Die Schamanin
Natürlich wollten alle beim Barbecue einen besonders guten Eindruck machen und so wurde geduscht und gefönt was das Zeug hielt. Leider standen uns dafür nur 2 Duschkabinen zur Verfügung. Da diese jeweils auch noch nach Männlein und Weiblein getrennt waren, mussten wir 7 Männer in der gleichen Zeit mit dem Duschen und Erfrischen fertig werden wie unsere 5 weiblichen Expeditionsteilnehmer. Aber angesichts der Tatsache, dass es manche Frauen mit der Körperhygiene teilweise sehr genau nehmen, während einige Männer eher zur Katzenwäsche neigen, sah ich darin kein größeres Problem. Und tatsächlich waren beide Gruppen am Ende fast zeitgleich fertig. Bei Marielle hatte ich den Eindruck, dass Sie allein schon fürs Schminken so viel Zeit benötigt haben musste wie 2 Männer zusammen für ihre gesamte Körperpflege. Aber dafür schwebte sie auch engelsgleich in einem weißen Hemd und einem körperbetonten und relativ kurzen Jeansrock auf die Veranda und versprühte eine Aura, die nicht nur mich gefangen zu nehmen schien. Ich konnte jedenfalls deutlich erkennen, dass auch Wolfgang und Ricardo einen bewundernden Seitenblick auf sie riskierten und sich kurzzeitig nicht mehr so recht ihren Gesprächspartnern zu widmen schienen als sie angeflogen kam. Nur die unvermeidlichen Flip Flops störten ein wenig den bleibenden Eindruck, den sie bei uns Männern zu schinden wusste. Ihr Knöchel war noch deutlich geschwollen und so zog sie es vor sich auf eine der Bänke an dem riesigen Tisch zu setzen, der sich unter dem noch imposanteren Baum befand. Der Tisch war quadratisch und an jeder seiner Seiten konnten mindestens 4 Leute sitzen. Sofort kam mir das Bild von den bereits erwähnten Galliern in den Kopf, die am Ende jedes ihrer Abenteuer immer eine tolle Fete unter freiem Himmel zu feiern pflegten. In unserem Fall wünschte ich mir, dass Ken die Rolle von Troubadix spielen würde. Ich hätte sogar die Aufgabe übernommen, ihm ein schönes Plätzchen auf einer gemütlichen Astgabel zu suchen, wo er den ganzen Abend gefesselt und geknebelt verbringen könnte. Aber da spielte mir wohl mal wieder meine blumige Fantasie einen gehörigen Streich.
Wenn man vom Teufel spricht, hat er ja gemäß eines alt bekannten Sprichwortes die unangenehme Angewohntheit alsbald auch zu erscheinen. Und so trat dann auch Ken auf die Veranda hinaus und zeigte sich ebenfalls wie aus dem Ei gepellt. Ganz den Grundsätzen des Partnerlooks gehorchend hatte auch er ein weißes Hemd angezogen, das allerdings nicht so perfekt knautschfrei war wie das seiner von uns allen Angebeteten. Und statt des Jeansrockes hatte er auch lieber die bewährte Levis 501 aus dem Rucksack gezogen. Ich musste neidlos anerkennen, dass er rein optisch wohl den Titel des Mr Barbecue gewonnen hätte. Aber gut, dass bei den Frauen ja auch noch die inneren Werte zählen. Er setzte sich jedenfalls gleich zu seiner Barbie und schloss sie gewohnt schraubstockartig in seine Arme, so dass gar kein Zweifel entstehen konnte, wer an diesem Abend der Platzhirsch sein würde.
Nach uns nach kamen auch alle anderen nach draußen auf die Veranda und ich war wie so oft überrascht, welch tolle Outfits und noch dazu in einem nahezu faltenfreien Zustand manche Backpacker aus ihren wenigen Habseeligkeiten zu zaubern vermochten. Lucys Outfit sprang mir besonders ins Auge, weil es mit seinen vom gelben über das orange ins rot-grüne changierenden Farbakzenten besonders ins Auge stach. Dazu kam dann noch ihre poppige Haarfrisur mit den blondierten Haaren. Aber irgendwie passte all das wirklich zu ihr, weil sie sich ohnehin keine großen Gedanken über die üblichen Konventionen zu machen schien, die einer Frau ihres Alters sicher kein solch farbenfrohes Auftreten gestatten würden. Ich fand es jedenfalls toll, dass sie nicht so mausgrau daher kam wie viele ihrer Altersgenossinnen und sie wirkte dabei auch absolut authentisch.
Phil trat als letzter aus unserer beschaulichen Hütte heraus und machte sich ohne große Umschweife daran, den Grill in Gang zu setzen. Da es sich um einen der in Neuseeland weit verbreiteten Gasgrills handelt, dauerte es nicht lange bis die ersten Steaks auf dem Grillrost landeten. Min und Sej gesellten sich gleich zu ihm und ließen sich von ihm in die Geheimnisse des perfekten Grillvorgangs einwiesen, der es vorsah, das man das Steak während des Grillens nur ein einziges Mal wendete. Natürlich beließ er es nicht bei dieser relativ weit verbreiteten Binsenweisheit sondern schickte gleich eine ganze Batterie von weiteren Tipps hinterher, die meiner Meinung nach nicht alle ernst gemeint sein konnten. Min uns Sej schienen jedenfalls ganz wissbegierig zuzuhören und an ihrem immer wieder aufkommenden Gelächter konnte ich erkennen, dass sie ihm auch nicht alles abkauften.
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The Big OE- Begegnungen in Neuseeland
AdventureThe Big OE ist in Neuseeland ein geflügeltes Wort und steht für die mehrmonatige Auslandreise mit entsprechenden Erfahrungen und Erlebnissen, die jeder Neuseeländer mindestens einmal im Leben unternehmen sollte, bevor er sich endgültig in der idyll...