Gemeinsame Nacht

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29 Tage danach, Yam

Eine Woche ist es her das ich Ramiro gesehen haben, die Schule und der ganze Stress haben es nicht zugelassen. Und Angst war auch im Spiel. Diesmal sind wir allerdings im Kontakt geblieben. Wir haben so gut wie jeden Abend telefoniert. Schreiben gestaltet sich mit seiner Verletzung noch etwas schwierig. Besonders witzig waren die Momente, als die Krankenschwester reinkam und Ramiro angeschnauzt hat, das er nicht so laut lachen sollte. Wir haben mit Lautsprecher telefoniert und ich musste sowieso immer lachen. Als sie das dann gesagt hat war ich nicht mehr zu bremsen. Das war der vermutlich längste Lachanfall seit Ewigkeiten. Es ist ein schönes Gefühl mit Ramiro zu reden. Ich erzähle ihm viel von früher. Früher. Das klingt als seien es fünf Jahre, dabei ist es noch nicht mal einen Monat her. Ramiro klingt glücklich. Ich besuche ihn allein, ich möchte Zeit mit ihm verbringen, in Ruhe. Mein Papá hat mich zum Glück hergefahren, sodass ich nicht den Bus nehmen musste. Tja und jetzt laufe ich über den Gang, auf den Weg in sein Zimmer. Vor der Tür klopfe ich kurz und gehe dann hinein.
"Nein! Ihr versteht gar nichts!" schreit Ramiro. Ich bleibe hinter dem Schrank stehen um noch etwas zu zuhören.
"Ramiro, bitte. Wir wollen dir nur helfen" sagt seine Mamá ruhig.
"Niemand kann mir helfen. Nicht mal ich selbst kann mir helfen. Lasst es einfach sein, ich will euch jetzt nicht sehen. Geht bitte"
Auf einmal ist seine Stimme so leise und verletzlich. Ich gebe mich erkenntlich, nicht das meine Lauschaktion noch auffällt.
"Yam, schön das du uns ablöst" sagt sein Papá und seine Eltern umarmen mich.
"Wir sehen uns Morgen" sagen sie dann zu ihrem Sohn, ohne sich wirklich zu verabschieden.
"Hey" begrüße ich Ramiro mit einer Umarmung als seine Eltern weg sind.
"Schön dich zu sehen" sagt er lächelnd. Sein Lächeln ist erzwungen, das seh ich ihm an.
"Was ist los?" frage ich und setze mich auf einen der freien Stühle neben seinem Bett. Ramiro sitzt angelehnt an der Wand, so dass wir fast auf Augenhöhe sind.
"Alles gut, ich freu mich wirklich dich zu sehen"
"Und was war mit deinen Eltern?"
"Nichts. Du weißt doch wie meine Eltern sind, zumindest zu mir. Oder?"
"Ramiro, du kannst mir wirklich alles sagen"
"Bitte lass uns das Thema wechseln, ja?"
"Ich mags nicht, wenn du mich von solchen Themen ausschließt" schmolle ich.
"Wir sind nicht zusammen, ich muss dir also nicht Rechenschaft ablegen für sowas!" knurrt er.
"So siehst du das also" sage ich enttäuscht.
"Yam, so war das nicht gemeint"
"Doch. Genau so war es gemeint. Du erinnerst dich ja eh nicht mehr an unsere Beziehung, also tun wir so als hätten wir nie eine gehabt" sage ich aufgebracht und stehe auf.
"Du verstehst das falsch"
"Dann sag doch mal wie das gemeint war? Hm?" motze ich.
"Ich bin gereizt okay? Du bist heute mein einziger Lichtblick. Ich will nicht über meine Eltern oder mich reden. Ich hab dich eine Woche nicht gesehen. Ja wir haben telefoniert und alles, aber von Angesicht zu Angesicht ist das was anderes. Setz dich bitte. Erzähl mir wie dein Tag war"
Seine Stimme ist so weich und ich kann ihm diese Bitte nicht abschlagen, weswegen ich mich wieder setze und ihm von meinem Tag erzähle. Er hört mir aufmerksam zu, schenkt mir hin und wieder ein zaghaftes Lächeln, drückt meine Hand. Es fühlt sich schön an mit ihm zu reden, ihn bei mir zu haben. Es wird dauern bis wir wieder das sind, was wir vor seinem Unfall waren, aber ich will dafür kämpfen. Ich liebe ihn.
"Ich weiß, du hast das vorhin nicht so gemeint, aber was sind wir jetzt eigentlich?"
"Wir sind Menschen?" fragt er schmunzelnd.
"Deinen Humor hast du behalten, aber mal im ernst..wie würdest du unsere Beziehung definieren"
"Darüber habe ich mir noch keinen Kopf gemacht. Ich mag es, wenn du in meiner Nähe bist, oder wenn ich einfach nur deine Stimme höre. Es sind 29 Tage vergangen, seitdem ich dich 'kenne' und ich bin froh das es so ist. Ich weiß nicht was wir vorher hatten. Also, klar aus Erzählungen vielleicht, aber nicht in echt. Ich hab diese Dinge nie mit dir erlebt, aber..naja ich würde sie gern mit dir erleben, noch einmal"
Und schon wieder heule ich fast. Okay, ich brauche eindeutig Medikamente gegen meine Sentimentalität. 
"Du weißt das ich dich liebe, ja?"
"Ja, das sehe und spüre ich jedes Mal, wenn du bei mir bist. Mein Wunsch ist es das auch zu dir sagen zu können"
"Du musst erstmal wieder gesund werden. Alles andere ist unwichtig"
"Ich würde für immer hierbleiben, wenn du täglich herkommen würdest. Dich zu sehen macht meinen Tag erträglicher und das erheblich"
"Wie läuft es mit deinen Beinen? Gibt es was neues?" lenke ich ab, da ich sonst wirklich wieder losweine.
"Nein, die Werte sind unverändert. Ich werde in vielleicht zwei Wochen entlassen. Wenn meine Verletzungen abgeheilt sind kann ich mit einer Therapie beginnen, denn es gibt noch Chancen auf Genesung und die will ich nutzen"
"Und ich werde dich dabei unterstützen, wo ich nur kann"
"Ich danke dir. Du bist wirklich was besonderes. Theoretisch kenne ich dich nicht, ich mute dir so viel zu und du nimmst das alles in Kauf und sagst du hilfst mir. Ich versteh das nicht"
"Ramiro, du bist meine erste große Liebe. Und wenn man nicht manchmal leidet, diskutiert oder sich streitet, dann ist es auch keine Liebe"
"Jetzt mal im ernst, bist du ein Engel?"
"Elender Schleimer" witzel ich. 
"Keine Beleidigungen, ich liege im Krankenhaus" sagt er todernst, beginnt dann aber zu lachen.

Vergiss Mich NichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt