EINS

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„Steh auf, du Nichtsnutz. Es ist schon neun Uhr und du schläfst noch immer.", sie riss mir die Bettdecke weg und zerrte mich hoch. Ich wusste nicht wie mir geschieht, geschweige denn wie ich darauf reagieren soll. „Sollen meine Töchter und ich uns etwa unser Essen alleine machen?", ich sah meine Schwiegermutter müde an. „Geh dich fertig machen und mach sofort für mich und meine Töchter Frühstück. Du darfst heute nicht Frühstücken.", sie riss mich vom Bett und schubste mich Richtung Badezimmer. Ich rieb mir die Augen und schon kamen die ersten Tränen. Was habe ich mir hier nur eingebrockt? Ich habe mir doch alles selber zuzuschreiben. Ich wollte Fatih heiraten und somit die Schweigertochter der Familie Hodzic werden.

Schnell wusch ich mein Gesicht, putzte meine Zähne und zog mich an. Dann begab ich mich in die Küche, wo ich auf die zwei Schwestern meines Mannes traf. „Schlafmütze. Du bist zu nichts zu gebrauchen. Mach schnell wir haben Hunger.", ich schwieg und sagte nichts. Nicht einmal den Tisch deckten sie. Sie hatten sich schon hingesetzt und beobachteten mich beim Arbeiten. Ich deckte den Tisch und bereitete das Frühstück zu. Als ich mich zu ihnen setzte und mir etwas zu essen nahm, schlug mir meine Schweigermutter auf die Hand. „Kein Essen für dich.", ich wollte mir dennoch etwas nehmen, doch ehe ich dazu kam, wurde ich mit dem Stuhl nach hinten gezogen und vom Stuhl geschubst. „Geh auf dein Zimmer ich will dich nicht sehen. Um 14 Uhr kannst du dann hierhin kommen und das Mittagessen zubereiten."

Gekränkt stand ich vom Boden auf und lief mit gesenktem Blick auf mein Zimmer. Ich machte mein Bett und setzte mich auf meine Fensterbank. Ich zog meine Beine an mich, lehnte meinen Kopf ans Fenster und weinte. Immer und immer wieder wollte ich wissen, was ich gemacht habe. Immer wieder frage ich mich, womit ich das verdient habe.

Wieso habe ich Fatih damals nicht gesagt ich möchte ich eine eigene Wohnung ziehen? Wieso war ich damit einverstanden? Wieso war ich nur so blind?

Ich weinte gut zwei Stunden, ehe ich aufstand und in den Spiegel blickte. Was war nur aus mir geworden? Trockene Haare, spröde Lippen und der schwache Körper eines Kindes. Wann hatte ich aufgehört auf mich selber acht zu geben? Wann habe ich überhaupt die Achtung vor mir selber verloren? Wieso hatte ich mich nur aufgegeben?

Ein halbes Jahr war ich nun verheiratet. Ich liebe Fatih sehr, aber auch er ist nicht derjenige, der er vor unserer Ehe war. Verändert haben wir uns beide. Anstatt gemeinsam zu leben, lebten wir aneinander vorbei. Ich bin schwach und er blind geworden.

Wir haben uns so sehr geliebt. So gut verstanden und sehr schöne Pläne für unser Leben gehabt. Und jetzt stehen wir hier. 6 Monate nach unserer Hochzeit und benehmen uns schon wie ein Paar, das 50 Jahre verheiratet und im Alltagstrott versunken ist.

Ich band meine Haare zu einem Dutt und wollte mich auf mein Bett legen, als die Tür aufgerissen wurde. Schon wieder meine Schwiegermutter. Sie sprach nicht mit mir, sondern rannte, ohne Wenn und Aber, auf meinen Schrank zu. „Was soll das?", fragte ich sie, doch bekam keine Antwort. Eine Schranktür nach der anderen wurde aufgerissen und meine Klamotten landeten auf dem Boden. Auch die Schubladen machte sie eine nach der anderen auf und entleerte deren Inhalt auf den Boden, bis sie das, was sie gesucht hatte, hochhielt.

„Du hinterhältiges Miststück. Ich möchte Enkelkinder und du nimmst die Pille.", fassungslos blickte ich durch das Zimmer und dann zu meiner Schwiegermutter. „Ich denke, dass ich selber entscheiden kann, ob ich Kinder möchte oder nicht. Die Entscheidung liegt bei Fatih und mir, als bitte gib mir die Tabletten.", ich hielt ihr meine Hand hin, doch sie lachte nur spöttisch auf. „Du wirst schon sehen, was auf dich zukommt, wenn Fatih nach Hause kommt.", jetzt lachte ich auf. „Viel Schlimmer als die letzten Monate kann es sowieso nicht werden.", sagte ich und sah ihr in die Augen. So viel Hass spiegelte sich in ihnen wieder, dass ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte. Sie lächelte mich nur hinterhältig an und verließ, samt meinen Antibabypillen, das Schlafzimmer.

HoffnungsschimmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt