6. Risiken und Nebenwirkungen.

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Vivians p.o.v.

Ich wachte mit einem mörderischen Kater auf und blinzelte ins helle Sonnenlicht.
Autsch.
Es klopfte an der Türe. Ich brummte missmutig.
Hev kam herein und gab mir wortlos ein Glas Wasser mit einer Aspirin. Dankbar sah ich sie an.
Sie sah traurig aus. Schwarze Schatten lagen unter ihren Augen.
Ich hievte mich aus dem Bett. Hev drehte sich promt um.
Was? Wie?
Kopfschüttelnd blickte ich an mir herunter. Und erstarrte. Ich war nackt. Was? Wie?
Entsetzt wimmerte ich los.
Hev verschwand kurz und reichte mir dann einen Bademantel, den ich mir sofort überzog.
"Wie?", stammelte ich und sank auf meinem Bett zusammen.
Dann bemerkte ich den Blutfleck. Shit. Shit, shit, shit.
Jemand hatte mich entjungfert.
Auf meiner Geburtstagsfeier.
Und ich hatte keine Ahnung, wer es gewesen war...
Obwohl...wage konnte ich mich daran erinnern, dass Jasper mich geküsst hatte...
Nein. Unmöglich.
Ich schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können.
Ich würde nie mit meinem Bruder ins Bett steigen. Nie. Zumal er mich abgrundtief verabscheute.
Hev sah mich nachdenklich an. Irgendwie schien sie mich zu verstehen. Oder bildete ich mir das nur ein?
"Wie geht's dir?", flüsterte ich.
Sie verzog das Gesicht und grinste leicht.
Wage erinnerte ich mich daran, dass sie jemanden geküsst hatte.
"Hev? Wer war er?", fragte ich. Sie seufzte bei der Erwähnung ihres Namens. Dann zuckte sie ratlos mit den Schultern.
"Hast du gestern was getrunken?", wollte ich wissen. Sie schüttelte den Kopf. Ich starrte sie ungläubig an.
"Was ist passiert? Weißt du das?", fragte ich weinerlich.
Mir ging es scheiße. Ich war entjungfert worden, hatte einen Kater, konnte mich nicht an den Sex erinnern und wusste folglich auch nicht, mit wem ich geschlafen hatte, geschweige denn ob wir ein Kondom benutzt hatten.
Ich sah Hev flehend an. Ich hoffte, dass sie etwas wusste.
Sie atmete aus. Langsam nickte sie. Erleichterung machte sich in mir breit. Sie könnte mir erzählen, was passiert war. Wie gesagt. Sie könnte. Aber sie sprach ja nicht mit mir oder sonst wem.

Als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte, schnappte ich mir bequeme Kleidung und zog mich um. Dann folgte ich Hev aus dem Zimmer in die Küche.
Das Haus war blitzeblank. Wie?
Fragend sah ich Hev an. Sie grinste und deutete auf sich.
Sie hatte sauber gemacht? Sie? Alles?
Ungläubig starrte ich sie an.
Sie nickte.
"Und ich habe geholfen.", drang eine andere Stimme an mein Ohr.
Elias, mein älterer Stiefbruder, saß mit einem Kühlakku am Kopf am Tisch und aß Rührei oder so.
Seit über zwei Jahren hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Er war weggezogen, nachdem er eine Woche im Krankenhaus gelegen war.
Weshalb allerdings wusste ich heute immer noch nicht.
Jasper und Ian hatten sich geweigert, mir irgendwelche Informationen zu geben. Außerdem hatten sie mir verboten Elias im Krankenhaus zu besuchen. Genauso wie Elias nicht wollte, dass die beiden ihn aufsuchten.
Warum? Keine Ahnung.
Hev drückte mich auf einen Stuhl und schob mir einen vollen Teller zu.
Dann setzte sie sich auf den Tresen und beobachtete uns schweigend.
Elias musterte mich.
"Du hast da was.", sagte er und deutete auf seinen Hals. Ich runzelte die Stirn. Hääh?
Hev zauberte von irgendwo einen Taschenspiegel hervor.
Entgeistert starrte ich meinen Hals an. Ein riesiger Fleck prangte dort. Shit.
Knutschfleck. Den würde ich morgen mit Schminke abdecken müssen...
Hev schnappte entsetzt nach Luft. Sie starrte Elias an und rannte aus dem Haus. Ich sah sie über den Rasen Richtung Wohnwagen flitzen.
Elias runzelte verwirrt seine Stirn.
"Wer ist das eigentlich?", wollte er wissen. Ich seufzte. Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte ich das Gefühl, dass er mich halbwegs mochte.
"Die Tochter von Ians Freundin Marianne.", erklärte ich. Er nickte verwirrt.
"Ah...", machte er leise.
Ich hob eine Augenbraue.
"Und wie ist sie so?", wollte er wissen, "Sicher seid ihr beste Freunde, oder?", fügte er hinzu. Ich schüttelte den Kopf.
"Im Gegenteil. Sie meidet jeden überflüssigen Kontakt zu anderen Menschen.", flüsterte ich unglücklich. Er sah mich ungläubig an.
"Und reden tut sie auch kaum.", meinte ich leise. Elias war vollends baff.
"Das erklärt, warum sie mir nie geantwortet hat, als wir aufgeräumt haben...Okay?", fragte er geistesabwesend. Ich nickte.
Und seine nächste Frage überraschte mich wirklich.
"Will sie hier sein?", wollte er nachdenklich wissen. Ich schüttelte den Kopf.
"Wenn sie könnte, dann wäre sie sicher sofort weg.", vermutete ich.
"Aber sie ist doch schon volljährig, oder? Dann kann sie doch weg.", er war verwirrt.
"Nee.", sagte ich. Er starrte mich an als wäre ich verrückt.
Jemand räusperte sich laut. Hev stand wütend in der Küchentüre.
Ich zuckte zusammen.
"Woher kamst du denn so schnell?", fragte Elias sie. Hev hob eine Augenbraue und sah ihn ärgerlich an.
Irgendwas war hier los...
"Das ist übrigens Elias. Jaspers Bruder.", erklärte ich Hev. Sie schnappte nach Luft.
Ihr Blick veränderte sich augenblicklich. Aus Ärger und Verwirrung wurden Wut und Entsetzen. Sah Elias das auch?
Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Er aß seelenruhig sein Rührei weiter und schien das alles nicht zu bemerken. Hev schnaubte.
Was war hier los?

Heaven's p.o.v.

Shit. Ich hatte meinen 'Bruder' geküsst. Shit.
Aber wenn er Jaspers Bruder war, war er dann auch...?
Ich schnupperte und sog Luft ein.
Und erschrak.
Keinerlei Parfüm, Deo oder Aftershave. Sein Geruch machte mir etwas klar. Ich hatte ausgespielt.
Er war ein Alpha.

Allgemein konnte man sagen, dass man Menschen und Wölfe am Geruch unterscheiden konnte. Nur wenn sie eben Parfüm oder ähnliches trugen, dann roch man nichts. Ich liebte Parfüm. Das war das einzige, was ich mir gönnte.
Der Geruch eines jeden Werwolfes in Menschengestalt war charakteristisch. Er sagte etwas über den Rang im Rudel aus.
Und wenn man so roch wie er es tat, dann war man eben ein Alpha.
Wald, Blätter, Bäume, Erde. Der Geruch der Dominanz.
Das war ein typischer Alpha-Geruch.
Ich wusste nicht, ob ich ihn jemals zuvor in Wolfsform gesehen hatte. Es ist nahezu unmöglich das zu sagen. Denn jeder Wolf hat, wie jeder Mensch auch, einen charakteristischen Geruch, der sich nach der Rückverwandlung in einen Menschen sofort verflüchtigte.
Das war immer so.
Und außerdem konnte man nur aus der Wolfsgestalt erahnen, zu welchem Rudel der Wolf gehörte...
Und das würde mich am Meisten interessieren...

Aber wenn sowohl Jasper, als auch sein Bruder Wölfe waren...
Dann war Ian auch einer. Und da war ich mir hundertprozentig sicher.
Und ich traute mich etwas wetten, dass Mutter das wusste.
Oh shit.
Moment.
Elias war der Alpha. Bedeutete das, das Ian zurückgetreten war?
Wenn Ian Elias Vorgänger gewesen war...
Und da das Alpha-Gen von Vater zu Sohn vererbt wird...
Dann war Jasper etwa der...Beta?
Der zweite Sohn?
Hm. Möglich war es.
Aber das bedeutete auch, dass dieses Rudel offensichtlich keine Luna hatte. Keine menschliche Frau, die an der Spitze der Wölfe stand.
Ians Frau war tot. Seine zweite Frau war tot. Und man hatte nur eine Mate.
Elias war alleine hierhergekommen. Also hatte er seine Seelenverwandte noch nicht gefunden, denn ein Alpha trennt sich eigentlich keine Sekunde von seiner Mate...
Oh shit.
Wo war ich hier nur rein geraten?

In Menschengestalt durften Wölfe Territorien überqueren. Sie durften sich nur nicht verwandeln. Und ein Aufenthalt, der länger als eine Woche dauerte, der musste beim ortsansässigen Rudel gemeldet werden...

Ich befand mich auf dem Territorium eines fremden Rudels. Ich wusste nichts über dieses Rudel.

VERDAMMTE SCHEIßE!

Ich hatte unwissentlich gegen sämtliche Gesetze der Wölfe verstoßen.

Shit.

Ich war geliefert.

Heaven's personal hell - Die Legende der Urwölfe #SonnenblumenAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt