3. Schule...

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Heaven's p.o.v.

Ich schlug die Augen auf. Eine weiße Wand. Verdammt. Es war kein blöder Traum gewesen.
Es war die bittere Realität.
Meine Mutter hatte einen neuen Lover und wir waren zu ihm gezogen.
Die Wand schien mich zu verspotten. Diese fröhliche Tönung. Ich musste unbedingt im Baumarkt Farbe kaufen...
Dieses Weiß war nicht zum Aushalten.
Und Vorhänge mussten her. Dieses Zimmer sollte richtig schön dunkel werden.
Es sollte das wiederspiegeln, was ich empfand. Es sollte das zeigen, was ich keinem erzählen konnte. Das, was niemand verstand. Dieses Zimmer sollte das Loch in mir verdeutlichen.
Die Trauer. Das Entsetzen. Die Wut. Das Verlangen nach Rache.

Es klopfte an der Türe.
"Aufstehen, Schatz. Du musst zur Schule.", sagte Mutter durch die Türe. Ich schwieg. Wie so oft. Wie eigentlich immer. Seit zwei Jahren...
Mutters Schritte entfernten sich. Sie kannte mich gut. Sie wusste, dass ich wach war.
Sie wusste, dass sie mich zu nichts zwingen konnte.
Einerseits tat sie mir Leid, andererseits aber auch wieder nicht. Sie hatte Tommy und mich damals irgendwie im Stich gelassen...
Die Türe flog auf.
Meine 'Schwester' stürmte herein. Ohne zu klopfen. Ein absolutes no go. Notiz an mich selber: Auch hier muss man die Zimmertüre absperren, sonst kommt unangemeldeter Besuch.
"Du musst dich beeilen. In fünf Minuten müssen wir los!", rief sie und war schon wieder weg. Argh.
Immer diese Eile, diese Hektik in der Früh. Ich setzte mich in Bewegung.
Wortlos schnappte ich mir einen Apfel und eine Wasserflasche aus der Vorratskammer und verließ vier Minuten später das Haus und setzte mich auf die Treppe vor der Haustüre.
Eine Minute später stürmte meine 'Schwester' heraus. Mein neuer 'Bruder' folgte ihr.
"Komm! Wir verpassen den Bus!", rief sie mir zu und rannte los. Mein 'Bruder' grinste und ging zu den Garagen. Kurze Zeit später düste er mit einem Sportwagen davon.
Und seine Schwester nahm den Bus. Interessant.
Zehn Minuten später saß ich noch immer auf der Treppe. Ich genoss es, mein Gesicht in die Sonne zu halten. Meine 'Schwester' kam angeschnauft.
"Ian! Fährst du mich? Der Bus ist mir vor der Nase weggefahren!", rief sie. Ich schnaubte.
"Ist Hev schon weg?", rief meine Mutter zurück. Ich schnaubte erneut. Sie sollte mich nicht so nennen!
"NEE!", brüllte meine 'Schwester' zurück.
"Sie nimmt dich auf dem Motorrad mit, Vivian!", rief Ian zurück. Er war von der ganzen Truppe der Netteste. Er war mir seltsamerweise sympathisch, obwohl ich eigentlich anders über ihn denken sollte...Schließlich hatte Mutter Vater durch ihn quasi ersetzt...Naja...
Meine 'Schwester' Vivian wandte sich an mich.
"Kannst du mich fahren?", fragte sie leise. Ich seufzte genervt auf.
"Bitte!", sagte sie gutmütig. Widerwillig erhob ich mich und warf ihr meinen Helm zu.
Sie musterte ihn verwundert. Ich schnaubte. Sie sollte ihn aufsetzen! Ich machte eine erklärende Handbewegung. Angeekelt stopfte sie ihren Kopf in den Helm. Ich seufzte erneut. Endlich.
Ich verstaute meinen Rucksack unter meinem Sitz und ließ die Maschine an. Vivian sprang mit einem entsetzten Quieken zurück. Ich verdrehte die Augen und bedeutete ihr hinter mir aufzusteigen. Vorsichtig legte sie ihre Arme um mich. Arghh.
Sie hatte ja keine Ahnung von Motorrädern!
Ich packte ihre Hände und zog sie näher zu mir. Sie sollte nicht in der ersten Kurve runterfallen!
Ich fuhr los. Naja. Ich raste.
Vivian schrie die ganze Zeit entsetzt. Ich schnaubte.
Wir rasten über den Highway. Ich schlängelte mich gekonnt zwischen den Autos durch.
Überholte Auto um Auto.
"Rechts!", schrie Vivian gegen den Fahrtwind. Die Schule. Endlich. Ich nehme dieses quiekende Wesen nie wieder auf dem Bike mit. Nie wieder.
Ich rauschte auf den Schulhof. Die Blicke sämtlicher Schüler folgten mir. Naja. Uns. Ich hatte das quiekende Wesen vergessen.
"Nie wieder.", stöhnte Vivian, als sie mir den Helm zurückgab. Sie war leicht grün im Gesicht. Ich grinste. Sie sprach mir aus der Seele. Ziel erreicht. Ich verstaute den Helm unter dem Sitz und schnappte mir stattdessen meine Tasche.
Vivian war verschwunden. Zum Glück.
"Jo, Bro!", "Alter, geile Karre!", "Jasper", und so weiter. Ich drehte mich um und sah in das Gesicht meines, selbstgefällig lächenden, 'Bruders', der gerade angekommen war. Jasper hieß er also.
Ich musste grinsen. Ich hatte ihn also tatsächlich überholt.
"Hey! Hev!", rief er. Ich drehte mich wütend um. Niemand nannte mich so! Und er erst recht nicht!
"Du kennt die heiße Neue?", fragte einer. Jasper grinste.
"Mein Vater hat 'ne Neue. Und das ist ihre Tochter.", meinte er. Ich knurrte und wollte weggehen, doch jemand hielt mich am Arm fest.
Wütend sah ich diesem Arsch, der es wagte mich zu berühren, ins Gesicht. Ich zischte ihn an.
"Ey, Süße, hab dich nicht so!", meinte der fremde Junge. Süße? Na warte! Dir zeig ich's. Von wegen süß!
Ich versenkte meinen Ellebogen in seinem Magen und trat ihm genussvoll in die Eier. Jaulend ging er zu Boden.
Ich warf die Haare zurück und rauschte in die Schule, ohne irgendjemanden eines weiteren Blickes zu würdigen.
Jasper und Vivians Blicke aber...die spürte ich von allen am deutlichsten auf meinem Rücken brennen.
"Vollpfosten.", knurrte ich vor mich hin.
Dieser Tag fiel für mich in die Schublade 'ich bin angepisst'.
Ich irrte planlos durch die Schule und fand schließlich das Sekretariat. Wortlos nahm ich meinen Stundenplan und die Kombi für's Schließfach entgegen.
Dann stapfte ich los. Der ersten Stunde Folter entgegen.
"Das ist Miss Johnson. Sie geht ab heute in Ihre Jahrgangsstufe.", meinte der Lehrer und bedeutete mir mich zu setzen. Ich musste mich also nicht vorstellen. Sehr gut. Der Lehrer war mir sympathisch.
"Machen wir weiter mit Funktionenlehre.", sagte der Lehrer und leierte die nächsten zehn Minuten irgendwelches Zeugs runter. Laaaangweilig.
Gelangweilt ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen.
Vivian und Jasper waren anscheinend beide in meiner Klasse. Und sie saßen, soweit es nur möglich war, voneinander entfernt. Noch etwas. Interessant. Das Verhältnis zwischen den beiden würde mich mal interessieren...
"Miss McLenzie? Rechnen Sie bitte die Aufgabe an der Tafel.", rief der Lehrer Vivian auf. Sie gehorchte und löste sie mit Bravur. Als sie wieder auf ihren Platz zurückkehrte, wurde sie ausgepfiffen. Und Jasper führte sie alle an. Interessant.
Soviel von geschwisterlicher Freundschaft. Ich hustete, um mein minimal amüsiertes Lachen zu vertuschen.

Kaum dass es zur Mittagspause klingelte, schob sich die Schülermasse in die Mensa. Hier stank es nach altem Frittierfett und angebranntem Fleisch. Bah. Das erinnerte mich an...
Nein. Nicht dran denken.
Eine winzige Träne lief aus meinem Auge.
Ich schüttelte mich.
Dann suchte ich mir einen Platz am Fenster. Ein Junge kam her und wollte sich zu mir setzen, doch ein Blick genügte und er war verschwunden. Sehr schön. Wortlos starrte ich aus dem Fenster.
"Darf ich?", fragte das quiekende Wesen. Ich seufzte frustriert auf und drehte mich um. Vivian stand mit einem Tablett da. Ich nickte ergeben. Sie würde sowieso nicht aufgeben. Erleichtert plumpste sie auf den Stuhl, der mir gegenüber war und begann zu essen.
Sie bot mir nichts an, und dafür war ich dankbar.
Mein Blick schweifte über die Schüler. Wie auf jeder Schule gab es diese typischen, klischeehaften Untergrüppchen. Nerds, Normale, Cheerleader, Footballer, Goths.
Tss.
Ich fragte mich, in welche Gruppe Vivian gehörte. Offensichtlich aber in keine. Sonst würde sie nicht hier bei mir, der Neuen, der Gruppenlosen, sitzen.
"Hey! Schweinebacke!", rief eine, mir bekannte Stimme. Er befand sich hinter mir. Vivian erstarrte vor Angst und begann zu zittern.
"Du hast also jemanden gefunden, der sich mit dir abgibt?", frozelte der Kerl weiter. Vivian senkte ihren Blick und ließ seine Beleidigungen wortlos über sich ergehen. Jasper saß am anderen Ende der Mensa und lachte seine Schwester aus.
Interessant. Das Verhältnis zwischen den beiden wurde immer klarer.
"Hey, Arschgesicht! Ich rede mit dir!", schrie der Kerl Vivian an. Eine Träne lief ihr aus dem Auge. Mir langte es langsam.
Ich griff mir Vivians Tetrapack Kirschsaft und nahm einen Schluck. Hm. Der war nicht schlecht. Gute Qualität. Vivian sah mich irritiert an. Ich grinste heimtückisch. Ihre Augen weiteten sich entsetzt.
Ich stand auf und öffnete den Verschluss. Vorsichtig hielt ich die Safttüte über Vivians Kopf. Sie erstarrte. Der Junge starrte mich an. Alle Leute in der Mensa starrten mich an.
Es herrschte Grabesstille.
"Los! Mach!", forderte er mich auf.
"Setz dich.", konterte ich seelenruhig. Er gehorchte und plumpste auf meinen Platz. Vivian schluchzte leise.
"Und jetzt verrätst du mir, warum du so garstig bist.", meinte ich, machte einen schnellen Schritt und goss ihm kurzerhand den Saft über den Kopf. Der Typ im weißen T-Shirt stand fluchend und klatschnass auf.
"Spinnst du!", schrie er mich an, "Ich mach dich fertig!", brüllte er.
Ich begann zu kichern.
"Das will ich sehen.", lachte ich ihn aus. Er war auf hundertachzig.
Seelenruhig trat ich ihm wieder in die Eier. Erneut sank er vor Schmerzen auf den Boden.
"Schon wieder?", fragte ich zuckersüß. Er stöhnte.
"Lass sie in Zukunft in Ruhe! Und jetzt verpiss dich!", fauchte ich ihn an.
Wortlos zog ich dann ab. Ein Tag an einer neuen Schule und ich hatte, für meinen Geschmack, schon viel zu viel geredet. Das musste ich ändern. Unbedingt.
Wortlos ging ich zu meinem Bike und fuhr zum nächsten Baumarkt.
Ich brauchte dringend Farbe.
Und Sprüh-Dosen.
Dieses unerträgliche Weiß musste weg.

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elfiego

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