S I X T E E N

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Stella

Mein Vater hat sich nicht noch einmal blicken lassen. Denn ihm ist plötzlich ein sehr dringender Termin in der Kanzlei dazwischen gekommen, der ihn dazu veranlasst hat, umgehend den Heimweg anzutreten. Das schilderte er mir in einer kurz angebundenen, geschäftig wirkenden Textnachricht in wenigen, knapp bemessenen Sätzen. Es tat ihm weder leid, noch kündigte er an, mich, seine Tochter, sobald es sein Terminplan zulässt, erneut zu besuchen, und dann für länger als flüchtige zehn Minuten.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich Freude empfinden oder der Enttäuschung den Vorzug geben soll. Beides klingt in meinen Ohren verlockend, doch ich schätze, das gegenwärtige Gefühl, das in meinem Inneren Einzug hält, präsentiert sich in einer Mischung aus beidem, und zwar in zwei gleichgewichtigen Teilen. Und das ist schlichtweg absurd, und für meine Nerven noch dazu unsäglich anstrengend.

Die Erschöpfung übermannt mich und nachdem ich mein Smartphone ausgeschaltet habe, um mich von der Außenwelt vollkommen abzuschotten, lege ich mich darum kurz entschlossen in mein Bett. Im Augenblick mache ich vordergründig nichts anderes, außer zu schlafen, mich unter meiner Bettdecke zu verkriechen und zu warten bis etwas passiert, das mich wachrüttelt. Doch wenn wir einmal wirklich ehrlich sind, wird das in einhundert Jahren nicht passieren, bis dahin bin ich mit meinem Bett zu einer fiesen, fröhlich wuchernden Schlingpflanze verwachsen.

Und wie ich wieder so untätig daliege und meine Lieblingsstelle an der Decke über mir fokussiere - dazu sei gesagt, alle meine Lieblingsstellen sehen identisch aus, sie sind alle langweilig weiß, spannend, I know - drängt sich mir wieder dieses fürchterlich vertraute Verlangen nach einer neuen Dosis auf. Aber ich habe gestern offenbar alles, was sich in dem Tütchen befunden hat, konsumiert. Da ist nichts mehr, nicht einmal ein winziger Rest. Und wenn doch noch etwas übrig geblieben ist, dann würde ich diesem Harry auch zutrauen, dass er ihn gestern Nacht oder in den frühen Morgenstunden aus vermeintlicher Sorge um mich entsorgt hat.

Morgen werde ich mich an Dom wenden müssen, um Nachschub zu ordern. Heute nicht, erst morgen, denn heute möchte ich einfach noch hier liegen bleiben, und mich zwingen, nichts zu denken, nichts zu tun, nichts zu fühlen.


Harry

Das Blatt Papier in meinen Händen wölbt sich bereits durch die Feuchtigkeit, die sich in den Innenflächen sammelt. Dem nicht enden wollenden Gedankenkarussell in meinem Kopf und den wirren Gefühlen, die mich gefangen nehmen sei Dank.

Ich halte seinen Untergang in meinen Händen, und obwohl mir dieses Wissen darum eigentlich pure Genugtuung schenken sollte, wird mir augenblicklich bewusst, dass das noch nicht ausreicht, dass es zu simpel ist, ich ihn nicht so leicht davonkommen lassen kann. Richard Adkins verdient kein schnelles Ende.

"Wie willst du jetzt vorgehen?"

Ich habe nicht bemerkt, dass ich nicht länger allein bin. Niall steht etwas versetzt hinter mir und ich spüre seinen prüfenden Blick in meinem Rücken. Mit einem lautlosen Seufzen drehe ich mein Gesicht halb in seine Richtung.

"Das wird sich zeigen", antworte ich ihm. "Aber das wird nicht das Ende sein. Dafür habe ich zu viel Zeit und Kraft geopfert."

"Was willst du denn noch?", fragt Niall im nächsten Atemzug. Ich spüre seinen ungläubigen Blick auf mir ruhen, die Fassungslosigkeit, die für den Bruchteil einer Sekunde über seine Züge wandert. 

"Ich will Rache."

"Aber bekommst du mit diesen Informationen nicht genau das?"

"Nicht in dem Umfang, den ich mir immer erhofft habe."

Blackshattered ▪ H.S. #everlight2k20Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt