S E V E N T E E N

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Noch bevor meine Augen ihn erfassen, höre ich, wie er sich mir nähert. Die Sohlen seiner Schuhe erzeugen ein unüberhörbares Knirschen auf dem Kiesweg. Die Bank, auf die ich mich zurückgezogen habe, ist etwas abgelegen. Und ich habe sie mir bewusst ausgesucht, weil ich angenommen habe, dass ich auf diese Art meine Ruhe hätte. Doch ich habe nicht mit Harry gerechnet, ich habe gedacht, Hobbs wäre es, vor dem ich mich verstecken müsste. Dabei habe ich für einen Moment vergessen, dass Harry die weit unangenehmere Gesellschaft darstellt.

"Darf ich mich zu dir setzen?"

"Ich würde ja verneinen, aber weil Anstand ein Fremdwort für dich ist, wirst du dich mir sowieso aufdrängen, also hier", sage ich und rutsche zur Seite, klopfe dabei neben mir auf die Holzbank,  "ich habe neben mir ein hübsches Plätzchen reserviert, only for you, Sweetheart."

Seufzend schließe ich Whatsapp, unterbreche die Antwort, die ich meinem Vater gerade senden wollte und schicke mein Smartphone wieder in den Sperrmodus.

"Wem hast du geschrieben?", fragt er und sieht mich interessiert an.

Ungläubig starre ich ihn von der Seite an. "Erstens, das geht dich nichts an. Zweitens, niemandem", erwidere ich bissig.

"Nicht gerade eine einsilbige Antwort dafür, dass es mich eigentlich nichts angeht, hm?"

Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. "Du bist frei in deinen Ansichten über mich. Hauptsache du belästigst mich nicht mit ihnen."

"Was nützt Meinungsfreiheit in deiner Wirklichkeit, wenn ich meine Meinung nicht frei äußern darf?"

Ich sehe ihn scharf an. Was wird das? Beabsichtigt er etwa ernsthaft mit mir über Verfassungsgrundsätze und ihre Reichweite zu philosophieren?

"Sie ist nützlich, wenn du sie verschlossen in deinem Inneren auslebst, die Welt aber braucht nicht noch mehr Meinungen. Worte sind Worte, sie bewirken keine Veränderung, wenn sie keine Taten nach sich ziehen."

Auch wenn es mir widerstrebt, ihm zu antworten. Ich habe immer schon unverblümt meine Meinung mitgeteilt. Und mir ist es gleichgültig, ob mein Gegenüber meine Ansichten vertritt oder nicht.

Harry dreht den Kopf zu mir und sieht mich lange wortlos an. Ich frage mich unbewusst, was er wohl denkt, vielleicht auch, was er von mir hält. Hoffentlich nichts Gutes, dann bin ich ihn bald wieder los.

"Was ist?", fahre ich ihn genervt an, als mir der Geduldsfaden endgültig reißt. Nebenbei erwähnt, sind meine Nerven nicht allzu strapazierfähig, ergo ganz im Gegenteil wie unschwer zu erkennen ist.

Mir ist es unangenehm mit Blicken durchbohrt zu werden. Ich versuche Aufmerksamkeit aus dem Weg zu gehen, sie nach Möglichkeit immer von mir abzulenken. Ich bin alles andere als eine Rampensau. Die meiste Zeit möchte ich einfach meine ungestörte Ruhe. Und die hätte ich nun eigentlich im Übermaß, jetzt, wo ich nicht einmal mehr Hobbs erlaube, mir Gesellschaft zu leisten.

"Darf ich dich nicht ansehen?"

"Nein."

"Okay", lenkt er scheinbar ein.

Doch wie erwartet wendet er seinen Blick auch weiterhin nicht von mir ab. Stattdessen zuckt um seine Mundwinkel ein Grinsen. Ich habe es gerade eben selbst gesagt, er kennt keine Manieren, setzt sich stoisch über meinen Willen hinweg. Genau deshalb hasse ich seine Gegenwart.

"Hast du deinem Vater geschrieben?"

"Woher...?", frage ich mit sichtlicher Skepsis.

"Als ich mich neben dich gesetzt habe, konnte ich einen flüchtigen Blick auf dein Handy werfen." Er hebt mit einem entschuldigenden Lächeln die Schultern.

Blackshattered ▪ H.S. #everlight2k20Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt