Der letzte Besucher

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Jetzt ging das Chaos erst richtig los. Ich hatte keine Ahnung wie viele Zwerge in meinem Haus durcheinander liefen und meine Speisekammer plünderten. Ich sah wie einer der Zwerge sich meine Tomaten krallte. „Nein, das sind meine preisgekrönten Tomaten! Zurück damit!", rief ich und versuchte sie dem Zwerg zu entreißen, was ich mit viel Anstrengung auch schaffte. Ein extrem fetter Zwerg hatte sich meinen gesamten Käsevorrat genommen und trug ihn durch die Wohnung. „Ist das nicht ein wenig übertrieben?", fragte ich entsetzt und fügte etwas ruhiger hinzu: „Braucht Ihr vielleicht ein Käsemesser?". Ein Zwerg mit lustiger Mütze sah mich schelmisch grinsend an und sagte: „Käsemesser? Er ist ihn im Ganzen!". Ich musste tief Luft holen nach dieser Aussage. Im Ganzen. Verfluchte Zwerge! „Er sieht nicht so aus als ob er sich amüsiert", stellte ein Zwerg irgendwo fest und ich bemerkte, dass er mich ansah. Ach wirklich, ich amüsierte mich nicht?! „Wir könnten ihn durchkitzeln, vielleicht geht es ihm dann besser!", sagte Kili oder Fili, ich war mir immer noch nicht sicher wer, wer ist. Ich schnappte nach Luft. Ich hasste es ab gekitzelt zu werden und war froh, dass ich keine nervigen Verwandten oder Freunde hatte die so etwas machen konnten. Ich sah wie drei Zwerge mit Stühlen an mir vorbei liefen und mein Herz blieb fast stehen. „Das sind Antiquitäten! Stellt die sofort zurück, darauf sitzt man nicht!", rief ich wütend, doch niemand hörte auf mich. Gandalf stand in meinem Flur und musste sich ducken, da die Decke für ihn zu niedrig war. Er sah sich um und zählte etwas an den Fingern ab. „Dwalin, Balin, Oin, Gloin, Ori, Dori, Nori, Bifur, Bofur, Bombur, Fili, Kili... ein Zwerg fehlt", sagte Gandalf zu niemand bestimmten. Dwalin, der neben Gandalf stand und lässig an der Wand lehnte antwortete: „Er wird kommen! Er ist noch bei einem Treffen unserer Sippe". Gandalf seufzte. „Herr Gandalf, dürfte ich euch zu einem Tässchen Tee verführen?", fragte ein Zwerg und lächelte Gandalf an. Dieser schüttelte den Kopf. „Nein danke Dori. Für mich vielleicht einen Wein, danke", sagte Gandalf und wollte sich umdrehen und stieß dabei mit dem Kopf gegen meinen Kronleuchter. Das hatte er davon wenn er wahnsinnige Kleinwüchsige, die alle größer als ich waren, in mein Haus einlud! Die Zwerge hatten alles aus meiner Speisekammer auf zwei Tische verfrachtet, die sie in den Flur gestellt hatten. Nun bedienten sie sich an MEINEM Essen. Der blonde Zwerg, ob Kili oder Fili war mir so was von scheiß egal, lief über den Tisch und verteilte Bierkrüge. Sein Bruder rief laut: „Bei drei! Eins zwei... drei!". Alle setzten ihre Krüge an und tranken hastig das Bier. Bei allen lief es aus den Mündern wieder heraus und ich bekam einen Würge Reitz. „Gewonnen!", rief der Schwarzhaarige, doch sofort gab es lautstarken Protest. „Ich war vor dir fertig!", rief der Zwerg mit dem lustigen Hut. Sie schrien durcheinander und erhoben die Fäuste. Oh Gott! Ich hasste Schlägereien sowieso schon, aber noch mehr hasste ich sie, wenn sie in meinem Haus stattfanden! Die Zwerge verteilten sich im ganzen Haus, überall wo man hinsah, sah man Zwerge. Einer von ihnen wischte sich gerade mit einem Tuch den Mund ab und ich fiel, wie so oft an diesem Abend fast in Ohnmacht als ich sah was es war. Ich riss es ihm aus der Hand und legte es ordentlich zusammen. „Das ist ein Spitzendeckchen und keine Serviette oder ein Tischtuch!", sagte ich, obwohl ich nicht wirklich glaubte, dass mir jemand zu hörte. „Aber da sind Löcher drin!", sagte der Zwerg mit dem lustigen Hut. Wow, es hatte mir doch jemand zugehört! „Das ist auch richtig so, das ist geklöppelt!", versuchte ich ruhig zu erklären. „Oh, nichts geht über eine gute Klopperei!", rief er erfreut. Ich schloss kurz die Augen, in der Hoffnung, dass ich wenn ich sie wieder öffne alle Zwerge verschwunden waren und meine Speisekammer noch so aussah wie heute früh. So war es aber natürlich nicht. Ich fluchte. „Mein lieber Bilbo!", sagte Gandalf freundlich. „Was regt Ihr Euch denn so auf?", fragte er. Ich zog ihn am Arm mit mir mit. „Ich weiß nicht, ob ihr es bemerkt habt, aber hier ist ein Haufen Zwerge in meiner Hobbit Höhle!", rief ich. „Aber sie sind doch eine ganz nette Gesellschaft wenn man sich erst mal an sie gewöhnt hat!", sagte er ruhig. „Ich will mich aber nicht an sie gewöhnen! Ich versteh einfach nicht was die in meinem Haus wollen! Sie haben alles, ich wiederhole alles kaputt gemacht!", ich wurde langsam hysterisch. „Entschuldigung Sir, aber was soll ich mit meinem Teller machen?", fragte ein sehr junger Zwerg. Ich wollte gerade etwas sagen, da kam der Schwarzhaarige an und nahm ihm den Teller ab. „Gib ihn mir!", sage er und warf ihm zu seinem Bruder der vor der Küche stand. Dieser fing ihn geschickt auf und kickte ihn in die Küche zu einem weiteren Zwerg. Der Schwarzhaarige begann zu singen und die anderen stimmten mit ein. Im Lied ging es darum meine gesamte Einrichtung zu zerstören, zu verbrennen oder zu zerreißen. Sie sangen davon die teuren Gläser meiner Tante an die Wand zu werfen, mein Tischtuch aufzuschlitzen und noch vieles mehr, wofür ich sie alle am liebsten bei lebendigem Leibe verbrannt hätte. Zu meinem Glück sangen sie nur und machten es nicht wirklich. Nach der letzten Strophe stand tatsächlich mein gesamtes Geschirr ordentlich abgewaschen, abgetrocknet und gestapelt auf meinem Esstisch. Gandalf lächelte begeistert und die Zwerge lachten bei meinem überraschten Gesichtsausdruck. Wenn sie die Sachen jetzt auch noch wieder zurückräumen, den Dreck den sie verursacht hatten beseitigen und aus meiner Wohnung verschwinden würden, würde ich ihnen vielleicht sogar danken und Kusshände hinterher werfen! Ach und meine Speisekammer müssten sie auch wieder auffüllen! Plötzlich klopfte es laut an der Tür. Gandalf erstarrte und die Zwerge verstummten allesamt. „Er ist da", sagte Gandalf bedeutungsschwer. Wer war da? Noch ein dämlicher Zwerg der mein Haus zu Kleinholz verarbeiten wollt?! Wenn ja dann konnte ich dankend auf ihn verzichten! Gandalf öffnete die Tür und ich folgte ihm hastig. Ich hatte Recht, bei dem Besucher handelte es sich um noch einen Zwerg. Am liebsten hätte ich laut geseufzt und wäre in Tränen ausgebrochen oder so. „Gandalf! Du sagtest doch dieser Ort sei leicht zu finden. Ich hab mich verirrt... zwei Mal und ohne das Zeichen an der Tür hätte ich es gar nicht gefunden!", sagte der Zwerg mit einer tiefen Stimme. Zeichen? An meiner Tür ist kein Zeichen?! Die habe ich letzte Woche erst frisch gestrichen... ich meine, streichen lassen! Ich bemerkte, dass ich laut gesprochen hatte, da Gandalf mir antwortete: „Da ist ein Zeichen. Ich selbst habe es aufgetragen!". Ich wollte mich gerade darüber beschweren, doch Gandalf unterbrach mich. „Bilbo, darf ich dir den Anführer unserer Unternehmung vorstellen: das ist Thorin Eichenschild! Thorin, das ist Bilbo Beutlin", stellte er uns vor. Ich hätte diesem „Anführer" gerne meine Meinung über ihn und seine Zwerge mitgeteilt: ich hätte ihn gern nach dem Grund gefragt, weshalb sie mich heimsuchten; ich hätte ihm nur zu gern an den Kopf geknallt, dass er nicht gerade das größte Navigationsgenie war, da er sich im Auenland zweimal verlaufen hatte; ich würde ihm gerne eine Liste in die Hand drücken, auf der alles draufstand was beschädigt wurde und der Preis für deren Ersatz oder Reparatur; ich würde ihn, seine Zwerge und Gandalf gerne nach draußen zerren und ihnen meine Haustür, mit dem dämlichen Zeichen von Gandalf drauf vor der Nase zu schlagen, doch ich konnte nicht. Der Grund dafür war, dass er unglaublich gut aussah. Er hatte lange schwarze Haare, einen Bart und ein einzigartiges Gesicht. Seine Augen faszinierten mich und zogen mich in Bann. In ihnen lag eine verborgene Geschichte, Trauer, Leid, Hoffnung und Enttäuschung. Er stellte sich vor mich, verschränkte die Arme und musterte mich. „So... das ist also der Hobbit", sagte er und ich hörte den leicht spöttischen Unterton in seiner Stimme. „Welche Waffe ist die Eure, Meister Beutlin? Axt oder Schwert?", fragte er. Ich musste mein Gehirn wieder einschalten und mich erinnern wie man sprach. Axt oder Schwert? Gar nichts von beidem! Ich hasste Waffen! Waffen bedeuteten Krieg, Krieg bedeutete Tod, Tod bedeutete eine Menge Papierkram, eine Menge Papierkram bedeutete Arbeit und Arbeit war eine Metapher für das Wort „anstrengend" und das Verlassen des Sessels. „Ähm... ich bevorzuge es Konflikte mit Worten zu lösen", sagte ich schließlich und hätte mich am liebsten selbst geschlagen. Thorin zog eine Augenbraue nach oben. „Dacht ich es mir doch: Eher ein Krämer als ein Meisterdieb!", sagte er und diesmal war der Spott unüberhörbar. Er wandte sich ab und begab sich zu meinem Esstisch. Zwei Zwerge reichten ihm sofort etwas zu Essen und zu trinken. >Na klar bedient Euch einfach, ist ja nur mein Essen<, dachte ich wütend. Die anderen Zwerge setzten sich wieder an den Tisch und es begannen Gespräche über irgendein Treffen bei dem der Anführer, Thorin gewesen war. Thorin. Ein schöner Name. >Bilbo Beutlin erstens ist das ein Mann, zweitens ist das ein Zwerg, drittens ist er Schuld an dem ganzen Chaos, viertens ist er arrogant, fünftens er sieht gut aus... sechstens er... trägt einen... Ledermantel...<. Das war ein ziemlich schwacher Protest meines inneren Beutlins. „Sie werden nicht kommen... sie meinten das sei allein unsere Sache!", sagte Thorin gerade und ich genoss den Klang seiner Stimme. „Aber warum nicht? Es hieß wenn die Raben Erebors zum Berg zurückkehren wird Smaug besiegbar sein!", sagte ein rothaariger Zwerg und ich glaubte mich zu erinnern, dass er Gloin hieß. „Wenn wir die Zeichen gedeutet haben glaubt ihr dann nicht, dass es auch andere getan haben? Es werden sich andere Blicke zum Berg richten... deswegen müssen wir unsere Chance ergreifen und holen uns den Erebor zurück!", rief Thorin und setzte noch irgendwas in der Zwergen Sprache hinterher. Alle jubelten und brüllten um ihre Zustimmung zu bekunden. Ich verzog das Gesicht, warum mussten die so laut sein?! „Es gibt allerdings ein Problem... der Eingang ist verschüttet. Es gibt keinen Weg in den Erebor hinein...", seufzte das Weihnachtsmännchen namens Balin. Thorin ließ sich auf seinem Stuhl zurück sinken. Ich wollte mir nicht vorstellen wie niedergeschlagen er aussehen musste. „Das stimmt nicht ganz...", sagte Gandalf und zog eine Karte aus seinem Umhang. Alle beugten sich darüber. Auch war neugierig und betrachtete die Karte. Auf der Karte war die Zeichnung eines Berges, der ganz allein einfach in der Wildnis rumstand. Darüber stand in einer geschwungenen Handschrift: „der einsame Berg". Wer auch immer diese Karte erstellt hatte, er war nicht besonders kreativ. „Bilbo, könnten wir etwas mehr Licht haben?", fragte Gandalf. Ich hätte ihn gern angeknurrt, beleidigt die Arme verschränkt und gesagt: Wozu bist du Zauberer, mach dir doch selbst Licht!? Ich hatte den Mund sogar schon halb geöffnet, als ich Thorins Blick bemerkte. Er sah mich entnervt und hasserfüllt an. Schnell drehte ich mich um und verschwand, diesem Blick wollte ich so schnell wie möglich entkommen. Ich seufzte als ich eine Kerze gefunden hatte und zu den anderen zurückkehrte. Ich würdigte dem „Anführer der Unternehmung" keines Blickes, zumindest versuchte ich es und stellte würdevoll die Kerze auf dem Tisch ab... zumindest so würdevoll wie man eben eine Kerze abstellen kann. Kurz sah ich zu Thorin, doch der hatte sich der Karte zugewandt. Ich beobachtete ihn genau wie er auf die Karte sah. Während er das tat vielen ihm seine langen schwarzen Haare ins Gesicht. Als mir bewusst wurde, dass ich ihn anstarrte widmete ich mich ebenfalls wieder der Karte ohne sie wirklich zu beachten. Oh Himmel, diese Zwerge mussten schnellstmöglich wieder verschwinden!

Der Hobbit - der Meisterdieb und der König unter dem BergeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt