Lone Reapers

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Kaum umfing mich die kühle Nachtluft wieder, trat ein ungutes Ziehen in der Magengegend ein. Ich sah die zwei Männer an, die Leah umgaben und offenbar in ein lockeres Gespräch verwickelt waren, und wusste, dass das niemals unkompliziert werden würde. Eine Welle von Mitleid mit Leah und ihren unberechenbaren Gefühlen überkam mich, sodass sich mein Pflichtgefühl als beste Freundin in mir regte. Ich musste sie zumindest vor diesen Typen beschützen, wenn ich ihr ein gebrochenes Herz schon nicht ersparen konnte. Doch alleine die Vorstellung, wie ich gegen einen von diesen sicher dreißig Zentimeter größeren Kerlen kämpfe, zauberte mir ein bitteres Lächeln auf das Gesicht. Ein Kontrollgriff an meine Jackentasche. Mein Pfefferspray war noch da.

Dieser Luke rauchte eine Zigarette, während sein Handy kurz sein Gesicht erleuchtete, und Leah Trey förmlich im Gesicht klebte.

Ich warf meine beste Freundin achtlos mit ihrer Jacke ab.

"Was ist jetzt?", sagte ich unwillig. Hierzubleiben wäre dumm. Schlafen konnte ich nicht, wegen des Lärms und wegen der Tatsache, dass sich Leah in den Händen einer unberechenbaren Motorradgang befand. Feiern wollte ich hier nicht mehr, weil Logan es sicher nicht bei nur einem Versuch lassen würde.

"Du fährst bei Luke mit", sagte Trey freundlich. Sein Bruder warf die Zigarette zu Boden und trat sie aus.

"Mitfahren?", wiederholte ich verwundert. Ohja, richtig. Motorradgang gleich Motorräder. Verstanden.

Sie wandten sich alle drei zum gehen, als hätten sie sich abgesprochen und ich hetzte hinterher. Im schwachen Licht einer Laterne las ich den verschnörkelten Namen der Gang auf den Patches der Kutten. Lone Reapers. Was für ein fröhlicher, hoffnungserweckender Name.

"Also, betrunken war sie witziger", teilte Luke Leah und Trey mit. Er tat es mit voller Absicht so, dass ich es auch hören musste.

Ich knirschte mit den Zähnen. Das hatte ich schon lange nicht mehr getan. Und wenn, dann tat ich es nur wenn ich auf hundertachtzig war.

Leahs erster Freund war Justin gewesen. Das alleine sagte alles. Justin und sie waren damals dreizehn. Als nach zwei Monaten alles vorbei war, hatte ich ein paar Jahre Ruhe. In der High School gab es dann Taylor. Dieser Typ hatte Eltern, die locker so alt waren wie meine Großeltern. Er trug immer diese hässlichen Pullunder und es war mir ein Rätsel, was Leah an seiner feuchten Aussprache und den immerzu besserwisserischen Kommentare fand. Das war Gott sei Dank nach fünf qualvollen Monaten vorbei. Auf dem College ließ sie die Sau raus. Da gab es den Typen, dessen Namen ich vergessen hatte, weil er schlichtweg so unbedeutend und nichtssagend war, dass ich nur wusste, wie froh ich war als er endlich entfernt worden war. Dann Zane, meiner Meinung nach der optisch ansprechendste bislang, doch auch der untreuste. Sie fand nach drei Monaten heraus, dass er neben ihr noch so um die fünf anderen Liebschaften hatte und beendete das Theater. Zum Schluss war da Larry. Er war normal. Er war nett. Und er servierte sie ab. Nach einem Jahr Beziehung, in der sie durchgehend mit der rosaroten Brille durch die Gegend gelaufen war. Wie oft hatte ich zu hören bekommen, Larry sei der Mann ihrer Träume. Gebildet, witzig und gutaussehend. Man sollte glauben, sie hätte ihren Maßstab hochangesetzt, doch dann blickte ich zu Trey, der in dieser Sekunde den Motor seiner Höllenmaschine aufheulen ließ.

Luke hielt mir mit Engelsgeduld einen Helm hin. Wie lange er das schon tat, wusste ich nicht. Ich lief augenblicklich rot an und nahm den Helm entgegen. Etwas umständlich, und möglichst ohne blank zu ziehen, stieg ich hinter ihn auf das Motorrad. Mein Herz klopfte bis zum Hals und ich suchte Halt mit den verdammten, hohen Schuhen und meinen kleinen Händen.

"Halt dich an mir fest", wies mich Luke an und startete den Motor. Ich klammerte mich erschrocken an ihn. Meine erste Fahrt auf einem Todesgefährt. Hoffentlich bauten wir keinen Unfall, denn die dünne Nylonstrumpfhose würde garantiert nichts vermeiden. Ein Ruck ging durch die Maschine und Luke fuhr los. Sein Bruder war bereits außer Reichweite und das ließ er offenbar nicht auf sich sitzen. Verkrampft drückte ich meine Arme um seinen Oberkörper, was mir beinahe nicht möglich war. Die Luft, die um meine fast nackten Beine und mein halb freiliegendes Gesicht peitschte, brachte meinen Körper zum kribbeln. Ich presste meinen Kopf gegen Lukes breites Kreuz und betete still zu Gott, dass ich mich in zehn Minuten genauso lebendig fühlte.

Nicht nichts...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt