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Ich bin nicht verrückt.

Ich. Bin. Nicht. Verrückt.

ICH BIN NICHT VERRÜCKT!

Ich weiß, ich muss es nur solange weiter in mich hineinprügeln, bis die Information irgendwann gefiltert, verarbeitet und an mein Gehirn gesandt wird - so meine Hoffnung. Ich darf mich nur nicht beirren lassen, nur nicht den Mut verlieren, nur nicht die Flinte ins Korn werfen.

Angestrengt kneife ich die Augenlider zusammen und summe leise diese mir schmerzlich vertraute Melodie vor mich hin, muss zwangsläufig an Harry denken und spüre eine Träne meine Wange hinabrinnen.

"Stella, weißt du noch, wo du bist?"

Ich hebe meinen Kopf etwas an, um die Ärztin anzusehen, die jetzt an meine Seite herantritt. Ich lese nicht die leiseste Spur von Anteilnahme in ihrem Gesicht. Sie legt nur trügerisch sanft eine Hand auf meinen Arm und neigt den Kopf etwas zur Seite. Nur weil es mir gerade viel zu anstrengend ist, den Arm wegzuziehen, überlasse ich ihn ihrer Obhut.

"Ich hab's nicht ins Jenseits geschafft, nehme ich an?"

Sie sieht mich einen langgezogenen Moment unverwandt an. Ich erwidere ihren Blick, beobachte sie aufmerksam, aber die Frau in dem gottlästerlich zölibatären, schneeweißen Arztkittel verzieht immer noch keine Miene. Sie unterbricht unseren Augenkontakt nur, um einen Blick mit den Pflegern auszutauschen, die auch sofort ihre jeweiligen Tätigkeiten einstellen und den Raum wortlos verlassen. Fast augenblicklich ruhen ihre kühlen blaugrauen Augen wieder auf meinem Gesicht. Wie zwei spitzzulaufende Eiskristalle bohren sie sich in meinen Blick, nur eine winzige klitzekleine Bewegung und sie würden mich aufspießen.

"Du bist in einer Nervenheilanstalt, Stella", setzt sie an und versucht es mit einem Lächeln, das kaum mehr als ein halbherziges Zucken ihrer Mundwinkel darstellt. "Also nein, du hast es nicht geschafft, dich umzubringen."

Ich stöhne ungehalten auf, aber bei meinem Versuch meinen Arm unter ihrer Hand wegzuziehen, muss ich unglücklicherweise feststellen, dass ich mit Sicherheitsgurten an das Bettgestell gekettet bin. Ich versuche meine Beine zu bewegen, aber hier begegnet mir exakt dasselbe Übel, als ich einen prüfenden Blick hinunterwerfe.

"Wieso die Sicherheitsmaßnahmen?", frage ich ohne Umschweife in einem Anflug aus Neugier heraus.

In dem Blick der Ärztin meine ich Bedauern zu lesen, aber so jäh wie diese Gefühlsregung aufgekeimt ist, verfliegt sie mit dem Schwall kühler Herbstluft, die durch das geöffnete Fenster in das Zimmer hineinschwappt, auch wieder. Die Ärztin, die dem Schildchen nach zu urteilen, das an der linken Brusttasche ihres Kittels eingenäht ist, Dr. Edith Stevens heißt, nimmt ihre Hand von meinem Arm, und wendet sich dem Fenster zu, um es lautlos zu schließen.

Dann zieht Dr. Stevens einen weißen Stuhl zu meinem Bett heran, einen von insgesamt genau zwei weißen Stühlen in diesem Raum, die zu einem länglichen, steril aussehenden - und wer hätte es gedacht -, ebenfalls weißen Tisch gehören, der an der gegenüberliegenden Wand steht. Sie nimmt neben mir Platz, nicht weit von meinem Gesicht entfernt und faltet ihre Hände in ihrem Schoß zusammen, als würde sie sich für etwas wappnen, für eine ausgesprochen ernste Angelegenheit, für die sie sich erst sammeln und für die die passenden Worte penibel zurechtgelegt werden müssen.

"Dies dient allein deinem Schutz, Stella."

Irgendwie fühle ich mich durch die wiederholte Erwähnung meines Namens langsam persönlich angegriffen. Als ob diese Dr. Stevens mir ihn immer wieder ins Gedächtnis rufen muss, weil ich unter akuter Amnesie leide. Aber vielleicht ist das auch einfach so eine lästige Angewohnheit, um die Aufmerksamkeit ihrer Patienten aufrecht zu halten. Vielleicht ist sie auch ein Droide, eine künstliche Intelligenz, ferngesteuert wie eine Marionette, vielleicht sogar eine Gesandte von einem fremden Planeten fernab unseres bekannten Sonnensystems?!

Blackshattered ▪ H.S. #everlight2k20Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt