Verrat

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Metall klapperte, Schwerter und Äxte klirrten. Schweigend sah ich den Zwergen dabei zu, wie sie sich Rüstungen anlegten und bewaffneten. Mein Magen war irgendwo in meine Füße gerutscht und hatte sich dort verknäult. Das Loch in meinem Bauch, das nichts mit Hunger zu tun hatte, ließ mich zittern. Die Zwerge sahen grimmig drein. Sie alle wussten, dass sie sich für einen Kampf bereit machten, den sie nicht gewinnen konnten. Mein Herz schlug schmerzhaft gegen meine Rippen. Balin zeigte Ori, wie er eine Streitaxt richtig zu halten hatte. Bifur, Bofur und Bombur halfen sich gegenseitig, die Rüstungen anzuziehen. Balin hielt eine Axt in seiner Hand und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. „Bilbo", ertönte ein tiefes Brummen hinter mir und ich erschauderte. Ich wandte mich um und sah mich Thorin gegenüber. „Ich habe etwas für dich", sagte Thorin. Er hob ein silbrig glänzendes Kettenhemd hervor, dessen Glieder so klein, fein und filigran verwoben waren, dass es aussah wie ein sehr teures Seidenunterhemd. „Er will, dass wir das tragen, mit vermutlich nichts darunter. Wie erotisch", spöttelte mein innerer Beutlin. 'Wir?', dachte ich. „Das ist Mithril. Es ist robuster als gehärteter Stahl und leichter als Seide. Es ist eines der seltensten Metalle, die es gibt", sagte Thorin und reichte mir das Hemd. Ich musterte es erstaunt. „Du meinst das ernst? Es ist für mich?", fragte ich. Thorin lachte und nickte. „Natürlich". Ich legte meine Jacke ab und streifte das Hemd über mein eigenes. „Es soll dich schützen", sagte Thorin. Ich stockte. „Ich bin kein Krieger. Das war ich noch nie", sagte ich. Thorin umklammerte meine Schulter und zog mich von den anderen fort. „Das bist du. Du unterschätzt dich noch immer, Meisterdieb. Dies ist ein Geschenk. Ein Symbol unserer Verbundenheit. Nur wenigen kann man heutzutage noch Vertrauen", sagte er. Gegen Ende veränderte sich seine Stimme. Sie wurde gedämpfter und rauchiger. Sein Blick glitt zur Seite und er musterte kurz die Zwerge, die sich kampffertig machten, bevor er zu mir zurücksah. Seine Augen blitzten kurz in der Farbe von Opalen auf, bevor sie wieder das Blau annahmen. „Einer von ihnen ist ein Verräter!", zischte er. „Was?", fragte ich perplex. „Einer von ihnen hat ihn gestohlen! Den Arkenstein. Wer auch immer ihn mir vorenthält, er wird durch meine Hand sterben! Diese Verräter dort, haben ihn! Sie haben mich hintergangen!", knurrte Thorin. „Nein, das würde keiner von ihnen tun! Thorin, sie wissen wie viel dir dieser Stein bedeutet!", sagte ich. „Wieso ist er dann noch nicht gefunden? Weil einer ihn hat und versteckt hält!", zischte er. Ich schüttelte heftig den Kopf. „Diese Zwerge ziehen für dich in den Kampf! Sie würden für dich sterben und glaube mir, das werden sie! Du hast den Berg zurück, ist das nicht genug?", fragte ich mit bebender Stimme. „Es ist nicht genug ihn zu haben. Wir müssen ihn verteidigen. Diese Schätze gehören uns. Jede einzelne Münze ist unser! Das Erbe unseres Volkes ist jeden Blutstropfen wert, der vergossen wird!", sagte Thorin, die Stimme fremdartig verzerrt und wieder blitzten seine Augen auf. Ich wich zurück. Er hatte den Verstand verloren!

Die Nacht brach herein und ich stand auf dem Wall und dachte nach. Unheimliche Bilder erschienen vor meinem inneren Auge. Die Zwerge, jeder einzelne, blutig und von Pfeilen durchlöchert irgendwo in diesem Berg. Ich sah Ori, wie er mit einer Axt im Kopf auf dem Boden lag, Dwalin in einer Blutlache neben ihm. Bifur, Bofur und Bombur mit Pfeilen an eine Wand genagelt. Balin, dessen weißer Bart rot verfärbt war. Oin und Gloin zerstückelt und zerstochen. Dori und Nori, mit je zwei Pfeilen in den Augen. Thorin, auf seinem Thron, von einem Schwert festgenagelt und Filis und Kilis Köpfe auf zwei Spießen daneben. Ich schüttelte den Kopf, doch ich wurde die Bilder nicht los. Stattdessen kam ein weiteres hinzu. Ich, in meine Einzelteile zerlegt oder einfach nur mit einer großen blutigen Wunde am Kopf. Mir war übel. Mein Herz schmerzte und das Atmen fiel mir schwer. Ich konnte das nicht zulassen. Niemand durfte sterben! Nicht heute, nicht morgen und vor allem nicht wegen einer dummen Krankheit, die Thorin durchdrehen ließ. Sie alle würden an hohem Alter, mit einem Lächeln im Gesicht sterben. Ich fasste einen Entschluss, suchte nach einem Seil, befestigte es an der Mauer und zog kräftig daran. Es hielt. Plötzlich hörte ich Schritte. Ich ließ das Seil los und machte eilig ein paar Schritte davon weg. Bofur betrat den Wall. „Eine ruhige Nacht", sagte er. Ich nickte. „Und so klar. Man kann jeden einzelnen Stern sehen", sagte Bofur. Er wandte den Blick ab. „Morgen Nacht werden wir sie nicht mehr sehen. Da wird alles vorbei sein". Ich schluckte. Sein Blick fiel auf das Seil und ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. „Man kann es niemandem verdenken woanders sein zu wollen", sagte er. Ich verstand worauf er hinauswollte und mir wurde klar, wonach es für ihn aussah. Ich zögerte. Bevor ich etwas sagen konnte, öffnete Bofur bereits wieder den Mund: „Ich werde Bombur wecken. Er ist für die nächste Wache eingeteilt. Es wird dauern ihn zu wecken". Damit ging er wieder. „Bofur!", rief ich. Der Zwerg blieb stehen, wandte sich um und sah mich an. „Wir sehen uns im Morgengrauen", sagte ich. Er nickte und ging. Ich kletterte den Wall hinab und begann zu rennen. Auf halbem Weg holte ich meinen Ring hervor, streifte ihn über und lief unsichtbar weiter. Ich wollte es nicht riskieren, von einem Elben erschossen zu werden, der dachte ich sei ein Zwerg oder sonst irgendein Angreifer. Meine Lunge und meine Beine brannten, als ich die zerstörte Stadt Thal erreichte. Liebliche Klänge von Elben gespielter Musik, erfüllte die Luft. Feuer flackerten hie und da. Ich eilte durch die Straßen und hatte panische Angst, dass irgendjemand meinen Atem sehen konnte, der kleine Wölkchen in der kalten Nachtluft bildete. Ich erreichte ein großes, elegantes Zelt, an dessen Eingang zwei Elben wache standen. Ich zog den Ring ab und ging auf sie zu. Sofort spannten die Wachen ihre Bögen und richteten sie auf mich. Ich hob die Hände, um zu zeigen, dass ich keine bösen Absichten hatte. „Wer bist du, Wurm?", fragte der linke der beiden. „Bilbo Beutlin", sagte ich. „Und ich bin hier, um mit dem Anführer hier zu sprechen", fügte ich hinzu. Die Elben lachten. „Welchem Anführer? Dem König oder dem Drachentöter?", fragte der rechte. „Beiden", sagte ich sofort. Ich wurde grob an den Amen gepackt und ins Zelt geschleift. „Mein König, dieser Wurm hat sich vor Eurem Zelt rumgetrieben", sagte eine der Wachen. Ihre Griffe um meine Arme und Schultern taten weh. „Bilbo?", hörte ich eine bekannte Stimme sagen. Ich sah auf und mir klappte der Mund auf. „Gandalf!", rief ich erfreut. „Lasst ihn los, er ist ein Freund!", fuhr Gandalf die Elben an. Diese rührten sich nicht. Gandalf wandte sich nach links, wo ein großer, weißblonder Elb auf einem filigranen Stuhl saß. „Diese Augenbrauen kennst du doch!", stellte mein innerer Beutlin fest. „Lasst ihn", sagte Thranduil und die Elben ließen mich los. „Verschwindet", sagte Thranduil und die Beiden verließen hastig das Zelt. „Du kennst diesen Halbling?", fragte Thranduil Gandalf. „Das ist Bilbo Beutlin, ein Hobbit aus dem Auenland", stellte Gandalf mich vor. Ich verbeugte mich kurz. „Was machst du hier?", fragte jemand. Ebenfalls ein bekanntes Gesicht. Bard. „Ihr kennt euch auch?", fragte Thranduil überrascht an Bard gewandt. Bard nickte knapp. „Nur flüchtig. Ich habe ihm und den Zwergen geholfen", sagte er. „Er stand neben Eichenschild, als ich vorhin Verhandeln wollte". Thranduil nickte interessiert. „Nun denn, Bilbo Beutlin, was treibt dich hier her, wo du doch offensichtlich ein loyaler Anhänger der Zwerge bist?", fragte mich der Elbenkönig. „Schickt Eichenschild dich?", fragte Bard. „Wenn er uns drohen will, dann hätte er jemand größeres schicken sollen!", fügte er spottend hinzu. Ich zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Ein Krieg ist unnötig!", sagte ich. „Ich bin hier um euch etwas zu geben". Vorsichtig zog ich den Arkenstein aus meiner Jacke und legte ihn in die Mitte eines kleinen, edlen Tisches. Bard, Gandalf und Thranduil starrten darauf. Alle drei mit ehrfürchtigen Mienen. „Wie ist er in deinen Besitz gelangt?", fragte Thranduil. „Er gehört mir nicht. Nicht wirklich. Ich hatte die Aufgabe ihn zu finden und das habe ich getan", antwortete ich. „Du solltest ihn finden?", fragte Bard ungläubig. „Ja, ich habe da so einen Vertrag unterschrieben. In eben diesem steht im Übrigen wirklich nur, dass ich diesen Stein finden soll, nicht, dass ich ihn Thorin aushändigen muss", sagte ich an Gandalf gewandt. „Wieso gibst du ihn uns? Wieso verrätst du die Zwerge?", fragte Bard. Ich schüttelte den Kopf und lachte: „Das tue ich nicht". „Ich mache das nicht für euch. Ich will einen Kampf verhindern und dies schien mir die einzige Möglichkeit zu sein", sagte ich. „Wieso hilfst du Thorin Eichenschild? Wie stehst du zu ihm?", fragte Thranduil interessiert. „Bevor er sich in einen krankhaften, goldgeilen, aggressiven Psychopathen verwandelt hat oder danach?", fragte mein innerer Beutlin. Meine Mundwinkel zuckten halb belustigt, halb traurig. „Es geht nicht nur um Thorin. Es geht um diese Gemeinschaft an Zwergen. Ja, sie sind laut, haben schreckliche Manieren, sind ein wenig gierig und viele von ihnen sind keine Schönheiten. Dennoch sind sie mir wichtig. Nach allem, was ich mit ihnen erlebt habe, kann ich sie denke ich als meine Freunde bezeichnen. Nein, das ist falsch. Diese dreizehn, durchgeknallten, lebensmüden Zwerge, sind meine Familie. Und seine Familie beschützt man, um jeden Preis", sagte ich. Stille war eingetreten. „Du hast ein großes Herz, kleiner Hobbit", sagte Thranduil. „Dennoch, denkst du nicht, dass die Zwerge es als Verrat ansehen werden?", fragte er und deutete auf den Arkenstein. Ich zuckte mit den Schultern. „Es spielt keine Rolle, wenn ich sie so retten kann! Dieser Stein bedeutet Thorin alles. Wenn ihr ihm den zum Tausch gegen das Versprochene anbietet, wird er darauf eingehen und es muss zu keinem Kampf kommen", sagte ich. „Was mit mir geschieht, kann ich nicht sagen. Das konnte ich von Anfang nicht. Seit ich diesen Vertrag unterzeichnet und mein zu Hause verlassen habe, weiß ich nicht, wohin mich mein Weg führt". „Als nächstes erst mal in ein warmes und bequemes Bett, würde ich sagen", sagte Gandalf. Ich stutzte. „Nein, ich kann nicht, ich muss zurück!", sagte ich. Gandalf schnaubte. „Damit Thorin dich als Verräter beschimpft und tötet? Kommt nicht infrage!", sagte er. „Die anderen Zwerge werden denken, dass ich sie im Stich gelassen hätte!", protestierte ich, doch Gandalf nahm mich bei der Schulter und führte mich aus dem Zelt, zu einem anderen. „Ihr da!", rief er einen buckligen Mann heran. „Sorgt dafür, dass dieser Hobbit etwas zu Essen bekommt. Und achtet darauf, dass er in dem Zelt bleibt, sollte er versuchen zu verschwinden, sagt ihr mir bescheid!", wies er diesen an. Ich wurde in das Zelt in ein Bett gesteckt und bekam einen großen Teller voller köstlich duftender Suppe. Ich schlürfte diese hastig hinunter, verbrannte mir Rachen und Zunge und stellte den Teller beiseite. Ich konnte den Schatten des Mannes vor dem Zelteingang sehen. Er schien nicht allzu genau aufzupassen. Trotzdem streifte ich meinen Ring über, kroch hinten unter der Zeltplane hindurch und rannte zurück zum Erebor. Der Morgen graute, als ich die Mauer erklomm, das Seil löste und hastig versteckte. Mein Herz hämmerte wie wild und ich fühlte mich unglaublich schlecht. Hatte ich das Richtige getan? Hoffentlich. Ich eilte zu meiner Schlafkammer, rollte mich zusammen und versuchte noch für ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Der Hobbit - der Meisterdieb und der König unter dem BergeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt