F O U R T E E N

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Der Moment, in dem du in dem Glauben aufwachst, der Himmel hätte endlich nach langem Warten seine Pforten für dich geöffnet, aber feststellen musst, dass das Schicksal dir nur mit einem missbilligenden Lächeln einen Freifahrtschein in die Hölle vor die Nase hält.

Denn wofür hast du den Einlass in den Himmel verdient?
Nur braven Mädchen wird diese Ehre zuteil, aber du bist kein braves Mädchen. Dein Konto verzeichnet mehr unverzeihliche Sünden als das von Mark Chapman. Und sein Mord an John Lennon war schon unverzeihlich genug.  

Dem Moment folgt nahtlos der Augenblick, in dem du inständig hoffst, wieder einschlafen zu dürfen, um die schmählichen Erinnerungen, die sich dir aufdrängen, wieder zu vergessen, du aber zwangsläufig einsehen musst, dass dich das Schicksal nicht leiden kann.

Du bist ausgeschlafen und die unangenehmen Nachwirkungen deines gestrigen Absturzes heißen dich Herzlich Willkommen in der bitteren Realität.

Ernüchtert und desillusioniert nehme ich den Störenfried, der sich am unteren Ende meines Bettes bequem gemacht hat, in Augenschein. Harry ist nicht das, was ich als harmlos deklarieren würde. Selbst im Schlaf strahlt er noch eine Bedrohung für mich aus. Ich verspüre ob dieser Feststellung das übermächtige Verlangen, zu fliehen. Aber er befindet sich schließlich in meinem Zimmer. Er ist der unwillkommene Gast. Mir liegt es jedoch leider auch nicht annähernd im Sinn, ihn zu wecken, um ihn dann mehr oder minder höflich hinaus zu komplimentieren. Schlafende Dämonen soll man schließlich nicht wecken.

Ein altvertrauter Feind sucht mich wieder heim, sendet einen pochenden Schmerz in meine Schläfen. Meine Sicht verschwimmt, bevor das Leiden schier unerträglich wird und als Folge eine Woge Übelkeit in mir aufsteigt. Ich schließe die Augen, hoffe vergebens auf Linderung, denn der Umstand, dass Harry hier ist, verschlimmert den Kopfschmerz nur noch.

Gequält verziehe ich das Gesicht und ziehe mir die Bettdecke bis unter mein Kinn. Ich will allein sein, ungestört den Scham, den ich über den gestrigen Abend empfinde, ausleben. Ich habe lange keine Tränen mehr vergossen, habe lange meinen Widerstand aufrecht gehalten, aber die Erinnerung setzt mir derart stark zu, zerfrisst mich schier, dass ich zur Rekapitulation gezwungen werde.

Mir fehlt mein engster Vertrauter in diesem Augenblick umso mehr. Ohne seine Gegenwart fühle ich mich verloren. Jeden einzelnen Tag vermisse ich den Frieden, den er mir geschenkt hat. Mir wird erst jetzt bewusst wie abhängig ich von ihm war. Mein Tagebuch war nicht einfach nur mein Tagebuch. Es war mein Rettungsanker, eine Illusion, an der ich Halt gesucht habe, obwohl ich schon längst ohne Hoffnung auf Rettung im offenen Ozean treibe.

Ich bin geflüchtet und haltlos in ein bodenloses, schwarzes Loch gefallen. Aber kann ich überhaupt die nötige Willenskraft aufbringen, um es je wieder hinaus zu schaffen?

Wimmernd rutsche ich tiefer, presse mir die Decke fest auf den Mund. Ich will keinen Laut von mir geben. Ihn nicht nur nicht noch mehr in seiner Gewissheit bestätigen, dass ich ein Wrack bin. Was ich zweifelsohne bin, aber ich muss es ihm schließlich nicht noch offensichtlich unter die Nase reiben, oder?

"Stella?"

Zu spät. Harry richtet sich auf, wendet den Kopf alarmiert in meine Richtung. Ich nehme an, er hat die gesamte Nacht über am Fußende meines  Bettes geschlafen. Ich frage mich ehrlich wieso, denn er ist es mir nicht schuldig, meinen Aufpasser zu spielen. Er hätte einfach gehen können, dennoch ist er geblieben. Wieso nur?

"Geht es dir gut?" Er steht auf und tritt näher an das Kopfende heran.

"Mir geht es bestens", erwidere ich, obwohl mich immer noch der hämmernde Kopfschmerz plagt, dessen Intensität mir beinahe den Verstand raubt.

Blackshattered ▪ H.S. #everlight2k20Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt