Vor der Seestadt

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Ich schluckte Wasser, tauchte unter, kam wieder hoch und begann zu husten. Etwas knallte gegen meinen Arm und ein heftiger Schmerz durchzuckte mich. Verzweifelt paddelte ich mit den Armen und versuchte nach Luft zu schnappen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht die Zwerge in Fässer zu stecken und ins Wasser zu werfen?! Meine Finger stießen gegen etwas Hartes und ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich realisierte, dass es eines der Fässer war. In Panik krallte ich mich daran fest und versuchte den Kopf über Wasser zu halten. Im Inneren des Fasses rumpelte es und irgendjemand fluchte laut. Immerhin dieser Zwerg lebte noch.

Die Fässer wurden immer weiter flussabwärts getrieben und meine Armmuskeln brannten höllisch. Das Wasser war eiskalt und ich hatte nicht das Gefühl, dass es wärmer wurde. Mit der Zeit gewöhnte ich mich dran, doch irgendwann, ich bin mir nicht ganz sicher wann es war, spürte ich meine Beine nicht mehr. Diese unheimliche Taubheit breitete sich in meinem ganzen Körper aus und erschwerte mir das Atmen. Der Himmel verdunkelte sich und die Strömung ließ langsam nach. Ich verstärkte meinen Griff um das Fass und klopfte einmal dagegen. Ich erhielt keine Antwort. Beunruhigt klopfte ich noch einmal. Wieder kam keine Antwort. Die Fässer dümpelten vor sich hin und hinter der nächsten Kurve konnte ich Stimmen hören. Wir trieben um eine Biegung nach Osten und strömten in einen See ein. Dieser war so riesig, dass ich ernsthaft überlegte ob es sich hierbei wirklich nur um einen See und nicht ein Meer handelte. Das nördliche Ende des Gewässers, welches zum einsamen Berg hin lag, war nicht einmal zu erkennen. Beunruhigt glitt ich vom Fass herunter, kämpfte mich an den Rand und zog mich ans Ufer. Am liebsten wäre ich liegen geblieben und hätte mich nie wieder bewegt. Jeder Knochen schmerzte, jeder Atemzug war die Hölle, doch der Gedanke an die vielleicht noch nicht ertrunkenen Zwerge brachte mich dazu mich aufzuraffen, meinen Ring überzustreifen und den Fässern vom Ufer aus zu folgen. Tatsächlich wartete hinter der nächsten Kurve eine Gruppe von Menschen. Es schienen Fischer zu sein, drei an der Zahl. „Ed, siehst du das auch?", fragte der älteste der Drei. Ed, ein Mann mit einer Augenklappe nickte bedächtig. „Das sind Fässer", sagte er. „Die vertreiben die Fische!", murrte der Dritte. „Die kommen von den Elben...", sagte der Erste. „Aber wieso heute? Ich dacht erst in zwei Tagen? Seit wann halten sich die Elben nicht mehr an feste Zeiten?", fragte Ed. „Is doch egal! Wir müssen die Dinger rausholen, ansonsten treiben sie weiter und stürzen den Wasserfall runter", meinte der Erste. „Was geht uns das an? Wärn wir nich hier gewesen...", begann der Dritte, wurde jedoch von Ed unterbrochen: „Das sind die Fässer der Waldelben! Wenn die leer sind, schicken sie die los zur Seestadt und dort werden sie mit Vorräten gefüllt und zurückgeschickt. Mit dem König sollte man sich nicht anlegen!". „Hört auf zu quatschen, helft mir lieber!", rief der erste Mann seinen Kumpanen zu und zusammen machten sie sich an die Arbeit, die Fässer aus dem Fluss zu ziehen. Ich fühlte mich schlecht, einfach nur daneben zu stehen und nichts zu tun, doch was sollte ich machen? Die Fischer hievten das letzte Fass ans Ufer und betrachteten ihr Werk. „Und jetzt?", fragte der Dritte. „Lassen wir sie liegen. Irgendwer wird schon kommen und sie mitnehmen. So schwer wie die sind, können die unmöglich leer sein... die Elben sollten das echt mal kontrollieren, bevor sie die Dinger in den Fluss werfen!", antwortete der Erste. Und so packten sie ihr Zeug zusammen und verschwanden. Sobald sie außer Sicht waren, zog ich den Ring ab, rannte zu den Fässern und riss die Deckel förmlich ab. Erleichtert atmete ich aus, als ein Zwerg nach dem anderen herauskrabbelte. Nur Oris Fass lag geöffnet da und der Zwerg im Innern wagte sich nicht hinaus. Ich beugte mich zur Öffnung und spähte hinein. Ori lag nass, zitternd und vor Angst zusammengekrümmt am Boden des Fasses und umklammerte seinen eigenen Körper. „Komm raus Ori, du hast es geschafft", sagte ich und bekam prompt ein schlechtes Gewissen, da ich ihn und die anderen nicht wirklich vorgewarnt hatte. Ori stammelte irgendetwas vor sich hin, doch ich verstand ihn nicht. „Was ist?", fragte ich besorgt. „Dw-Dw... Dwalin", murmelte er und ich seufzte erleichtert, er hatte keinen Anfall oder so. „Dwalin? Ori braucht deine Hilfe!", rief ich laut und im nächsten Moment stapfte ein zerzauster Dwalin an mir vorbei. Er kniete sich neben das Fass und begann leise auf Ori einzureden. Ich entfernte mich ein Stück weit und lehnte mich erschöpft gegen einen Felsen. Meine Nase kribbelte und im nächsten Moment musste ich niesen. Oh nein, nicht schon wieder... Ich würde mal wieder krank werden. Seufzend suchte ich in meiner Tasche nach etwas, womit ich meine Nase schnäuzen konnte, bis mir einfiel, dass ich mein Taschentuch zu Hause vergessen hatte. Ich raufte mir das Haar und nieste erneut. „Das war ein Höllentripp! Ganz ehrlich Bilbo, ich bin dir wirklich dankbar, dass du uns da rausgeholt hast, aber das nächste Mal... lass dir was anderes einfallen, ja?", sagte Bofur und klopfte mir auf die Schulter. „Ich denke nicht, dass es ein nächstes Mal geben wird", entgegnete ich. „Du hast uns gerettet. Ohne dich hätten wir den Berg niemals pünktlich erreicht!", sagte Balin stolz und lächelte mich ein wenig gequält an. „Noch sind wir nicht da", murmelte ich abwehrend und ließ meinen Blick über alle Zwerge gleiten. Wir waren vollständig. Ori war auch aus seinem Fass gekommen und klammerte sich nun zitternd an Dwalin, der ein wenig hilflos wirkte und ihm unbeholfen über den Kopf streichelte. „Ich glaub ich hab mir sämtliche Knochen gebrochen!", murrte Gloin. Sein Bruder Oin nickte zustimmend. „Ich hab das Gefühl ich bin zu alt für so was", sagte er. Gloin lachte: „Was sollen dann erst Thorin, Dwalin und Balin sagen?". „Ich hab Hunger", merkte Bombur an, dicht gefolgt von einem lauten Knurren seines Magens. „Wie könnt ihr... alle... reden? Ich... bin total... erledigt", keuchte Nori und ließ sich mit dem Gesicht in den Dreck fallen. „Dann sei froh, dass du nicht in Filis oder Kilis Haut steckst, die scheinen ganz schön viel reden zu müssen!", bemerkte Dori und nickte mit dem Kopf nach hinten. Vor einer kleinen Baumgruppe standen Fili, Kili und Thorin und unterhielten sich eingehend. Ich konnte nur Thorins Rücken sehen, doch offenbar war er momentan nicht besonders freundlich. Filis und Kilis Gesichtern nach zu schließen, war er das genaue Gegenteil davon. Seufzend schlurfte ich zu ihnen hinüber. Streit konnten wir gerade wirklich nicht gebrauchen! „...schlechter Scherz!", rief Thorin als ich nah genug war um mitzuhören. „Du sagtest du willst die Wahrheit hören und das ist sie!", entgegnete Fili trotzig. „Meine Güte Fili! Wir waren alle in Gefahr! Wir alle saßen in Zellen fest und du... hast du überhaupt einen Gedanken an uns verschwendet?!", fragte Thorin gereizt. „Ja!", sagte Fili, senkte jedoch schuldbewusst den Blick. „Wie soll ich das jetzt deuten?", fragte Thorin. „Bilbo kam zu mir und hat mich dran erinnert...", gestand Fili kleinlaut und mit hängenden Schultern. Thorin seufzte schwer. „Wann lernst du deinen Kopf zu benutzen?! Das Teil ist zum Denken da. Das gilt für euch beide!", knurrte er. „Aber... es tut mir leid, Onkel", murmelte Fili. „Das ändert auch nichts! Ich will euch eigentlich nichts vorschreiben müssen, aber ihr lasst mir keine Wahl! Fili, Elben... wirklich?!", donnerte Thorin. „Ich kann es ihm nicht verdenken, einige von Ihnen waren wirklich scharf!", ging Kili dazwischen. Im nächsten Moment schien er zu registrieren, was er gesagt hatte und erstarrte. Thorin raufte sich die Haare. „Super, meine Neffen stehen auf blasshäutige Spitzohren! Und was noch besser ist, mein älterer Neffe, der nach mir König unter dem Berge werden soll, steht auf männliche Elben!", knurrte er. Fili sah ihn zutiefst verletzt an. „Es reicht!", sagte ich laut und musterte Thorin mit gerunzelter Stirn. Er warf mir einen finsteren Blick zu. „Du hast es gewusst?", fragte er düster. Ich nickte. „Na und? Wo liegt das Problem? Ob nun männliche oder weibliche Menschen, Elben oder Hobbits, ist das nicht egal? Es sollte überhaupt keine Rolle spielen und besonders du solltest ganz still sein! Fili mag Elben... männliche Elben und Kili offenbar weibliche. Und du magst... Verstehst du was ich sagen will? Dieser Streit hier ist unnötig, also hört auf!", sagte ich. Fili schenkte mir ein dankbares Lächeln. „Aber...", setzte Thorin an, verstummte jedoch bei dem Blick, mit dem ich ihn durchbohrte. Er erwiderte ihn grimmig. „Könnt ihr damit bitte aufhören? Ständig streitet ihr euch wegen irgendwas! Habt euch doch einfach mal nur lieb!", sagte Kili plötzlich. Thorin und ich starrten ihn gleichermaßen verblüfft an. Fili schmunzelte, dann brach er in Gelächter aus. „Ich meine das ernst!", sagte Kili an seinen Bruder gewandt. „Die Beiden bekommen es nicht auf die Reihe sich auch nur einen Tag lang zu vertragen!", fügte er hinzu. Er wandte sich wieder Thorin und mir zu: „Bilbo, hör auf so schüchtern und verunsichert zu sein und Onkel Thorin... schreib dir in deine Dickschädel, dass Bilbo dich genauso mag wie du ihn und gib dem Ganzen eine Chance!". Er atmete tief durch. „Meinetwegen umarmt euch wieder, küsst euch oder macht sonst was miteinander, aber hört auf zu streiten! Ich will eine glückliche Hobbit-Zwerg-Beziehung sehen und nicht dieses Drama!", fügte er hinzu. Dann schlug er sich die Hände vor den Mund. „Das hab ich grad nicht laut gesagt!", stammelte er. Fili lag auf dem Boden und kugelte sich vor Lachen. Langsam drehte ich meinen Kopf, sodass ich Thorin ansehen konnte, der wiederum jeglichen Blickkontakt mit mir vermied.

Der Hobbit - der Meisterdieb und der König unter dem BergeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt