20. Ruinenwölfe.

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Heaven's p.o.v.

Hinter mir polterten die letzen Steine. Die Höhlen waren verschüttet. Sie waren weg. Sie existierten nicht mehr. Die Gefahr war gebannt.
Genussvoll streckte ich mich der Sonne entgegen. Auch wenn es bereits dämmerte, ich sog die wohlige Wärme in mich auf. Elias hielt sich unauffällig im Hintergrund. Ich wusste, dass er auf eine Reaktion meinerseits wartete.
Wir befanden uns in einem lichten Wald, der mir seltsamerweise bekannt vorkam. Misstrauisch sah ich mich um. Ja...
Der Stein dort. Er sah aus wie ein Wolf. Wenn auf der einen Seite jetzt noch Krallenspuren...
Jap. Definitv. Wir waren unterirdisch zu meinem alten Zuhause gelangt. Zu meinem Territorium. Ich warf mich ins hohe, weiche Gras und wälzte mich ausgelassen umher. Ich war wieder zuhause. Ich war da, wo ich hingehörte. Elias betrachtete mich skeptisch, als wüsste er nicht, was er tun sollte. Sollte er zu mir oder sollte er sich doch von mir fernhalten?
Er wusste wahrscheinlich nicht, wie ich auf ihn reagieren würde, jetzt da wir in Sicherheit waren.
Um ehrlich zu sein...ich hatte auch keine Ahnung, wie dieser ganze Murks weiterging.

Hev?

Ich schüttelte mir abgerissenes Gras aus dem Fell und stand auf.
Ich beschwerte mich nicht mal darüber, dass er mich 'Hev' nannte. Ich hatte es aufgegeben, ihn zu verbessern und anzufahren. Er würde sowieso nicht auf mich hören und mich trotzdem so nennen.

Hev? Wo sind wir?
In meinem Territorium.
Aha. Und wie kommen wir in mein Territorium? Wir sind ja ziemlich weit weg.
Sag deinem Bruder, dass er meiner Mutter sagen soll, dass wir bei Tommy's Höhle auf sie warten.
Hääh?
Ich erklär's dir vielleicht später.
Okay?

Missmutig lief ich durch den Wald. Elias folgte mir auf dem Fuße. Er unterhielt sich gerade mit Jas, da war ich mir sicher.
Warum meine Laune schon wieder im Keller war?
1. Elias würde Tommy's Höhle sehen.
2. Ich hatte keine Lust, mich mit einem Thema wie 'Wie geht es jetzt mit uns weiter?' zu beschäftigen.
3. Mein Bein tat weh.
Es war einfach unmöglich, ihm zu entkommen. Ich müsste mein ganzes Leben als Wolf verbringen, damit die Sehnsucht und die Schmerzen nach ihm gleich null wären. Aber ich war ein Mensch. Ich konnte nicht einfach mir-nichts-dir-nichts alles schmeißen! Ich wollte meinen Abschluss machen. Ich wollte studieren.
Ich wollte reisen. Ich wollte frei sein. Ich wollte mich vielleicht irgendwann einmal verlieben. Aber auf keinen Fall wollte ich mich jetzt sofort an ihn binden lassen!
Ich spürte, dass wir uns der Höhle näherten. Alles in mir sträubte sich, Elias den verborgenen Platz meiner Kindheit zu zeigen. Er würde etwas sehen, was nur Mutter, Vater und Tommy kannten. Er würde in meine Privatsphäre eindringen. Aber Mutter kannte diesen Ort eben. Man konnte ihn per Auto erreichen. Mutter würde Elias mit sich nehmen und ich wäre frei. Ich würde dieses Territorium mit Wölfen füllen. Ich würde ein Alpha werden. Ein wahrer Alpha. Was nützte es mir schon, die Voraussetzungen dafür zu haben, aber ohne Rudel dazustehen?
Und auf einen Job als Luna hatte ich eigentlich überhaupt keine Lust. Kinder trösten, Einkaufen gehen, für das Rudel kochen. Bääh.
Nee. Jetzt mal im Ernst. Nicht mit mir! Ich wollte etwas erreichen in meinem Leben.
Ich wollte, dass ich einmal Teil einer Legende werden würde. Auch, wenn das wahrscheinlich ziemlich unrealistisch war.
Wir kamen der Höhle immer näher. Mein Fell sträubte sich immer und immer mehr. Ich wollte ihn nicht dort haben!
Nun, ich war irgendwie sauer.
Ich wusste nicht, warum. Ich war einfach stinkig. Er würde mich überall finden, jetzt da wir uns angesehen hatten und das erste Band geknüpft war. Ich wollte das Erbe meines Vaters antreten und ihn und meine Brüder so in Ehren halten. Und wieder schlich sich der Gedanke in mein Gehirn. Ich könnte mir Ausgestoßene suchen und sie meinem Rudel beitreten lassen...
Ich könnte...nein. Es war unmöglich. Ich konnte ihm nicht mehr entkommen. Er würde nicht aufgeben, er würde mich ewig suchen, sollte ich abhauen. Und ich wollte nicht mein ganzes Leben auf der Flucht verbringen. Zwei Jahre hatten mir gereicht...
Ich wollte nicht mein ganzes Leben als Wolf verbringen.
Ich wollte leben.

Hev! Wie lange dauert das denn noch?

Elias war anscheinend auch nicht bester Laune, denn er hatte einen maulenden Unterton in seiner Stimme. Ich hatte ja auch keine Ahnung, wie der ganze Murks jetzt weiterging.

Wir. Sind. Gleich. Da.
Gut. Ich hatte schon das Gefühl, wir wären im Kreis gelaufen.

Ich zuckte zusammen. Ups. Er hatte mich erwischt. Wenn er Tommy's Höhle schon sehen würde, dann sollte er nie wieder den Weg dorthin finden können. Wir waren wunderbar weite Umwege gelaufen und hatten ein paar Kreise gedreht. Und mein Bein hatte das alles ausgehalten. Es schmerzte zwar noch immer, aber früher oder später würde sich das schon geben.
Ich musste mich den Tatsachen stellen. Ich konnte ihn nicht länger in die Irre führen. Er hatte die Wahrheit erkannt. Jetzt mussten wir zu Tommy's Höhle.
Murrend und knurrend durchbrach ich das letzte Dickicht. Elias blieb geplättet stehen und starrte das Monstrum von Steinhaufen an. Ein belustigtes Knurren entwich mir.
Tommy's Höhle war nicht unbedingt eine Höhle. Es war viel mehr. Es war eigentlich eine Ruine. Sah man es ganz genau, dann war das das ehemalige Rudelhaus unseres Ur-Ur-Ur-Urgroßvaters. Wie gesagt, das Haus war in Vergessenheit geraten und Tommy hatte es gefunden. Es hatte ihn an eine Höhle erinnert und deswegen nannten wir diese Ruine 'Tommy's Höhle'. Eine seltsame Ableitung, ich weiß.
Elias knurrte ungläubig. Ein genervter Blick meinerseits war die Antwort. Ich lief einfach weiter, in der Hoffnung, dass er mir entweder nicht folgen würde oder endlich mal mit gaffen fertig war.
Mit der Schnauze stieß ich die morsche Türe auf. Ein hässliches Quietschen ertönte. Die Scharniere müsste ich ölen, sollte ich hier irgendwann mal kampieren...
Missmutig tappte ich weiter. Über zwei Jahre war ich nicht mehr hier gewesen. Ohne Tommy hatte ich es einfach nicht über mich gebracht. Ich war zu schwach gewesen. Ich durchquerte den Flur Richtung Wohnzimmer. Staub und Spinnweben hängten sich in mein Fell und brachten mich mehrmals zum Niesen und zum Husten. Blödes Zeugs.
Genervt pulte ich mit meinen Krallen im Fell umher, um die Spinnfäden aufzunehmen, damit ich Elias damit bombardieren konnte. Nein, jetzt mal im Ernst. Ich hatte keine Lust auf eine Staub- und Spinnwebenschlacht.

Haaaa-haaa-hatschi.

Ich kicherte. Anscheinend hatte Elias Staub in die Nase bekommen.

Das ist nicht lustig, Hev.

Elias näselte furchtbar. Ich wusste, dass er versuchte die Situation aufzulockern. Er wollte die Spannung abbauen. Ehrlich?
Keine Lust.
Missmutig tappte ich zu einer Kiste und kippte sie um. Mit den Zähnen schnappte ich mir eine Decke und breitete sie mir aus. Ich brauchte nicht noch mehr Staub im Fell. Dann kuschelte ich mich in das flauschige Etwas...
...und promt begann ich zu niesen.
Blöder Staub!
Ich nieste mir die Seele aus dem Leib. Elias lachte mich geistig aus. Dann näherte sich der schwarze Wolf mir und legte sich neben mich.
Die Sonne war endgültig hinter den Baumwipfeln verschwunden und mit ihr die Wärme. Schlagartig begann ich zu zittern. Dunkelheit herrschte in Tommy's Höhle. Elias kuschelte sich an mich und knurrte wohlig vor sich hin. Ich beschwerte mich nicht. Mir war kalt und er wärmte mich.
Langsam schloss ich die Augen und driftete ab. Gewärmt schlief ich neben Elias ein.
...
"...Hev...Hev...Hev..."
"Wach auf, Liebes...Hev..."
Knurrend wälzte ich mich auf die andere Seite. Weg von der sanften Stimme sprechenden Person, hin zur Wärme.
"Heaven!", schallte plötzlich mein Name laut durch die Stille. Ich riss panisch die Augen auf. Ich sprang auf und knurrte laut auf.
Ein Lichtstrahl einer Taschenlampe strich über mich hinweg. Geblendet sprang ich zurück. Blödes Licht. Ich knurrte.
Ein Lachen ertönte.
"Ich hab euch Kleidung mitgenommen.", meinte Mutter und deutete auf eine Tasche. Erfreut wedelte ich mit dem Schwanz. Dann schnappte ich mir T-Shirt und Hose und genoss es, endlich wieder in Menschengestalt zu sein.
Ich sah mich um. Mutter hatte die Taschenlampe hier gelassen. Sie und Elias waren verschwunden.
Mit einem Seufzen griff ich nach der Lampe und ging hinaus.
Dort stand Mutter neben ihrem Auto, Elias war bereits eingestiegen.
Mit einem lauten Knall schlugen die Türen zu. Mutter fuhr los. Ich lehnte mich auf meinem Rücksitz zurück und genoss die Wärme der Heizung. Ich spürte die prüfendem Blicke, die mir Elias immer wieder durch den Rückspiegel zuwarf.
Genervt schloss ich die Augen.
"Es ist schon spät.", meinte Mutter mit einem Blick auf die Uhr. Ich öffnete mühsam ein Auge. Wollte sie mich etwa noch um meinen wohlverdienten Schlaf bringen?!
"Wir fahren zum alten Haus und übernachten dort. Das ist näher.", wisperte sie. Ich zuckte zusammen. Ungläubig riss ich die Augen auf. Jetzt war ich entgültig wach. Danke, Mutter. Langt es nicht, dass Elias schon Tommy's Höhle kannte? Musste er jetzt noch in unser altes Haus? Sie wollte ihn ernsthaft dort haben? Sie lud ihn ein?
Danke. Wirklich.

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Hev ist minimal sauer. Berechtigt?

Heaven's personal hell - Die Legende der Urwölfe #SonnenblumenAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt