Das Tongariro Crossing

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Das Tongariro Crossing

Nach einer halbwegs erholsamen Nacht und einem schnellen Müsli-Frühstück wartete ich um kurz vor 7 auf Susan und Lasse, die dann kurze Zeit später mit verschlafenen Gesichtern und nicht allzu viel Elan zu mir stießen.

„Wie sieht es aus, Leute? Ihr scheint ja heute Morgen noch kraftloser zu sein als ich. Na, hoffentlich schaffen wir es überhaupt bis zum Endpunkt des Tracks, da wir ansonsten mit einem Hubschrauber ausgeflogen werden müssten. Es sei denn Ihr wollte dort oben übernachten."

„Mach Dir keine Sorgen" gab Lasse gähnend zurück „wir Wikinger haben schon ganz andere Herausforderungen bestanden."

„Und ein kanadisches Provinzmädchen wie ich, ist es von Kindesbeinen gewohnt lange Strecken zu Fuß zu laufen. Ich mache mir da eher Sorgen um Dich als Stadtmensch aus einem hoch industrialisierten Land wie Deutschland es nun mal ist", antwortete Susan mit einem Augenzwinkern.

„Wusstet Ihr eigentlich, dass ein Drittel der Fläche Deutschlands mit Wald bedeckt ist? Und außerdem sind wir Deutschen doch immer als ewig rennende und niemals aufgebende Kämpfer bekannt. Denkt doch nur mal an die Förster-Brüder", entgegnete ich stolz.

Sie schauten zunächst sich und dann mich fragend an. Ok, die Förster-Brüder waren vielleicht in Norwegen und Kanada nicht so richtig bekannt, es sei denn man interessierte sich wirklich extrem für Fußball. Daher ging ich nicht weiter auf ihre fragenden Blicke ein und unterließ es ihnen mehr über diese beiden knallharten Verteidiger beim VfB Stuttgart und in der Nationalmannschaft in den 1980er-Jahren zu erzählen. Sie konnten sich bestimmt auch so denken, was ich ungefähr gemeint haben könnte.

Der Bus der uns abholte war recht klein und bot nur maximal 15 Leuten Platz. Der Fahrer schien zuvor bereits einige Hostels abgeklappert zu haben, da wir die letzten freien Plätze besetzten. Da wir uns noch immer in der Hochsaison befanden und das Wetter sehr viel versprechend aussah, mussten wir mit der Zahl von 700 Wanderern rechnen, die das Tongariro Crossing maximal pro Tag angehen dürfen. Das neuseeländische Department of Conservation, das die notwendigen Genehmigungen erteilt und über das Wohl der Flora und Fauna im Tongariro Nationalpark wacht, hat diese strikten Auflagen erteilt, da es sonst zu befürchten stünde, dass sich die Wanderer im Hochsommer wie die Ameisen auf einer Ameisenstraße durch das Gelände bewegten und sich mehr und mehr von den befestigten Wegen entfernen würden, um wenigstens kurzzeitig das Gefühl wirklicher Freiheit, Einsamkeit und Wildnis zu verspüren.

Der Bus brachte uns an den Startpunkt der Wanderung an der so genannten Mangatepopo Hut, einer Schutzhütte für Wanderer. Als wir dort angekommen und ausgestiegen waren, sahen wir, dass wir nicht die erste Gruppe waren, die sich für diesen Tag die Bezwingung des großartigen Tongariro Crossings vorgenommen hatten. Einige Wanderer nutzen bereits die Gelegenheit sich noch einmal zu erleichtern, da das unterwegs nicht überall möglich sein würde. Unter dieser Gruppe befanden sich auffällig viele Frauen, die in Zweigruppen in Richtung der dafür vorgesehenen Örtlichkeiten zogen.

Die anderen Wanderer schienen sich völlig unterschiedliche Strategien für diese anstrengende Wanderung zurecht gelegt zu haben. Während die einen das Vorhaben gleich am Anfang mit einer Pause und der Aufzehrung eines Teils ihres Proviants begannen und es offensichtlich ganz ruhig angehen wollten, schulterten die anderen, kaum dass sie den Bus verlassen hatten, ihre Rucksäcke und stapften forschen Schrittes los. Mir war es ganz recht, dass dem so war, da sich so das Feld der Wanderer ein bisschen entzerren würde. Ich hatte wahrlich keine Lust 19 Kilometer im Gänsemarsch durch diese wunderschöne Landschaft zu marschieren.

Lasse und ich entschlossen uns, noch einmal für kleine Weltenbummler zu gehen, da man nie wissen konnte, wann man dazu die nächste Gelegenheit bekommen würde. Zu unserer großen Überraschung schloss sich Susan uns nicht an, als wir uns auf den Weg zu den Örtlichkeiten machten. Sie sagte, dass sie stattdessen die Wanderkarte studieren wollte, um sich noch einmal einen Überblick über die zu erwandernde Strecke zu machen. Sie schien wirklich Respekt vor der vor uns liegenden Herausforderung zu haben.

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