Schlechtes Gewissen

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"Du bist so schweigsam.", stellte Liam fest, als er seinen teuren Audi auf dem Friedhofsparkplatz einparkte und die Handbremse anzog.
Ich hatte während der gesamten Fahrt gedankenverloren aus dem Fenster geguckt und über die unangenehme Situation zwischen dem Rapstar und mir nachgedacht. Ein große Hilfe war es nicht, dass Liam in seinem Auto Shindys Musik hörte. Die Stimme erinnerte mich zu sehr an ihn - logisch.
"Ja, ich glaube ich kriege eine Erkältung.", redete ich mich raus und stieg aus dem Wagen.
"Oh je.", machte Liam. "Glücklicherweise habe ich es schon hinter mich gebracht.".
Seinetwegen lächelte ich, obwohl mir eher nach weinen zumute war. Michael und ich hatten seit dem Abend nicht mehr miteinander geredet. Vielleicht war es sogar für ihn unangenehmer, als für mich. Ich wusste, dass ich ihm eine Erklärung schuldig war, aber wie konnte man jemanden etwas erklären, was man selber nicht verstand?
"Das Grab muss schlimm aussehen.", hörte ich Liam seufzten. Dann schloss er den Wagen ab. "Ich war ewig nicht mehr hier.".
Ich verschwieg Liam, dass ich erst kürzlich unseren ehemaligen Kunden hier getroffen hatte. Er sollte nicht erfahren, was zwischen mir und Michael gelaufen war. Sicherlich würde er dies als "unprofessionell" abstempeln.
"So schlimm wird es wohl nicht sein.", versuchte ich ihn zu besänftigen, als wir Richtung Grab gingen.
Oftmals mochte ich die Stille auf diesem Friedhof. Sie war nie unangenehm. Viel eher war es eine friedliche Stille, in die man sich gerne vergrub, um nur für einen winzigen Augenblick von der Welt entfernt zu sein. Doch an diesem Tag war es anders.
Ich war wahrscheinlich nicht die einzige, die überrascht darüber war, dass es dauernd zu schneien schien und der Schnee auch noch liegen blieb! Aber ich war eine der wenigen, die sich nicht darüber beschwerten. Die weiße Decke auf den Gräbern ließ alles nicht so öde wirken und die Fußspuren im Schnee ließ einen wissen, dass dieser Ort nicht ganz verlassen zu sein schien.
"Hey, guck mal.", riss mich Liam aus den Gedanken.
Ich blickte zu ihm auf. Er deutete mit dem Kinn in Richtung Dads Grab und runzelte verwirrt die Stirn. Neugierig folgte ich seinem Blick und musste hart schlucken, als ich eine schwarze Gestalt vor Dads Grab stehen sah.
Keinen Zweifel hatte ich daran, dass es sich hierbei um Michael Schindler höchst persönlich handeln musste. Er war wie üblich vollkommen in schwarz gekleiden. Über ihm stieg der Rauch seiner Zigarette in die Luft und wurde mit der leichten Brise verweht, die über den Friedhof wehte.
"Herr Schindler?", fragte Liam überrascht, als wir näher traten und schließlich direkt vor ihm stehen blieben.
Michael zuckte zusammen und wirbelte herum. Er schien in Gedanken gewesen zu sein. Seine großen Augen fielen erst auf meinen großen Bruder. Dann auf mich.
Ich schluckte das Unbehagen herunter, das in meinem Magen grummelte. Am liebsten wäre ich weggerannt, zwang mich aber stehen zu bleiben. Es entging mir nicht, dass mich Michael vorwurfsvoll anstarrte und dann an seiner Zigarette zog.
"Was machen Sie hier?", fragte Liam und reichte dem Rapper die Hand.
Dieser blies den Rauch in die Luft, wandte sich von mir ab und drückte halbherzig die Hand meines Bruders. Erst dachte ich, er würde mir auch die Hand reichen wollen, doch dann ließ er die Zigarette in den Schnee fallen und schob seine Hände in die Jackentaschen.
"Ich war nur hier, um meinen Vater zu besuchen.", meinte Michael. "Und dann bin ich auch hier bei Ihrem Vater vorbeigekommen.".
"Woher wissen Sie, dass es unser Vater ist?", harkte Liam nach und legte den Kopf schief.
"Oh, ich habe Joyce neulich hier getroffen. Und wir haben uns unterhalten.".
Liam sah zu mir hinab. "Das hast du mir gar nicht erzählt.", sagte er zu mir und schien eine Entschuldigung zu erwarten. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern.
"Ich bin nur nicht dazu gekommen.", erklärte ich. Meine Stimme klang ungewöhnlich hoch. Ein Anzeichen dafür, dass mir die Situation mehr als unangenehm war.
"Hast du mich deshalb auch nicht zurückgerufen?", fragte Michael nun deutlich provozierend und hob schnippisch die Nase in die Höhe. "Oder auf meine Nachrichten geantwortet?".
Bitte sei einfach ruhig.
Ich spürte, wie ich rot wurde. Was hätte ich antworten sollen?
"Tut mir leid.", war das einzige was mir einfiel. Es war keine schöne Antwort, aber die einzige, die ich hatte.
"Moment.", mischte sich Liam ein und hob beide Hände abwehrend nach oben, während er verwirrt mit dem Kopf schüttelte. Dann blickte er zwischen mir und Michael hin und her. "Ihr habt euch getroffen?", fragte er mich und deutete mit dem Finger auf den Starrapper, der sich eine neue Zigarette anzündete.
Als Antwort nickte ich nur.
"Privat?", fügte Liam hinzu.
Erneut nickte ich. "Aber- ".
"Aber keine Sorge ", schnitt mir Michael das Wort ab und blies den Rauch in die Luft. "Es wird nie wieder vorkommen.". Indem wandte er sich ab, rief ein kurzes "Auf Wiedersehen" über die Schulter und stampfte den verschneiten Weg entlang.

Und Action! [Shindy FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt