zoe, ist alles okay?", fragt Steve mit erschrockenem Unterton. Vor mir bleibt er im Türrahmen meines Zimmers stehen und sieht auf meine blutenden Knie. Die Scherben des Bilderrahmens haben sich scharf durch meine Hose gebohrt und eine blutige Spur hinterlassen. Loki hat so gut es ging alles verarztet und die Splitter rausgezogen, aber die getrockneten Flecken lassen es schlimmer aussehen als es ist.
„Das ist nichts, ich musste mich nur abreagieren", erkläre ich in der Hoffnung er lässt es auf sich beruhen. Skeptisch sieht er mich an und fuchtelt unterdessen mit seinen Händen herum. Erstmals fällt mir seine Kleidung auf und wie fertig er eigentlich aussieht.
„Was ist mit dir passiert?" Normalerweise trägt Steve solche Sachen nur zum Joggen, aber diese Klamotten kommen mir keines Wegs bekannt vor.
„S.H.I.E.L.D. hat mich angegriffen", antwortet er gepresst.
„Was?" zische ich und sehe ihn mir nun genauer an. Eine dicke Dreckschicht hat sich auf sein Gesicht gelegt und sein Haar ist so wirr, als wäre er gerade erst aufgestanden.
„Das erkläre ich dir später, aber zuerst musst du für mich diesen Stick entschlüsseln", sagt er und hält mir einen kleinen USB-Stick vor die Nase. „Natasha sagte, wir hätten neun Minuten, bevor ein S.H.I.E.L.D.-Team hier wäre, sobald wir die Dateien abrufen." Zögernd nehme ich Steve das Ding aus der Hand und betrachte es. „Wir dürfen keine Zeit verlieren, Zoe. Du musst herausfinden was auf dem Stick ist." Ich bin zwar nicht die beste was das Hacken angeht, aber ein paar Dinge habe ich mir von Maria abgekuckt. Sie dachte immer ich würde sowieso nicht aufpassen, weshalb sie es nicht für nötig hielt den Raum zu wechseln.
„Glaubst du, du kannst das?", fragt er sicherheitshalber.
„Ich kann's versuchen", antworte ich ihm. So ein S.H.I.E.L.D.-Ding zu durchsuchen ist wirklich keine leichte Sache. Tausende von Sicherheitsprogrammen muss man knacken oder umgehen und das innerhalb von neun Minuten zu schaffen wäre eine Meisterleistung!
„Ich zieh mich schnell um", informiere ich ihn noch schnell. „Den Gang runter rechts, ist ein Arbeitszimmer, da müsste noch ein Laptop sein." Steve nickt kurz und lässt mich allein. Nochmal betrachte ich den Stick. Was will Steve von dem Ding wissen? Dieser Gedanke muss noch ein paar Minuten warten. Schnell nehme ich mir die letzten Sachen, die ich hier vergessen habe und ziehe mich um. Mit den frischen Klamotten an, folge ich Steve in Nicks altes Arbeitszimmer. Dieses Zimmer habe ich selten betreten. Nick wollte nie, dass ich ihn bei der Arbeit störe, geschweige denn, dass ich etwas davon mitbekomme. Er hat mich schon immer von diesen Dingen abgeschottet. Privates und Berufliches getrennt.
„Hast du ihn?", frage ich Steve als ich das Zimmer betrete.
„Ja, hier", antwortet er und reicht mir schnell den silbernen Laptop. Ich setze mich auf das kleine Sofa und klappe den ihn auf. Sofort fährt er hoch und ist innerhalb weniger Minuten startklar.
„Neun Minuten?", hake ich nochmal nach, bevor ich den Stick hineinstecke.
„Du musst dich beeilen", entgegnet Steve und setzt sich zu mir. Ohne weiter groß darüber nachzudenken, stecke ich den Stick ein. Augenblicklich springen Fenster auf und zeigen verschiedene Sachen an. Kritisch sieht Steve auf seine Uhr. Hektisch tippe ich auf den Tasten herum und versuche irgendetwas zu entschlüsseln, werde aber ständig wieder abgeblockt.
„Kriegst du es hin?"
„Nein, eine KI-Software blockiert mich und ändert sich ständig, bevor ich etwas finde."
„Kannst du sie austricksen?"
„Ich glaube nicht, sowas habe ich noch nie gesehen", murmle ich stirnrunzelnd. „Aber ich könnte herausfinden von wo aus sie herkommen. Maria hat mir mal ein Programm gezeigt mit dem ich das einfach rauskriegen kann, egal welches Sicherheitsprogramm drauf ist." Binnen weniger Klicks sucht das Programm auch schon nach dem Standort.
„Hast du einen Wagen ohne ein S.H.I.E.L.D.-Zeichen?", fragt er mit einem weiteren Blick auf seine Uhr.
„In der Scheune müsste einer stehen." Hoffentlich ist es nicht weg. Das piepsende Geräusch des Laptops zieht meine Aufmerksamkeit zurück.
„Wheaton, New Jersey, kennst du das?", frage ich irritiert.
„Ja, von früher. Ich wurde dort ausgebildet." Steves Blick liegt starr auf dem blinkenden Fleck.
„Bis heute Abend sind wir dort", sage ich und hole ihn aus seinen Gedanken zurück. Er nickt nur und steht auf. Ich tue es ihm gleich und ziehe den Stick aus dem Laptop. Sicher verwahre ich ihn in meiner Hosentasche.
„Wir haben noch drei Minuten, bevor sie hier auftauchen." So schnell wir können laufen wir zur Scheune und finden den schwarzen kleinen Wagen dort. Die Schlüssel nehme ich vom Haken am Eingang und werfe sie Steve zu. Er ist momentan definitiv der geeignetere Fahrer.

Hey meine Lieben,
jetzt habe ich es endlich geschafft dieses Kapitel fertig zu schreiben :D Und dann sogar noch überpünktlich um 0:00 Uhr xD
Dieses Wochenende kommt eventuell noch das 10. Kapitel, aber ich bin mir noch nicht so sicher ob ich das schaffe. Naja ihr werdet es ja sehen.
Ich hoffe es hat euch gefallen :) ♡

Die letzte Sirene - The Winter SoldierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt