Ein aufschlussreicher Abend
Das kleine, chinesische Restaurant, von dem mir Timea so sehr vorgeschwärmt hatte, war in der Tat ein guter Tipp. Schon als wir es betraten, stellte sich bei mir ein gutes Gefühl ein, das darauf beruhte, dass es sehr gemütlich eingerichtet war. Die Einrichtung wirkte sehr authentisch chinesisch, so dass man sich umgehend ins Reich der Mitte versetzt fühlte. An der Wand hingen viele Bilder von chinesischen Landschaften und einige Familienbilder. Überall standen Souvenirs aus China herum, die ebenfalls nicht den Eindruck erweckten aus einem Großhandel für die typische Plastikkultur zu stammen, die ich leider aus vielen chinesischen Restaurants in Deutschland kannte. Vielleicht waren die Besitzer nicht bereits in Neuseeland geboren worden sondern als echte Einwanderer hierher gekommen und hatten einige Erinnerungsstücke an die alte in ihre neue Heimat mitgebracht.
Das Restaurant war um diese Uhrzeit noch nicht besonders gut gefüllt. Außer uns befanden sich dort nur 2 andere Pärchen, die sich jeweils ans Fenster gesetzt hatten. Da wir uns Ende April aber im neuseeländischen Herbst befanden, war ich nicht weiter verwundert, dass der Laden relativ leer war. Die Hauptsaison war definitiv vorbei und so ging es auch in Picton deutlich beschaulicher zu. Timea durfte natürlich unseren Tisch aussuchen und entschied sich ebenfalls für einen Platz am Fenster von wo aus man den Blick auf den pittoresken Hafen genießen konnte.
Als wir uns hingesetzt hatten und die uns von der Bedienung gereichten Speisekarten zu studieren anfingen, musste ich auf einmal an mein Abendessen in Auckland mit den beiden Engländerinnen Karen und Sue denken. Ganz unwillkürlich musste ich schmunzeln, als ich an die Gegebenheiten dieses Abends kurz nach meiner Ankunft in Neuseeland denken musste. Gut, dass wir uns dieses Mal nicht in einem indischen Restaurant befanden. Nach allen Erfahrungen, die ich bisher in chinesischen Restaurants in verschiedenen Ländern gemacht hatte war nicht davon auszugehen, dass ich mir eine ähnlich scharfe und schweißtreibende Speise wie damals in Auckland aussuchen würde. Und meine Portion Peinlichkeit mit samt eines hochroten Gesichts hatte ich für diesen Abend ja bereits an der Rezeption erlebt. Es konnte also nur besser werden.
Wir bestellten jeweils eine Suppe als Vorspeise und ein Tsingtao-Bier. Diese Biermarke war mir schon aus diversen Besuchen bei meinem Lieblingschinesen in Bielefeld bekannt. Timea schaute schwer beeindruckt als ich ihr erzählte, dass diese Brauerei ursprünglich von Deutschen im Jahre 1903 als Germania-Brauerei gegründet worden war. Die Region in Ostchina, aus der das Tsingtao-Bier stammt, war nämlich zu dieser Zeit eine deutsche Kolonie, die 1914 allerdings an Japan fiel. Manchmal war ich wirklich selbst darüber erstaunt, wie gut ich mir bestimmte Dinge merken konnte, die ich irgendwann mal gelesen oder aufgeschnappt hatte. Mein Gehirn schien allerdings bei der Beurteilung, welche Informationen gespeichert werden sollten und welche nicht, nach einer ganz eigenen Bewertungsskala vorzugehen. Namen konnte ich mir zum Beispiel nur sehr schwer merken, wobei ich mich mit weiblichen Namen deutlich leichter tat als mit männlichen. Die Zutaten für Rezepte konnte ich mir auch nicht wirklich merken, so dass ich meistens auch nicht in die Verlegenheit kam, für eine Angebetete kochen zu müssen, obwohl ich natürlich wusste, wie gut man als Mann damit punkten kann. Mein Gehirn schien bei der Abspeicherung also tatsächlich seine ganz eigenen Bewertungsmaßstäbe anzulegen, deren Sinn und Logik sich auch mir nicht immer erschlossen.
Timea zeigte sich jedenfalls ob meiner Allgemeinbildung zumindest für diesen Moment schwer beeindruckt. Sie sagte mir, dass China nicht auf ihrer Reiseroute liegen würde, dass sie aber hoffe, irgendwann in ihrem Leben mal auf der Großen Mauer spazieren gehen zu können. Dem konnte ich nur beipflichten. Einmal die Große Mauer in aller ihrer Pracht und immensen Größe im Original sehen zu können muss wirklich atemberaubend sein. Dieser epochale Trutzwall solch ja angeblich das einzige von Menschen geschaffene Bauwerk sein, dass man sogar aus dem All sehen kann. Ich werde wohl nie die Gelegenheit bekommen, dass nachprüfen zu können. Aber gut, dass das Mäuerchen nicht in bei uns in Deutschland steht, denn dann könnte man es aus dem All in jedem Fall so gut wie nie sehen, weil es dazu einfach zu viele von diesen nervigen kleinen Wassermolekülhaufen namens Wolken über dem Land der Dichter und Denker gibt.
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The Big OE- Begegnungen in Neuseeland
AdventureThe Big OE ist in Neuseeland ein geflügeltes Wort und steht für die mehrmonatige Auslandreise mit entsprechenden Erfahrungen und Erlebnissen, die jeder Neuseeländer mindestens einmal im Leben unternehmen sollte, bevor er sich endgültig in der idyll...