F I F T E E N

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Harry

Ich hege Zweifel an meinem Vorhaben. Nicht zum ersten Mal, doch dieses Mal hält mir die Realität ein Bild von Stella vor Augen, das mir die Luft zum Atmen nimmt.

Wie würde ich mich fühlen, was würde mit mir passieren, wenn ich nichts mehr hätte, was mir Halt geben könnte?

Richtig, das ist exakt, wie ich mich fühle, meinem Leben und dem Glauben an Gerechtigkeit beraubt. Dieser skrupellose Mensch hat meine Familie auseinander gerissen, mich genötigt, selbst skrupellos zu werden, um an diesen Punkt zu gelangen, wo ich etwas bewirken kann. Ihm ein Denkmal setzen. Eines, das dieser Mensch niemals im Leben vergessen wird.

Aber wenn ich Stella mit hineinziehe, wird sie zerbrechen. Ich kann nicht, ich darf nicht, aber ich muss. Mir bleibt keine Alternative. Ich bekomme keine Chance auf einen Neustart, werde nie ruhig schlafen und voller Hoffnung morgens aufwachen können, wenn ich nicht meinen Frieden finde.

Ich will diese Rache unter allen Umständen, ich brauche sie, und ich werde sie auch bekommen.

Es tut mir leid, Stella.

Liam erwartet mich schon an der Türschwelle zu dem Haus, in dem ich eine harmonische Kindheit verlebt habe, mit Eltern, die sich liebten und deren Sohn ihnen die Welt bedeutete.

Nach dem Tod meiner Mutter und dem Eintritt meiner Volljährigkeit hat mein Vater mir die Eigentumsrechte an dem Haus überschrieben. Seit dem lebt er zurückgezogen und ich sehe ihn nur an den Feiertagen, wenn er mir einen kurzen Besuch abstattet, um sich zu vergewissern, dass sein Sohn irgendwie allein zurecht kommt.

Ihm ist die Erleichterung jedes Mal offen im Gesicht abzulesen, wenn er wieder von der Bildoberfläche verschwinden kann, ohne Gewissensbisse fürchten zu müssen.

Er sagte mir, er würde die Welt bereisen, versuchen, auf seinen Reisen zu verarbeiten. Mein Vater ist ein gläubiger Mensch, als Pfarrer ist es seine Berufung gewesen, verlorene Seelen wieder auf den richtigen Pfad zu führen.

Seit ihrem Tod muss er selbst wieder einen Weg aus der Dunkelheit ins Licht finden. Meine Mutter war sein Leben, ihr Verlust hat ihm den Boden unter den Füßen weggerissen, ihm das Herz zerfetzt. Er hat ihren Tod noch immer nicht verarbeitet.

Er und mir fehlte der Zugang zueinander. Mum war immer das verbindende Element zwischen uns gewesen.

Ich ertrage den Gedanken nicht, dass ein einzelner Mensch sie uns ohne Schwierigkeiten nehmen, wie er sie auf so viele unterschiedliche niederschmetternde Arten aus unserem Leben reißen konnte.

"Ich habe etwas herausgefunden", teilt mir Liam mit und kommt mir entgegen. In seiner rechten Hand hält er ein Dokument, das er mir hinhält. Mit fragendem Blick nehme ich es ihm ab.

"Was ist das?"

"Richard Adkins' Niederschlagung."

Meine Züge hellen sich augenblicklich auf. Also machen sich meine Bemühungen anscheinend endlich bezahlt. Ich halte vielleicht in diesem Moment das entscheidende Mittel gegen ihn in der Hand.

Und als ich zu lesen beginne und begreife, was Liam in die Hände gefallen ist, erfasst mich Erleichterung und tiefe Dankbarkeit. Ich schließe zufrieden die Augen und das Lachen, das aus meiner Kehle dringt, ist mit Abstand die unbeschwerteste Gefühlsbekundung seit langer Zeit.

Mein lang ersehntes Ziel befindet sich endlich in greifbarer Nähe. Endlich werde ich sie gebührend rächen können.


Stella

Ich hätte gedacht, ich könnte damit leben. Aber Hobbs fehlt mir, auf eine Art, die ich nicht in Worte fassen kann. Er war immer da, wenn ich nicht allein sein wollte. Seine Gesellschaft hat mir Zuversicht und neuen Mut geschenkt.

Blackshattered ▪ H.S. #everlight2k20Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt