Fünf

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"Kannst du mal aufhören, mich anzustarren?!", zischte ich meine Sitznachbarin nach einer geschlagenen halben Stunde an.

Blondie zog jedoch nur arrogant die Augenbrauen hoch und lächelte höhnisch.

"Ich hab gehört, du saßt in Mathe neben Lucas? Halt dich gefälligst von ihm fern, Schätzchen."

Anscheinend wollte sie bedrohlich wirken, doch mit der vielen Farbe im Gesicht konnte sie echt nur als Clown mit Geschmacksverirrung durchgehen. Ja, ihr merkt schon, ich hielt wirklich nicht viel von Schminke.

"Ach, ich denke nicht, dass er so etwas wie dich auch nur beachten würde. Also ich bin ja eher für Natürliches, Süße. Vielleicht solltest du dir mal ein Beispiel nehmen.", entgegnete ich verächtlich, wobei ich überhaupt nicht darauf achtete, leise zu sein.

"Oh, wirklich? Ich glaub kaum, dass er dich bei deinem Haarschopf und diesem..-", sie legte eine dramatische Pause ein, "..Mülltonnenstil überhaupt angucken kann, ohne jämmerlich an deinem Anblick zu verrecken."

Blondi grinste siegessicher, als mir vor Empörung der Mund aufklappte.

"Oh, weißt du was?! Aliengesicht mit zu großer Fresse? Vielleicht solltest du dir mal angucken, wie dich alle anschauen! Aber hässlich bleibt hässlich, wusstest du das schon?" Ich kreischte beinahe, diese Art von Leuten konnte ich überhaupt nicht ausstehen!

"Ja!? Also ich weiß ja nicht wie du das siehst...-"

"Ruhe! Ruhe!", brüllte unser Physiklehrer. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie wir aufgestanden waren. Außerdem atmeten wir beide stoßweise und als dann auch noch Lucas von hinten "Bitchfight!" rief, platzte mir einfach der Kragen.

Ich hob meine Hand, zeigte der gesamten Klasse meinen Mittelfinger und stürmte aus dem Raum. Ich ignorierte die wütenden Rufe meines Physiklehrers, von dem ich noch nicht mal den Namen kannte, und hastete die langen Gänge entlang.

Notiz an mich selbst: Erster Schultag - Totaler Reinfall.

Was hab ich mir nur dabei gedacht? Ich hätte einfach weiter die Tote spielen können und dann hätte ich gar nicht hier her kommen müssen.

Meine Eltern dachten sowieso, ich wäre schon vor einigen Monaten gestorben, damals..

"Komm schon, Shan. Wir können zusammen weg von hier. Niewieder würdest du ausgelacht werden, für das was du bist. Oder für das, was du nicht bist. Aber okay, dann bist du eben nur ein Mensch. Für mich reicht das."

Ich hatte Lucas ernsthaft dankbar angelächelt, obwohl das nur eine Ablenkung von seinem eigentlichen Ziel war. Tod.

"Wir spielen deinen Eltern etwas vor..."

Damals war ich naiv und verliebt, ich hatte den Haken an der Sache einfach nicht gesehen. Niemals mehr zu der eigenen Familie zurückkehren zu können, ist hart. Und wer war daran Schuld? Ein eingebildeter Junge, der dachte, er könne jede haben.

Was vielleicht auch stimmte. Gutes Aussehen ist aber nun wirklich nichts Neues. Der Charakter ist eine andere Sache.

Eine Seele, die von Schatten und toten Fliegen eingehüllt ist macht jede Person zur Vogelscheuche. Egal, wie sie aussieht.

Um das Innere eines Menschen werten zu können, muss man ihn jedoch zuerst mal kennen. Und heutzutage verläuft das ganz anders.

Gutes Aussehen ist das A und O in dieser Generation, da achtet keiner mehr auf den Kern. Hauptsache, man hat jemanden, mit dem man angeben konnte.

Die wahre Liebe zählt für keinen mehr. Das hat mir meine Vergangenheit mehr als nur klar gemacht. Liebe macht selbst das stärkste Wesen auf Erden verletzlich. Man wird schwach, wenn man liebt. Schneller angreifbar und außerdem gibt man den Leuten um einen herum die Chance, eine Schwachstelle zu finden.

Liebe ist nichts. Nur rosarote Wölkchen, durch die man nichts mehr erkennen kann und nur noch durchs Leben taumelt.

Okay? Wie komm ich jetzt auf das Thema Liebe?

Eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

"Hey! Ich soll dir deine Sachen bringen. Herr Chaser hat dich für die restliche Stunde entschuldigt. Das war echt heftig vorhin.."

Ein Mädchen mit hellblonden Kringellocken kam um die Ecke geeilt. Sie überreichte mir meine Converse-Tasche und meine Jacke, die ich im Raum zurückgelassen hatte.

"Oh, und ich bin Katy."

Sie streckte mir ihre Hand entgegen, die ich dann auch zögernd annahm.

"Shannon."

In dem Moment hörte ich Schritte auf dem quietschenden Boden und wenige Sekunden später stand Lucas vor uns.

"Katy, du sollst wieder reinkommen. Und Herr Chaser erwartet noch eine Erklärung von Vanessa und dir, Rades."

Ich nickte, ohne ihn anzusehen, bedankte mich noch einmal bei Katy, die mich jetzt mit ihren hellen blaugrauen Augen musterte und drehte mich schließlich um, um zur Eingangstür zu gelangen.

"Hey, Shannon! Gibst du mir noch deine Handynummer? Vielleicht können wir uns mal treffen? Shoppen, oder so?", rief Katy mir hinterher.

Ich drehte mich ruckartig wieder um und beobachtete geschockt Lucas, der ebenfalls in seiner Bewegung verharrte und nun die Augen zusammen kniff. Sein Blick wanderte meinen Körper rauf und runter, ehe er an meinem Gesicht hängen blieb und seine Miene undurchschaubar wurde.

Sein Gesichtsausdruck wechselte zu hämisch.

"Genau, Shan. Gib ihr deine Handynummer, Sweetheart."

Er hatte mich erkannt. Jetzt fing das Spiel mit der Zeit an.

"Katy? Ich muss jetzt wirklich los! Ich geb sie dir morgen, okay?", meinte ich etwas hysterisch und lief schnellen Schrittes Richtung Ausgang.

Shit. Shit. Shit.

Ich spürte Katys verwirrten Blick auf mir und auch Lucas' Augen brannten sich tief in meinen Rücken.

Natürlich, Shan..Du musst nur schnell los, auch wenn du um diese Zeit noch über eine halbe Stunde Schule hättest. Tolle Ausrede.

Ich hörte, wie sich langsam Schritte entfernten, Katy und Lucas mussten jetzt wohl wieder in den Klassenraum.

Doch wie es das Schicksal so wollte, wurde ich vor der großen Glastür in einen leeren Raum gezerrt und gegen die Wand gedrückt. Ich spürte seinen warmen Atem, als er sich zu meinem Ohr vorbeugte und mir folgende Worte zuflüsterte:

"Du glaubst doch nicht, dass du mich täuschen kannst, oder Shan? Dir war bestimmt klar, dass es von Neuem losgehen würde, Süße. Du hast deine zweite Chance verspielt."

Und Lucas schaffte es tatsächlich, bedrohlich zu klingen.

Angst.

Ich wusste, er nahm seine Worte ernst.

FatalityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt