E für Einsicht

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LIAM ➜ 02. Februar 2016 London, England

Wie in einem schlechten Film, spielten sich alle Erinnerungen vor meinem inneren Auge erneut ab. Ich spürte den Schmerz erneut. Schmerzen, die sie mir zugefügt hatte. Schmerzen, von denen ich glaubte, sie überwunden zu haben. Etwas dumpfer, doch nicht weniger schmerzhaft. Taub, wie auf Autopilot, schritt ich durch die Menschen auf der Terrasse und bahnte mir meinen Weg die Treppen nach unten. Ich drehte mich nicht mehr um, interessierte mich nicht mehr für sie, sondern ließ sie einfach dort sitzen. Ich ließ sie am Boden, so wie sie mich am Boden hatte liegen lassen.

Auf dem Treppenabsatz fand ich ihre Schuhe. Nachdenklich kniete ich mich hin, ließ mich auf die steinerne Stufe sinken und schaute mir den schwarzen High Heel an. Bitterlich lachte ich auf, als ich an Disney's Cinderella dachte. Eine Prinzessin war Sophia ganz und gar nicht. Im Gegenteil. So wie sie sich mir nun offenbart hatte, glich sie eher Ursula. Einem schwarzen, einsamen und verbitterten Tintenfisch.

So wie ich ihn vorgefunden hatte, ließ ich den Schuh liegen.

Erst als ich in die Küche der beiden einbog und Andy auf der Kücheninsel sitzen sah, schien sich das Wachs in meinen Ohren zu lösen. Alles war mit einem Mal schrecklich laut und mein Kopf dröhnte unaufhörlich und erbärmlich.

„Du hast ganz schön was eingesteckt." Ohne, dass er mich darum bat, tauschte ich den inzwischen warmen Kühlakku in seiner Hand gegen einen kalten aus dem Kühlschrank ein.

„Ich hab dir doch gesagt, wenn dich jemand fertig macht, bin ich das." Das schälmische Grinsen auf seinen Lippen war ansteckend. In diesem Moment gab ich es offen und laut zu: „Ich hab dich vermisst."

„Jetzt werde mal nicht sentimental, Kumpel." Liebevoll knuffte er mich in die Seite. So liebevoll, dass ich beinahe von der Insel rutschte und mein Knie am Barhocker anstieß. Also knuffte ich zurück. Andy jaulte sofort auf und hielt sich die Seite. „Oh scheiße, das wollte ich nicht, Kumpel. Ist alles okay, soll ich einen Arzt holen? Fuck!"

„Verarscht." Lachend setzte er sich wieder aufrecht hin. „Hast dir schön in die Hose gemacht, was?"

„Arschloch."

„Ich hab dich auch lieb."

Zwischen uns kam Stille auf und es war okay. Nur die üblichen Partygeräusche drangen in meine Ohren, doch ich versuchte sie so gut es ging auszublenden. Ich genoss es einfach nur neben ihm zu sitzen.

„Deine Nase sollte sich echt mal jemand ansehen. Komm, ich fahre dich."

Verwundert drehte ich mich um, nur um Eleanor hinter mir stehen zu sehen. Sie trug bereits die alte, ausgeleierte Jeansjacke, welche Louis damals in Paris für teures Geld erstanden hatte. Überzeugt schwenkte sie den Autoschlüssel zu seinem Range Rover. Bei den beiden schien sich trotz der langen Beziehungspause nichts verändert zu haben. Und der Gedanke daran war schön. So derart am Boden hatte ich Louis noch nicht erlebt und wenn ich ehrlich war, wollte ich es nicht noch einmal erleben.

„Nein."

„Payno", mischte Andy sich ein. Doch bevor er mit seinem vorwurfsvollen Ton weiter sprechen konnte, fügte ich hinzu. „Wir haben beide getrunken. Wenn du nach Hause willst, dann bestelle ich uns ein Taxi."

„Warum so vernünftig?" Ob der verwunderte Ton meines besten Freundes nun gespielt war oder nicht, irgendwie fühlte es sich an, wie ein weiterer Tritt. Wie ein weiterer, verdienter Tritt.

„Ist es so unwahrscheinlich, dass ich einen klaren Gedanken fassen kann? Meinst du nicht auch mein Kontingent an Scheiße ist langsam mal ausgeschöpft? Ich hab keinen Bock drauf die Bullen bei mir stehen zu haben."

B for Buddy ⚜️ LPWo Geschichten leben. Entdecke jetzt