25. Ist das Liebe?

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Elias' p.o.v.

Laut dem Wörterbuch ist Liebe ein 'starkes Gefühl des Hingezogenseins oder eine starke, im Gefühl begründete Zuneigung zu einem [nahestehenden] Menschen' oder auch eine 'auf starker körperlicher, geistiger und seelischer Anziehung beruhende Bindung an einen bestimmten Menschen, verbunden mit dem Wunsch nach Zusammensein, Hingabe o.Ä.'.

Ich musste schlucken. Hev liebte mich nicht. Das, was sie für mich empfand, war keine Liebe. Wenigstens Zuneigung. Aber keine Liebe.
Es tat weh. Es fühlte sich an, als würde mein Körper in zwei Teile gerissen werden. Es fühlte sich an, als würde sie mir mein Herz aus der Brust reißen und darauf rumtrampeln.
Dieser Schmerz. Diese Trauer. Diese Verzweiflung.
Es zeriss mich. Sie liebte mich nicht. Sie liebte mich nicht.
Aber sie war an mich gebunden.
Sie liebte mich nicht.
Ich wollte schreien. Ich wollte sterben. Ich wollte etwas zerstören.
Sie liebte mich nicht.
W A R U M!!!!
Ich liebte sie doch. Ich liebte sie so sehr, dass es schmerzte. Ich wollte ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen. Sie zu einer Königin machen. Sie mit Geschenken und Schmuck überhäufen. Sie zu meiner Freundin machen. Sie sollte meine Frau werden.
Ich wollte sie nie verlassen. Nie...
Hev...

Sie weinte noch immer. Stumm liefen ihr die Tränen über ihr wunderschönes Gesicht. Mein Herz brach gleich noch mal. Es tat mir tief in der Seele weh, Hev so verzweifelt und vor allem weinen zu sehen.
"Hev...", wisperte ich leise. Sie schniefte.
"J-j-j-ja?", kam es kläglich zurück. Und ein neues Messer jagte durch mein Herz. Es tat einfach so verdammt weh. Es war unmöglich, das alles in die richtigen Worte zu fassen. Es war einfach nur unbeschreibliche Trauer. Bodenlose Verzweiflung. Hilflosigkeit. Und grenzenlose Liebe.
"Was ist los?", fragte ich sie sanft. Und das, was dann folgte, zerriss mir erst recht das Herz...
"Joe...", flüsterte sie geistesabwesend. Eine neue Klinge grub sich in mein Herz. Sie hatte mir zwar gesagt, dass sie mich lieben würde, aber dieses Verhalten, das sie an den Tag legte, ließ auf das Gegenteil schließen...
"Wer ist Joe? Erzähl mir von ihm!", bat ich sie leise und ziemlich verzweifelt. Sie schniefte.
"Joe war mein bester Freund...", weinte sie. Ich schluckte.
"Er...Ich...Wir...", stammelte sie unter Tränen. Ich ahnte schlimmes. Jetzt würde folgendes kommen: 'Ich liebe nur Joe und werde niemals jemand anderen lieben.' Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. Ich wollte sie schon erneut fragen, aber sie sprach von selbst weiter.
"Irgendwann muss ich ja darüber reden. Und das besser früher als später.", meinte sie leise. Ich war...überrascht? Ja, das traf es ganz gut. Sie wollte mir etwas über den schrecklichsten Tag ihres Lebens erzählen? Ein Tag, an dem ich Schuld war? Ein Tag, an dem das Gesetz der Wölfe Schuld war? Ich schluckte. Okay. Gut. Das würde ich schon schaffen. Das würde ich aushalten.
"Joe war beliebt im Rudel. Das Gegenteil von dem, was ich war...", flüsterte sie leise. Moment. Hev war nicht erwünscht gewesen in ihrem alten Rudel?
Wie? Sie war doch perfekt! Wunderschön und klug. Einfühlsam und stark.
Warum war sie nicht geschätzt worden?
"Sie...sie...ich...ihr...als ihr angegriffen habt, ich...Joe...wir...da hatten wir uns zum ersten Mal geküsst...", schniefte sie. Ich konnte nicht anders. Ich starrte sie lediglich regungslos an. Sie hatte was? Wie?
"...er...er...er ist für mich gestorben...er hat die Wölfe in die andere Richtung gelockt...weg von mir...und dir...", wisperte sie kaum hörbar. Ich schluckte. Deswegen war Hev also so kratzbürstig gewesen. Sie hatte ihren Freund als ihren Mate angesehen, obwohl er tot war. Er war meinetwegen tot. Ich war an allem Schuld. Wie immer. Warum hatte ich damals diesen Angriff überhaupt durchgeführt?

Weil das Gesetz es befohlen hatte.
Klappe.
Ändere das Gesetz. Eine wölfische Luna wird überall als Erlösung angesehen. Sie werden sie zu einer Königin machen.
Klappe. Das ist jetzt unwichtig.
Hm. Du wirst schon sehen. Spätestens eure Kinder, falls ihr denn welche habt, werden Herrscher über die Wölfe. Ihr werdet in die Geschichte eingehen...
Träum weiter.
Ja...davon immer gerne...

Ich schnaubte entnervt. Manchmal ging mein inneres Gewissen alias Wolf auf die Nerven. Und zwar ziemlich.
Ich wusste, dass ich das Geschehene nicht wieder gut machen konnte. Es war Vergangenheit. Und das mussten wir akzeptieren. Irgendwie...
Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, was Hev gesagt hatte:
Ihr Freund hatte meine Rudelmitglieder von ihr und mir weggelockt. Hieß das, dass sich mein Unterbewusstsein damals nicht getäuscht hatte? Ein Wolf war damals an mir vorbeigegangen und hatte mich verschont?! Ich zuckte zusammen. Ich schuldete diesem Joe mein Leben. Er hätte mich töten können, hatte es aber nicht getan. Joe hielt eine Lebensschuld von mir und ich würde nie in der Lage sein, diese zu begleichen...
"Hev?", fragte ich leise. Sie schniefte. Ihre Augen waren noch immer feucht.
"Ja?", wisperte sie.
"Das damals...Es tut mir Leid...Bitte...Vergib mir.", bat ich sie flüsternd. Erschrocken sah sie mich an. Ich musste schlucken. Würde sie meine Entschuldigung annehmen? Ja oder nein?
Ganz leise, ich konnte es fast nicht verstehen, flüsterte sie: "Okay."
Überrascht sah ich sie an. Sie verzieh mir? Sie erteilte mir Absolution? Erleichterung strömte durch meinen Körper. Aber dennoch... Eine Frage blieb noch offen...
"Hev? Bleibst du bei mir?", fragte ich sie zögerlich. Verwirrung sprang mir aus ihren blauen Augen förmlich entgegen.
"Hääh?", machte sie perplex. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter.
"Ich möchte wissen, ob du hier bleibst, oder ob du wieder weggehst?", präzisierte ich meine Frage.
Sie war eindeutig verwirrt.
"Wo sollte ich denn hingegen?", wollte sie wissen. Ich zuckte mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Vielleicht in dein Territorium?", schlug ich vor. Sie hob eine Augenbraue.
"Heißt das, du willst mich loswerden?", fauchte sie wütend. Fassungslos starrte ich sie an.
"Nein!", rief ich entsetzt. Ich sah ihr ihre Beruhigung förmlich an. Sie entspannte sich wieder und lag relativ friedlich in meinen Armen.
"Es hat sich aber so angehört, als solle ich verschwinden.", murmelte sie. Niemals! Wir hatten aneinander vorbeigeredet. Ich würde sie niemals gehen lassen! Sie sollte bei mir bleiben! Prüfend sah sie zu mir hoch.
"Heißt das, ich darf bleiben?", wollte sie neugierig und schüchtern zugleich wissen. Ich starrte sie an. Wie hatte ich ihr nur das Gefühl geben können, nicht willkommen zu sein? Ich herzloses Arschloch.
"Ja.", antwortete ich ihr, "Du darfst bleiben.", fügte ich schnell hinzu, "Und wehe, du haust ab!", drohte ich ihr. Sie kicherte. Und prompt machte sich ein Lächeln auf meinem Gesicht breit.
"Du bleibst hier. Bei mir. Hier kann ich dich im Auge behalten.", knurrte ich leise in ihr Ohr und piekte sie in die Seite. Sie quietschte und wollte ein Stück von mir wegrutschen. Aber sie hatte ihre Rechnung ohne mich gemacht. Blitzschnell schlang ich meinen Arm um ihre Taille und zog sie wieder zu mir. Streng sah ich sie von oben herab an. Dann piekte ich ihr aufs Schlüsselbein.
"Du entkommst mir nie wieder. Merk dir das!", drohte ich ihr liebevoll. Sie lächelte zurückhaltend.
"Ich finde dich überall, Süße. Und...", sagte ich. Eigentlich wollte ich noch etwas anfügen. Aber irgendwie fehlte mir der Mut dazu.
"Was?", fragte Hev und sah mich aus ihren wunderschönen, sanften blauen Augen mit einem herzerweichenden Hundeblick an.
"Ich...", ich räusperte mich leise. Eigentlich wollte ich, aber irgendwie hatte ich dann doch nicht den Mumm dazu...
Im Kampf war ich eiskalt und ohne Gnade, aber wenn es um solche - ich würde fast sagen - 'Banaliäten' ging, war ich eine feige Sau.
"WillstdumeineFreundinsein?", nuschelte ich schließlich hastig.
Hev fielen fast die Augen aus dem Kopf.
"Äää...j-ja?", sagte sie leise, aber es hörte sich an wie eine Frage und sie bäte um meine Erlaubnis. Ich begann zu strahlen. Sie hatte mein Genuschel verstanden? Sie gab mir eine Chance! Sie wollte meine Freundin sein!
Ich grinste wie ein Honigkuchenpferd. Freudestrahlend beugte ich mich zu ihr herunter und küsste sie stürmisch. Stocksteif lag sie da. Erschrocken sah sie mich an. Verunsichert zog ich mich zurück und richtete mich wieder halbwegs auf.
"Tut mir Leid.", murmelte ich und wandte meinen Kopf beschämt in eine andere Richtung.
Verwirrt runzelte sie ihre Stirn.
"Elias?", fragte sie leise.
"Hm?"
"Sieh mich an.", forderte sie sanft und ich drehte ihr meinen Kopf zu.
Sie lächelte mich an. Ihre Augen waren klar und freundlich. Ich fühlte mich auf einmal so leicht und unbeschwert. Ewig könnte ich in ihren Augen versinken...
Hev küsste mich vorsichtig, beinahe schüchtern. In meinem Bauch explodierte ein Feuerwerk. Lange lagen wir hier. Eng umschlungen und uns küssend. Ich wollte sie nie wieder gehen lassen. Ich wusste, dass sie bei mir bleiben würde.

Ist das Liebe?

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