Knapp vorbei

202 7 0
                                    

Die Wolkendecke war aufgebrochen. Der Schnee war liegen geblieben und knirschte unter unseren Füßen, als wir Richtung Kölner Dom gingen - zurück an unseren Treffpunkt.
Ich hatte meine eisigen Hände in die Jackentasche gesteckt und mein halbes Gesicht in dem kuscheligen Schal versteckt. Der kalte Wind ließ meine Augen tränen und meine Haut schmerzen.
"Also", hörte ich Michael hauchen und sah zu ihm hinauf. "Ich würde sagen, das müssen wir wiederholen".
Ich schmunzelte. Eigentlich wollte ich mich noch nicht von ihm verabschieden, doch der Weihnachtsmarkt hatte bereits seit einer halben Stunde geschlossen und es war viel zu kalt um einfach ziellos durch die Gegend zu laufen.
Damit Michael mich verstehen konnte, befreite ich Nase und Mund aus dem Schal. "Ja, das wäre schön.", entgegnete ich, unschlüssig darüber was ich als nächstes machen sollte. Ich hatte das leichte Verlangen ihn zu küssen, doch wahrscheinlich war es noch zu früh. Stattdessen blickte ich an dem Rapper vorbei, empor zu dem beleuchteten Kölner Dom, der in dem Licht an Mystik gewann. Michael folgte meinem Blick und blieb stehen.
"Warst du schon mal oben?", fragte er mich und wandte sich von den Bauwerk ab.
Als Antwort schüttelte ich mit dem Kopf. "Ich hatte es immer vor.", sagte ich. "Aber es kam nie dazu.".
"Na dann weiß ich, was wir bei unseren nächsten Date machen werden.", meinte Michael mit dunkler Stimme und senkte seinen Blick.
"Wer sagt, dass es ein zweites Mal geben wird?", neckte ich ihn und blickte ihm mit einem schelmischen Grinsen ins Gesicht.
"Ich weiß es einfach.", hauchte Michael. "Aber das erste ist ja noch nicht einmal vorbei.".
Was soll das heißen, Schindler?
Verwirrt runzelte ich mit der Stirn und legte meinen Kopf schief, woraufhin Michael belustigt schmunzelte.
"Du wolltest mich doch mal zu dir einladen, weißt du noch?", fragte er.
Ist er auf Sex aus, ist es das?
"Ähm... ja klar, weiß ich das noch.", meinte ich mit leichter Verunsicherung in der Stimme, was Michael scheinbar gleich bemerkte.
"Wir müssen nicht, das war nur ein Gedanke.", entgegnete er und hob abwehrend die Hände.
"Nein.", sagte ich rasch. Ich wollte nicht, dass er ging. "Ich würd mich freuen.".
Kaum war das letzte Wort gefallen, begaben wir uns in unsere Autos und fuhren zu mir nach Hause. Während wir so die Stufen hochgingen fragte ich mich, wo er wohl wohnte. Aussprechen tat ich die Frage allerdings nicht.
Dicht gefolgt von Michael schloss ich die quietschende Wohnungstür auf und ließ den Rapper eintreten. Selbstbewusst trat er ein und stand bereits im Wohnzimmer, das er mit Adleraugen betrachtete.
Wahrscheinlich war er etwas anderes gewöhnt, als diese kleine Zweizimmerwohnung und dem winzigen Bad und der Küche, in die keine zwei Leute Platz fanden.
"Gemütlich.", meinte er und ließ sich auf meine schwarze Couch fallen, die ihn farblich ganz verschluckte.
Ich zog Jacke, Schuhe, Mütze und Schal aus und stellte mich dann auffordernd neben Michael.
"Zieh deine Jacke aus.", bat ich. "Ich will mal gucken, ob ich den Glühwein rausbekomme.".
"Ach, ich kauf mir einfach ne neue Jacke.", winkte er ab, zog sie aber artig aus. Als ich jedoch danach griff und in Richtung Bad verschwinden wollte, hielt er mich auf: "Joyce, wirklich. Du sollst sie nicht waschen. Setz dich lieber zu mir.".
Ich sah in seine bittenden Welpenaugen und schmolz im Inneren förmlich dahin. Wieso musste er diesen Blick auch perfekt drauf haben? So hing ich die Jacke lediglich an die Garderobe und stopfte seine Wollmütze, die er mir reichte, in einer der Seitentaschen. Danach ließ ich mich neben ihm nieder.
"Soll ich dich mal rumführen?", war mein erster Satz und sprang gleich wieder auf. Ich kannte diese Art von Nervosität nicht, die in mir brodelte wie ein aktiver Vulkan.
Michael sah etwas enttäuscht aus, richtete sich allerdings auf und nickte.
Ich zeigte ihm die kleine Küche, das winzige Bad und schließlich das Schlafzimmer. Als mein Blick auf mein gemachtes Bett glitt, spürte ich ein Kribbeln im Unterleib. Automatisch stellte ich mir vor, wie es wäre mit Michael dort zu liegen. Wie er mich in die Matratze drückte und sich auf mich legte. Wie wir beide aneinander gekuschelt einschliefen und am Morgen völlig zerzaust erwachten.
"Nett.", hörte ich Michaels Stimme kommentieren und löste meinen Blick vom Bett.
In Michaels Augen lag so ein Funke. Sie schienen sagen zu wollen: "Lass uns das Bett mal ausprobieren".
Ein jeder Dritter hätte die Funken gesehen, die in der Luft knisterten und die Elektrizität gespürt, die unsere Blicke auslösten, als sie aufeinander trafen.
Auf einmal merkte ich, dass Michael seinen Blick auf meine Lippen gerichtet hatte. Er kam mir näher. Beugte sich leicht nach unten. Hatte mich fast erreicht.
Ich zuckte zurück. Das konnte ich nicht... noch nicht. Ich wollte es. Ich wollte ihn küssen, doch es war nicht der richtige Zeitpunkt.
Verwirrt hielt Michael in der Bewegung inne und blinzelte verwirrt. Dann richtete er sich auf und räusperte sich, während seine Hand einmal durch seine perfekt-frisierten Haare fuhr.
"Ähm.", machte ich und sah verlegen nach unten. "Es... es tut mir leid. Ich kann einfach nicht. Es ist einfach... einfach noch zu früh."
Es verging eine Ewigkeit. Und eine zweite. Erst dann ertönte der Klang seiner enttäuschten Stimme.
"Okay.", meinte er. "Dann gehe ich jetzt wohl besser.".
Ich wollte, dass er blieb - wenn möglich die ganze Nacht. Aber ich hielt ihn nicht auf, als er nach seiner Jacke griff und zur Tür ging. Er hatte es so eilig, dass er sie noch nicht einmal anzog. Noch nicht einmal eines Blickes würdigte er mir, als er ein kurzes "bis dann" murmelte. Im nächsten Moment fiel die Tür ins Schloss. Nun war ich mit meinen Schuldgefühlen alleine.

Und Action! [Shindy FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt