Abschied

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Es waren zwei Tage vergangen, in denen ich in einer Zelle saß und nur die gegenüberliegende Wand betrachtete. Immer und immer wieder wurde der selbe Singsang in meinem Kopf abgespult.

Du bist eine Mörderin! Du bist eine Mörderin!

Ich hatte das Gefühl, dass mich die Stimmen verspotteten. Es geschah mir zu Recht.

Ich saß da und wusste, dass mein Leben an einem seidenen Faden hang. Dazu wohl auch noch in den Händen von Mycroft, der alles gab, wie mir schien. Ich konnte mir förmlich ausmalen, wie er mit seinen Kollegen darüber redete, was man mit mir machen sollte. Wahrscheinlich dankte ich ihm auch den Umstand, dass ich ganz alleine in dieser Zelle saß.

Plötzlich klimmperte es neben mir und ich sah auf.
Einer der Wärter öffnete die Tür und Mycroft kam herein. Seine sonst immer so autoritären Augen, schienen voller Sorge und Kummer zu sein. Er setzte sich neben mich auf die Pritsche, die mein Bett darstellte.

"Warum hast du das gemacht?", fragte er mich nach einer langen Zeit des Schweigens.
"Er bedrohte die Sicherheit vieler Menschen, zu denen auch mein Freund und meine beste Freundin gehörten. Was, deiner Meinung nach, hätte ich sonst tun sollen?", antwortete ich mit krächziger Stimme.
"Du hättest ihn mir überlassen sollen."
"Er hatte dich auch um den Finger gewickelt, großer Bruder", sprach ich die Wahrheit aus.
"Nein, kleine Schwester, hatte er nicht", widersprach er, doch ich konnte ihm anhören, dass er log.

Eine Stunde später saß ich mit ihm zusammen in einem Auto, das uns zum Flughafen fuhr. Ich wurde weggeschickt, da man befürchtete, dass ich irgendwelche Aufstände zu verantworten hätte, würde man mich für länger ins Gefängnis stecken. Die verwechselten mich wohl mit Sherlock.

Mycroft hatte sich direkt neben mich gesetzt und hatte einen Arm um meine Schulter gelegt. Ich wusste nicht, warum er das getan hatte, aber ich hatte das Gefühl, dass selbst er mich nicht gehen lassen wollte. Es war immerhin ein Auftrag ohne Wiederkehr. Das Richtige für eine Mörderin.

Der Wagen hielt an und mein Magen verkrampfte sich noch mehr. Ich schnallte mich ab und öffnete die Tür. Ich stieg aus und betrat zum letzten Mal in meinem Leben englischen Boden.

Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf und straffte meine Schultern. Ich schritt um das Auto herum und stellte mich mit Abstand vor meine Freunde und Familie, die anscheinend schon länger auf mich warteten.

Sherlock, Mary, John und Sebastian standen vor mir.

"Das ist dann wohl das letzte Mal, dass wir uns sehen", sagte ich und schaute jeden einmal an. Mycroft stellte sich neben Sherlock und wechselte einen kurzen Blick mit ihm. "Ich habe Euch allen viel zu verdanken und werde Euch niemals vergessen. Ihr seid meine Freunde und Familie. Ihr seid mir alle ans Herz gewachsen, einige auch, weil ich mit ihnen aufgewachsen bin." Ich sah einmal lächelnd zu meinen großen Brüdern.
Ich ging zu ihnen und drückte sie beide einmal fest. Beide wollten mich am liebsten nicht loslassen. Doch irgendwann ließen sie mich los. Ich musste jetzt schon mit Tränen kämpfen. Ich drehte mich zu Mary und drückte sie vorsichtig, um ihrem Kind nicht zu schaden. Sie war schon vorher in Tränen ausgebrochen und konnte sich jetzt auch nicht mehr einkriegen. Als nächstes umarmte ich John.
"Pass' ja auf den großen, langen da auf", sprach ich.
"Mach' ich das nicht sowieso schon immer?"
Ich beugte mich vor, um ihm etwas ins Ohr zu Flüstern. "Falls du ihn ein wenig ärgern möchtest und kannst nenn' ihn einfach 'William Sherlock Scott Holmes', das ist sein voller Name!"
John nickte lächelnd.
Jetzt stand ich vor Seb, der wie ein getretener Hund aussah.
Ich konnte nicht anders und fiel ihm um den Hals. Er kam etwas zu mir herunter, damit ich nicht in der Luft hängen musste. Er schlang seine Arme um mich und drückte fest zu. Auch er wollte mich anscheinend nicht loslassen.
Dann drückte er mich ein wenig von sich weg und küsste mich, wie es jemand machte, der wusste, dass sein Partner nie wieder zurück kam. Ich löste mich von ihm und sah ihm tief in die Augen. Wir weinten beide.
"Ich liebe Dich", flüsterte ich, bevor ich ihn noch einen kurzen Kuss auf die Wange gab und mich umdrehte.
Ich ging zum Flugzeug und stieg langsam die Treppe herauf. Als ich oben angekommen war drehte ich mich um und sah noch einmal zu den fünf.
"Macht's gut!", war meine Verabschiedung. Ich drehte mich um und verschwand im Flugzeug. Die Tür schloss sich und ich setzte mich auf einen der Plätze.
"Wir starten in wenigen Augenblicken. Kann ich ihnen noch etwas bringen, Miss?", fragte mich eine nett aussehende Stewardess.
"Nein, danke", antwortete ich und blickte aus dem Fenster.
Wir rollten auf die Startbahn und ich sah das letzte Mal meine Freunde.
Sie standen alle noch immer da, wo ich sie hatte stehen lassen hatte, und blickten dem Flugzeug hinter her, wie es mich von ihnen weg brachte.
Wir wurden schneller und hoben schließlich irgendwann ab. Damit war mein Todesurteil vollstreckt wurden und ich würde bald zwischen einer Horde von verrückten Undercover arbeiten. Dafür waren allerdings hunderte von Leben gerettet. Magnussen konnte nie wieder irgendwem Schaden zufügen. Das war mein Leben wert gewesen. Und wie es schien hatte ich meinen Sinn und Zweck auf Erden erfüllt. Es war zwar kein so beruhigender Gedanke, doch ich denke, dass das noch nicht viele von sich hatten sagen können.

"Für Sie", sagte die freundliche Stewardess nach einigen Minuten, dich einfach die Wolkendecke beobachtet hatte, die sich um das Flugzeug schloss. Sie hielt mir ein Telefon entgegen, das ich erst einmal irritiert anstarrte.
Perplex nahm ich es schließlich entgegen.

"Du hast Glück, dass ich der Einzige bin, der dieses Rätsel lösen kann", hörte ich Sherlock.
"Ich bin gerade mal zwei Minuten weg und du hast einen neuen Fall?", fragte ich ihn.
"Ja, und wie gesagt, ist es dein Glück, dass ich der Einzige bin, der ihn lösen kann."
Das Flugzeug war bereits umgekehrt.
"Was ist es dieses Mal?", fragte ich. "Und warum ist das Flugzeug umgekehrt?"
"Du wirst es mit eigenen Augen sehen können, wenn du wieder da bist. Und es ist umgekehrt, weil ich mich geweigert habe den Fall zu lösen, wenn du nicht umgehend zurück gebracht wirst."
"Es scheint jemand sehr bedeutungsvolles deine Hilfe zu beanspruchen!"
"Ja, ein alter Freund von dir und mir."
"Wer?"
"England!"
"Das ist sehr präzise ausgedrückt wusstest du das?", sprach ich mit einem Lächeln auf den Lippen.
Das Flugzeug setzte zum Landeanflug an und landete sehr weich.
"Kleine Schwester, das wusste ich."
Ich lächelte, als ich die fünf sah, wie sie gespannt auf mich warteten.
Ich stand auf und beendete das Telefonat. Die Tür des Flugzeuges stand offen und die Treppe davor.

"Anscheinend werdet ihr mich doch nicht so schnell los!", sprach ich lächelnd.

"Das Spiel geht weiter!"

Die Schwester des Sherlock Holmes (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt