Stanki

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"Einen besonders herzlichen Glückwunsch an unsere bislang jüngste Studentin", verkündete die untersetzte Direktorin, "Miss Jane Steinke-Scott."

Ich hasste es, wie sie aus meinem Nachnamen ein „Stanki", ausgesprochen klang es wie „Stan-Kee" , machten. Ich traf selten jemanden, der den Namen richtig aussprach. Ganz zu schweigen von meinem Vornamen, weshalb dieser über die Jahre einfach zu Jane wurde.

Ihre schulterlangen grauen Haare gerieten kurz aus ihrer bombenfesten Position, als sie die Schultern hochzog und blinzelnd auf mein Zeugnis sah. Darauf stand mein richtiger Name, Jana.

Ich war mit sieben Jahren nach Amerika gekommen. Anschluss an den Unterricht zu finden war mir wesentlich leichter gefallen als an die sozialen Strukturen in den Schulen. In Deutschland hatten Mum und Dad mich selbst unterrichtet, daher wurde ich in Amerika neu eingeordnet, was meine schulischen Leistungen anging, und man stellte fest, dass ich schon weiter mit dem Stoff war, als die anderen in meinem Alter. Womöglich trug der Altersunterschied bedeutend dazu bei, dass ich nie wirklich dazu gehörte.

Ich erklomm die Stufen mit klopfendem Herzen und nahm mein Abschlusszeugnis lächelnd entgegen. Ich war ihr dankbar, dass sie sich versprochen hatte. Sie murmelte eine Entschuldigung, ohne das perfekte Lächeln zu verlieren. Ich erwiderte es und zuckte mit den Schultern.

In dem Meer von Abschlusshüten entdeckte ich nur wenige bekannte Gesichter. Von meinen Eltern, meiner besten Freundin und meinem Bruder entdeckte ich keine Spur.

„Stanki!", jubelte Logan in der ersten Reihe. Ich verdrehte die Augen und versuchte nicht allzu genervt auszusehen. Er war einer von den coolen Kids. Dem alles in den Schoß fiel. Gute Noten, reiche Eltern und blendendes Aussehen. Er hatte es sich zur Hauptaufgabe gemacht, mein Leben etwas unerträglicher zu machen.

Logan war der Grund, weshalb man mich hier grundsätzlich Stanki nannte. Doch das war jetzt vorbei, diesen Entschluss hatte ich gefasst, als ich mich einer Austauschstudentin mit meinem ungeliebten Spitznamen vorgestellt hatte und sie sofort wusste, wer ich war.

Ohne große Unfälle marschierte ich von der Bühne. Steinke-Scott war nicht einer der letzten Namen, daher folgten noch etliche im Sekundentakt.

Leah Coleman, meine beste und fast schon einzige Freundin, hielt schon lange grinsend ihr Zeugnis in den Händen. Sie umarmte mich stürmisch und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Nach ihr reihten sich Mum, Dad und mein Bruder auf, die mich umarmten. Tommy, mein älterer Bruder, kniff mir in die Wange.

„Jetzt hast du auch mal was vollbracht", witzelte er. Ich versuchte ihn böse anzustarren, doch es gelang mir nicht. Meine Wangen schmerzten schon von dem ganzen Grinsen, doch ich konnte es nicht abstellen. Wenn man sein Collegezeugnis in der Hand hielt musste man einfach glücklich sein.

Leahs Eltern gratulierten mir ebenfalls. Nach der Zeugnisausgabe hielt der Jahrgangsbeste eine Rede, dann die Stufensprecherin und anschließend verabschiedete uns die Direktorin noch einmal in einer vermutlich nicht einmal selbstgeschriebenen Rede.

Den Sektempfang verkürzte ich, indem ich Tommy von seinem alten Prof weglotste und mit Leah gemeinsame Sache machte, damit unsere Eltern endlich in die Autos stiegen und zu diesem schrecklich schicken Restaurant fuhren.

Die dunkelblaue Robe verstaute ich im Kofferraum des SUVs, bevor wir das Restaurant betraten. Dad fachsimpelte mit meinem Bruder und Bob, Leahs Vater, über den Aktienmarkt, Mum war mit Muriel, Leahs Mum, in einem Gespräch über die Zukunft ihrer Töchter vertieft während Leah und ich fröhlich plaudernd, eingehakt, durch die Glastür des „Exquisit" schritten.

Wir nahmen unsere Plätze ein und schon kam ein Kellner, der uns die Speisekarten brachte.

Unseren Dads fielen fast die Augen aus den Köpfen, als sie die Preise sahen. Mum fing schon fleißig an das Französische zu übersetzen und war ganz in ihrem Element. Leah und ich starrten sie etwas überfordert an, da wir mit den Begriffen wenig anfangen konnten.

Nicht nichts...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt