Erster Besuch

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12 Tage danach

Kaum war der erste Schock vorbei, kam auch der nächste. Ramiro hat kein Gefühl mehr in seinen Beinen. Neben seinen zahlreichen Schrammen, dem Armbruch und dem komplizierten Rippenbruch kann er nun auch seine Beine nicht mehr spüren. Und an mich erinnern kann er sich auch nicht. Das einzige was er noch weiß, ist seinen Namen, die Namen seiner Eltern und das er in Buenos Aires lebt. Der Rest ist weg. Ich glaube mich nimmt das ganze mehr mit. Immerhin weiß ich ja noch wer er ist, aber er nicht mehr wer ich bin. In der Schule kann ich mich nur schwer konzentrieren. Geskatet bin ich auch nicht mehr. Ohne Ramiro hab ich einfach keinen Spaß mehr daran. Jim gibt sich wirklich große Mühe mich aufzumuntern und abzulenken, genau wie Luna und Nina, aber es gelingt nicht. Ich liege wieder weinend auf meinem Bett. Um mich herum einige Bilder von Ramiro. Ich hätte nicht gedacht, das mich etwas, jemals in so ein tiefes Loch fallen lassen könnte. Wir wären bald nach London geflogen. Unser erster gemeinsamer Urlaub. Wir wollten noch so viel gemeinsam erleben. Wir haben schon so viel erlebt. Er ist meine erste große Liebe. Seit seinem Unfall war ich nicht mehr im Krankenhaus. Ich kann es momentan einfach nicht aushalten ihn zu sehen. Er hält mich ja sowieso für eine Fremde.
Wie würde ich wohl reagieren, wenn ein völlig fremder an meinem Krankenbett stehen würde und dann sagt er sei mein Freund? Ich würde ihn vermutlich für bescheuert erklären und dann jemanden rufen, der ihn rauswirft. Vermutlich waren schon all unsere Freunde bei ihm. Aber auch die kennt er ja nicht. Ob es sie auch so mitnimmt? Keine Ahnung, mir hat noch keiner was gesagt. Vermutlich will mich keiner belasten und dafür bin ich dankbar. Ich greife nach einem der Fotos und schaue es mir an.

 Ich greife nach einem der Fotos und schaue es mir an

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Das hat er mir mal geschickt als er skaten war. Ich habe noch tausende solcher Bilder auf dem Handy. Meistens zieht er komische Grimassen oder hat einen ernsten Blick drauf. Ich habe wenig Bilder, wo er lächelt. Meistens bin ich da mit drauf. Ob Bilder ihm helfen würden seine Erinnerung wieder zu erlangen? Als ob. Ich zeig einem der im Rollstuhl sitzt ja auch nicht ein Bild, wo er auf beiden Beinen steht und plötzlich kann er wieder gehen.
"Yam?" höre ich die Stimme meiner besten Freundin. Seit Tagen versucht sie mich zu überreden Ramiro zu besuchen, aber ich schaff das einfach nicht. Es geht noch nicht, es ist zu früh.
"Mhhh" murmel ich nur und betrachte weiterhin meinen wunderschönen Freund auf dem Foto.
"Hey" höre ich sie sagen und dann setzt sie sich neben mich, darauf bedacht sich nicht auf die Bilder zu setzen. Ich schaue sie nicht an, sondern blicke weiterhin nur auf das Bild, welches immer verschwommender wird. Es fließen immer mehr Tränen, was Jim wohl bemerkt hat, denn sie nimmt mich leise in den Arm.
"Hier" höre ich plötzlich eine andere Stimme. Erschrocken reiße ich meine Augen auf.
"Matteo" sage ich leise und nehme das Taschentuch entgegen.
"Hey" sagt er und schenkt mir ein kleines Lächeln. Aus Höflichkeit zucke auch ich kurz mit den Mundwinkeln. Dann löse ich mich von Jim und schnaube erstmal aus und wische mir mit einem weiteren Taschentuch von Matteo die Tränen weg. Ich sehe bestimmt fürchterlich scheiße aus, genauso wie ich mich fühle.
"Wir wollen dann noch zu Ramiro" sagt Jim dann irgendwann.
"Viel Spaß da" sage ich nur.
"Bitte komm mit Yam" bittet sie mich.
"Was soll ich da? Er kennt mich nicht. Er weiß nicht wer ich bin"
"Hör mal Yam" mischt sicht jetzt Matteo ein, "Uns kennt er auch nicht mehr. Wir tauchen da alle täglich auf und er fragt sich bestimmt 'Wer sind all diese Leute eigentlich?' Wir erzählen ihm immer mehr Geschichten von uns, damit er weiß das wir seine Freunde sind. Wir bringen immer Bilder mit, oder zeigen sie ihm auf dem Handy, damit er sieht das wir wirklich seine Freunde sind. Du fehlst dort Yam, wirklich. Es tut ihm leid das er nicht weiß wer du bist. Luna quatscht ihn jedes Mal damit voll wie süß ihr gewesen seid und das ihr ja Seelenverwandte sein und was weiß ich noch. Gib ihn nicht auf, das hat er nicht verdient. Er braucht uns jetzt..uns alle und das schließt dich mit ein"
Während seinem kleinen Vortrag heule ich weiter. Es ist so rührend wie Matteo sich für Ramiro einsetzt. Die beiden haben sich die letzten Wochen wirklich gut verstanden und das hatte Jim und mich riesig gefreut, denn keiner der beiden hatte was gegen Doppeldates.
"Meint ihr ich soll auch ein paar Bilder mitbringen von uns beiden?" frage ich und ein kleines Lächeln huscht mir über die Lippen. Irgendwie kehrt gerade die Hoffnung zurück. Die Hoffnung das er sich erinnern wird.
"Ja na klar. Such ein paar Bilder raus und dann fahren wir los" sagt Matteo.
"Ja, wir gehen schon mal runter, du willst dich ja sicherlich noch umziehen" stimmt Jim ihrem Freund zu und die beiden verlassen mein Zimmer. Ich schaue an mir herunter und meine beste Freundin hat recht. Umziehen wäre keine schlechte Idee. Zunächst suche ich aber noch ein paar Bilder, die ich ihm zeigen kann. Mit den Bildern in der Hand, umgezogen und geschminkt begebe ich mich aus meinem Zimmer.
"Ich finds toll was du gesagt hast. Du hast sie überzeugt. Danke" höre ich Jim sagen. Vermutlich sind sie im Wohnzimmer.
"Kein Problem Baby. Mir ist das ja auch wichtig" erwidert er und dann stehe auch ich schon im Raum.
"Können wir los?" frage ich und die beiden erheben sich. Gemeinsam gehen wir los und steigen in den Wagen von Matteo. Meine Eltern werden sich freuen, dass ich nicht da bin, wenn sie von der Arbeit kommen.

Vergiss Mich NichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt