17. Unterirdische...

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Heaven's p.o.v.

Alles war schwarz. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Ich konnte kein Haar meines Fells sträuben. Mein Geist war da, aber mein Körper war taub. Ich roch Elias neben mir. Er atmete. Zumindest glaubte ich das.
Meine Beine befanden sich in einer unnatürlichen Position. Es fühlte sich an, als wären sie zusammengebunden worden.
An meinem Bauch wurde mein Fell, mein Körper zusammengepresst von einem schmalen Stück Seil oder ähnliches. Ich fühlte Elias Rücken an meinem. Er war an mich gefesselt worden. Wir waren gemeinsam zu einem Paket verschnürt worden.
Ich betete, dass Elias noch lebte. Warum? Ehrlich gesagt, das wusste ich nicht. Vielleicht weil ich Angst hatte, hier alleine zu sein. Vielleicht weil...ach, keine Ahnung.

Elias.
ELIAS!

Ich begann ihn geistig zuzuspamen. Er rührte sich nicht. Er antwortete nicht. Panik machte sich in mir breit. War er am Ende tot?

Hev?

Ich seufzte erleichtert auf, als ich eine männliche Stimme in meinem Kopf vernahm. Nur, um dann eine Sekunde später entsetzt die Luft anzuhalten. Diese Stimme gehörte nicht Elias. Sie gehörte Jas. Und wenn Jas mit mir reden konnte...dann war er der Alpha. Elias war seinen Posten los. Er war tot. Ein unerklärlicher Schmerz. Es fühlte sich an, als würde mir jemand das Herz aus der Brust reißen. Mein Herz verkümmerte zu einem kleinen, grauen Klumpen. Elias. Er war tot.

Hev? -Jas. So langsam begann er zu nerven.
Was?
Alles okay?
Nein...

Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme gewaltig zitterte. Ich hörte mich schwach an. Gebrochen. Entsetzt. Und Jas schien das zu merken, obwohl er eigentlich nicht so sensibel war.

Was ist denn los, hm?
E-E-Elias.
Was ist mit ihm?
T-t-t-tot?

Ich hatte wirklich mit allem gerechnet. Nur nicht mit dieser Reaktion. Jas begann zu lachen. Er kicherte sich geistig einen ab.
Ich knurrte ihn wütend an.

Was. Soll. Das.
Hev...Er ist nicht tot.
Doch. Er antwortet mir nicht!
Hast du ihn denn gerufen?
Ja.
Grade eben? Zwei Mal?
Ja?
Hev...Du hast mich gerufen. Mit seinem Namen. Nicht ihn selber.
A-a-a-aber...
Beruhig dich. Er lebt.
Sicher?
Ja, Hev. Es ist alles gut.
Habe ich das grade richtig verstanden? Du hast dir Sorgen gemacht? Um mich?! -Dornröschen Elias war anscheinend aus seinem Winterschlaf erwacht.
Du lebst!
Ja? Wieso? Hast du versucht mich umzubringen?
Nein!
Jetzt bin ich aber beruhigt.
Elias?
Hm?
Dad meinte, dass früher schon Wölfe in diesen Tunnelsystemen verschwunden sind...Passt auf.
Danke.
Ich glaube, wir haben den Grund für das Verschwinden herausgefunden.
Was?!
Wir befinden uns im Moment auf einer Karre. Gefesselt.
Anscheinend sind wir Leckerbissen.
Was?! Das sag ich Dad! Wir holen euch da raus!
Das hat keinen Sinn, Jas. Sie riechen nach Wolf.
Wie...
Ich habe nicht die leiseste Ahnung.
Passt auf euch auf.
Machen wir.
Jas? Grüß Vivian von mir, ja?
Mach ich Hev, keine Sorge.

Mit diesen Worten verschwand er aus meinem Kopf. Warum ich wollte, dass er Viv von mir grüßte? Wahrscheinlich, weil sie nach mir gefragt hatte... Mit der Zeit sollte ich anfangen, freundlicher zu sein... Langsam bewegte sich der Karren durch die Gänge. Ruckelnd und krachend überfuhr er Steinchen und Holz. Meine Gliedmaßen waren noch immer wie gelähmt. In diesem Pfeil musste ein Betäubungsmittel gewesen sein. Ich lauschte. Die Wölfe, wie Elias sie genannt hatte, machten keinen Mucks. Gelegentlich klatschte ein nackter Fuß gegen den Fels. Das irritierte mich. Es klang nach Füßen, aber Elias hatte von einem Wolfsgeruch geredet. Wie das?
Licht gelangte an meine Augen. Dämmriges Licht, aber es war dennoch Licht. Ich konnte die Umgebung erkennen.
Elias neben mir zuckte. Er war wieder fähig sich zu rühren? Sehr gut.
Und im Nachhinein...wäre Elias nicht ein so gigantischer Wolf, dann hätte das Betäubungsmittel sicher länger gewirkt. Aber das hatten die nach Wolf riechenden Menschen nicht vorhersehen können. Und das war es auch, was uns letztendlich das Leben rettete. Naja, was mir das Leben rettete.
Elias und die Unachtsamkeit der Wolfsmenschen.
Inzwischen war es hell genug, sodass ich alles um mich herum erkennen konnte.
Aber bewegen konnte ich mich immer noch nicht. Die Leute hielten an.
Mit einem Stöhnen und dem Ächzen des Holzes kippte der Wagen um. Elias fiel halb auf mich drauf. Zum wie vielten Mal eigentlich? Das war ja jetzt schon fast Tagesordnung.
Aber auch dieses Detail trug dazu bei, dass ich am Leben blieb. Denn Elias bekam die Spritze als erster.
Mühsam bewegte ich den Kopf und sah einem Mann mittleren Alters zu, wie er eine lange Spritze aufzog. Elias brüllte vor Schmerz, als der Mann ihm die Nadel in die Seite rammte. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Elias zitterte kaum spürbar.
"Bald kann er sich wieder bewegen. Passt auf.", krächzte der Mann. Elias' Überraschung war spürbar. Für mich. Eine weitere Spritze wurde vorbereitet. Und ich wusste: die war für mich bestimmt.
Unwillkürlich begann ich zu winseln. Immer mehr Menschen kamen in diese Höhle. Männer. Frauen. Kinder.
Die Leute schnitten Elias von mir los und zogen ihn etwas abseits. Die Leute. Sie trugen zerfetzte, wenn denn überhaupt, Kleidung. Ein Großteil war einfach nackt.
Elias Beine begannen zu zucken. Ein brennender Schmerz pulsierte in meinem Hinterbein. Die Spritze. Aua!
Ein weiterer Mann zog eine Peitsche hervor und schlug auf Elias ein.
"Verwandel dich zurück, Missgeburt!", wurde Elias angeschrien. Elias zuckte nicht einmal zusammen, als die Peitsche ihn das nächste Mal traf, weil er sich weigerte. Ich wimmerte. Elias' besorgter Blick zuckte kurz zu mir. Kaum sichtbar, aber dennoch genug. Ein bösartiges Glitzern trat in die Augen des Mannes. Ein hämisches Grinsen lag auf seinem Lippen.
Er hatte begriffen. Und ich auch. Er würde Elias nicht zur Kapitulation zwingen können. Aber er konnte ihn erpressen. Mit mir.
Ich jaulte laut auf, als die Peitsche mit einem lauten Knall mein Fell zerschlug und eine Wunde in mein Fleisch riss. Zitternd drückte ich mich auf den Boden. Elias begann wütend zu knurren. Ich konnte mich noch immer nicht rühren. Der Mann grinste Elias an.
"Verwandel dich oder dein kleiner Freund hier bekommt noch mehr ab!", drohte der Mann. Der Mann bezeichnete mich als 'Freund'. Es gab ja nur männliche Wölfe. Normalerweise. Aber warum das Schicksal ausgerechnet bei mir eine Ausnahme machen musste... Keine Ahnung. Elias sah mich entschlossen an. Ich schüttelte den Kopf. Nein. Das sollte er nicht tun.
Und was dann folgte, würde mir lange im Gedächtnis bleiben.
Eine einzige fließende Bewegung. Perfekte Übergänge. Ein wunderbares Schauspiel. Eine Demonstration wahrer Macht und Stärke. Innerhalb einer Sekunde, einer Sekunde!, richtete sich der Wolf Elias auf und der Mensch Elias stand an seiner Stelle. Diese Verwandlung war nicht wie Jas'. Diese Verwandlung war fließend und elegant. Kein Knochen knackste zu laut. Der Mensch Elias neigte ergeben den Kopf, ging in die Knie und legte seine Hände hinter den Kopf als Zeichen der Kapitulation. Fassungslos starrten die Leute ihn an.
"Mächtig.",
"Stark.",
"Das ist ein Alpha!",
"Unbeugsam.",
"Alpha.",
"Der Kleine wird sein Untergang sein."
Stimmen wisperten umher und wurden von den Wänden als Echo zurückgegeben. Erneut fiel Elias besorgter Blick auf mich. Ein typischer Alpha-sorgt-sich-um-Wolf-Blick. Verzweifelt sah ich ihn an. Was sollten wir jetzt machen? Was waren das für Leute? Was wollten die von uns? Panik lag in meinem Blick, da war ich mir sicher.
Ein glühender Schmerz zog sich über meinen Rücken und verschwand zugleich wieder. Meine Selbstheilungskräfte ließen mich also doch nicht im Stich.
"Was soll das?!", fauchte Elias den Mann wütend an. Der neigte abwägend den Kopf und grinste triumphierend. Er hatte gewonnen.
"Verwandel dich.", befahl er mir. Ich winselte. Ich konnte mich nicht bewegen. Mutlos sah ich Elias an. Bildete ich mir das nur ein, oder lief ihm tatsächlich eine Träne aus dem Augenwinkel?
Voller Schmerz sah ich den Mann mit der Peitsche an. In seinen kalten, gefühlslosen Augen lag die Aufforderung. Ich sollte mich verwandeln. In einen Menschen.
Elias sah mich verzweifelt an und schüttelte kaum merklich den Kopf. Wütend knurrte ich den Mann an. Niemals!
Ohne mit der Wimper zu zucken schlug die Peitsche nach Elias. Anders als als Wolf zuckte er diesmal zusammen und stöhnte leise auf vor Schmerz. Fassungslos starrte ich den Mann an. Er würde Elias so lange schlagen, wie ich mich weigerte. Und Elias würde leiden. Wegen mir. Das war nicht richtig. Es war an der Zeit etwas zu akzeptieren:
Wir hatten verloren.
Wir waren erpressbar, weil wir zu zweit waren. Entschuldigend sag ich Elias an.
'Nein, Hev.', formten seine Lippen. Ein weiterer Peitschenhieb ging auf ihn nieder. In mir brach etwas. Nein. Es sollte aufhören!
Binnen weniger Sekunden kauerte ich in Menschengestalt am Boden. Meine Haare verdeckten meine Schultern und meinen Rücken. Meine zusammengekauerte Haltung schirmte Blicke auf meinen Bauch ab. Elias sah mich fassungslos an. Ich erwiderte seinen Blick.
Magisch zog er mich an und ließ mich nicht mehr los. Ich versank in seinen dunklen, braunen Augen. Diese Sanftheit. Es fühlte sich an, als würde mich etwas an ihn ketten. Unbedingt, unwiderruflich. Eine unsichtbare Hand nahm meine und strich sanft darüber. Eine wohlige Wärme umgab mich. Ich fühlte mich sicher. Geborgen. Geliebt.
Diese Wärme drang in jeder Zelle meines Körpers ein, sie stärkte mich, sie schwächte mich. Ich war an ihn gebunden. Unbedingt, unwiderruflich.
Wir starrten uns gefühlte Ewigkeiten an. Nichts konnte seinen Blick von mir und meinen Blick von ihm trennen. Ich sah ihm in die Augen und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich zuhause. Sicher. Warm. Geborgen. Kurzzeitig vergaß ich, wo ich war. Wo wir waren.
Keiner von uns war in der Lage, den anderen aus den Augen zu lassen. Zu groß war die Sorge. Zu groß die Anziehung. Zu groß, zu mächtig. An einander gebunden. Für immer. Auf Ewigkeit.
Er ist Elias. Ich bin Hev.
Er ist ein Wolf. Ich bin eine Wölfin.
Er ist ein Alpha. Ich bin seine Mate. Es ist wahr.
Er ist mein Mate. Ich gehöre ihm.
Er ist...
Ich bin...
Er...
Ich...
Wir...
"Das kann nicht sein...",
"Wie?!",
"Unmöglich!",
"Ein Mädchen?",
"Seine Mate?",
"Eine Luna..."
Die Vielzahl an Stimmen mischte sich und stieg empor zur Decke.
Alpha. Luna. Alpha. Luna.
Luna. Ich war eine Luna. Kein Alpha mehr. Ich war eine Luna.
Elias' Luna. Elias' Mate. Ich gehörte ihm.
Geschockt riss ich meinen Kopf zur Seite. Ich ertrug seinen Blick nicht länger. Wie...
Die Leute waren wahnsinnig laut. Sie schrien aufgeregt durcheinander. Sie wollten jemanden holen. Es war eine unglaubliche Lautstärke. Und dennoch hörte ich es. Leise. Sanft. Voller Sehnsucht.
"Hev..."
Vorsichtig sah ich ihn an. Er lächelte. Liebevoll. Sanft. Beruhigend. Keiner von uns war in der Lage, den Blick abzuwenden. Plötzlich kniff Elias wütend die Augen zusammen. Mehrere Leute stürzten sich auf mich und hielten mich fest. Verzweifelt zappelte ich hin und her. Aber vergeblich. Ich konnte mich nicht befreien. Der Mann mit der Peitsche hielt meinen Arm fest. Er zog ein Messer und schlitzte mir den Arm auf. Ich schrie vor Schmerz.
"Lasst sie los!", schrie Elias panisch. Er wurde von einigen Leuten festgehalten. Mit tränenverschleierten Augen sah ich meinen Peiniger an. Er schleckte mein Blut von meinem Arm. Dann rannte er in die Richtung eines Tunnels. Doch bevor er diesen betreten konnte, prallte er von einer unsichtbaren Wand ab und flog quer durch die Höhle.
"Es funktioniert nicht.", knurrte er wütend. Ich zuckte zusammen. Was klappte nicht? Wozu brauchten die mein Blut?
"Aber das Blut einer Luna ist doch mächtig!", kreischte eine Frau entsetzt.
"Genau! Es wurde uns so versprochen! Ihr Blut muss uns befreien!", schrie eine zweite. Der Mann mit der Peitsche sah mich prüfend an. Der Schnitt an meinem Arm war nicht mehr zu sehen. Was...Wie...
"Vielleicht muss man alles vergießen...", überlegte er. Fassungslos und entsetzt starrte ich ihn an. Er wollte mich töten?
"DAS WAGT IHR NICHT, IHR BASTARDE!", brüllte Elias wie von Sinnen und auf einmal lag ein Mann ohne Kopf vor mir. Zum Glück hatte die Spritze Wirkung gezeigt. Elias war fähig sich zu bewegen. Da zählte die Verwandlung nicht dazu. Und so rettete er mein erbärmliches Leben. Drohend ragte Elias in seiner Wolfsgestalt vor mir auf. Erleichtert seufzte ich. Die Leute entfernten sich langsam. Vorsichtig. Elias verwandelte sich wieder in einen Menschen. Behutsam nahm er mich in den Arm und strich mir über den Kopf.
"Shhhht.", machte er leise. Ich schluchzte.
"Alles wird gut.", murmelte er leise. Dann schob er mich ein kleines Stück von sich und sah mir prüfend in die Augen.
"So wunderschön...", wisperte er und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er legte seine Stirn an meine.
Wortlos sahen wir uns an.
Bis...
"ER KOMMT!"
Elias zuckte zusammen und starrte fassungslos an mir vorbei. Die Leute ergriffen panisch die Flucht. Ich drehte den Kopf.
Ich riss die Augen auf. Panisch. Entsetzt. Schockiert. Fassungslos.
Woher kam der denn plötzlich?
Ein riesiger Wolf näherte sich uns.

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