ZWÖLF

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Verwirrt sah ich ihm hinterher und musste grinsen. Eine Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus. So lange habe ich ihn nun nicht gesehen und heute sehen wir uns wieder.

Ich ließ mich auf das Sofa plumpsen und versank sofort in Gedanken. Fatih, der Mann dem ich alles gegeben habe, was ich hatte, hat mich wie ein Stück Dreck behandelt. Ich weiß nicht, wie ich das all die Monate zulassen konnte. Wieso habe ich ihn nicht sofort verlassen, als die Schreie und die Gewalt angefangen haben. Als meine Schwiegermutter mir das Leben zur Hölle gemacht hat. Ich schüttete meinen Kopf und fing an zu weinen.

Wieso musste ich es so weit kommen lassen? Anstatt dass ich ihn verlasse, schmeißt er mich aus dem Haus. Als hätten die restlichen Erniedrigungen nicht gereicht, muss ich mich von ihm auch noch rauswerfen lassen.

Fatih, was ist nur aus uns geworden. Wie konnten wir es so wie kommen lassen? Wieso konntest du mich nicht einfach so lieben, wie ich dich geliebt habe. Wieso konntest du nicht einfach so für mich da sein, wie ich für dich da gewesen bin. Alles hätte ich für dich gemacht, alles habe ich über mich ergehen lassen, weil ich gehofft habe, dass du dich änderst. Ich hätte mein Leben für ihn geopfert und er hat meine Hingabe und meine Liebe mit Füßen getreten.

Ich wischte mir meine Tränen weg, atmete tief ein und aus und stand auf. Ich konnte nicht ruhig sitzen bleiben, deswegen machte ich mich auf Wohnungsbesichtigung.

Seufzend lief ich durch die Wohnung und sah mir alles an. Ein Raum war abgeschossen, sodass ich es gar nicht erst versuchte rein zu gelangen. Auch wenn ich eine neugierige Person bin, konnte ich nicht einfach so Semirs Wohnung unter die Lupe nehmen und analysieren. Es stand mir nichts zu.

Als ich in seinem Arbeitszimmer war, betrachtete ich die ganzen Bilder, die an der Wand hingen. Überwiegend waren es Bilder von ihm, meinem Bruder und seiner Familie. Eins stand auch auf seinem Tisch, völlig neugierig lief ich auf den Tisch zu, stellte mich dahinter und nahm das Bild in die Hand. Fassungslos sah ich drauf.

Es war ein Bild von seinem Geburtstag. Mein Bruder und ich hatten die Party organisiert und ihn überrascht. Wir wussten, dass er Überraschungen hasst und wollten ihn damit ärgern. Er war erstaunt und doch war er froh darüber, dass er mit den Menschen, die er am Liebsten hatte, seinen Geburtstag feiern konnte.

Das Bild entstand kurz vor dem Ende der Feier. Ich hatte seitlich meine Arme um seinen Hals gelegt und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, während er in die Kamera grinste. Das Bild hatte ich ihm geschenkt, damit er immer an mich denken kann, weil er für ein halbes Jahr ins Ausland gegangen ist. Wieso er ausgerechnet dieses Bild auf seinem Tisch hatte, brachte in mir 100 Fragen auf.

Mit einer gewissen Verwirrtheit, legte ich das Bild zurück und suchte sein Zimmer auf. In seinem Zimmer angekommen, nahm ich mir ein T-Shirt von ihm aus dem Schrank, zog mich um und legte mich ins Wohnzimmer. Ich legte zitternd eine Hand auf meinen Bauch und schon kamen mir die Tränen. „Mein Kind, wie soll ich nur ohne dich Leben. Sag mir das bitte. Du warst meine Stütze, meine Motivation, mein Lichtblick und jetzt liegst du unter der kalten Erde. Wie konnte das nur geschehen? Wieso habe ich nicht besser auf dich aufgepasst. Wieso konnte ich dich nicht beschützen?", ich wischte mir meine Tränen weg. „Du konntest dein Kind nicht beschützen, weil ALLAH es so wollte.", hörte ich Semirs Stimme und richtete mich ruckartig auf. Ich wischte mir dir Tränen weg und schaute auf den Boden.

„Elvedin hat es mir erzählt.", ich nickte und setzte mich wieder aufs Sofa. „Ich habe auch gehört wie es passiert ist.", ich sah zu ihm. „Es war ein Unfall. Ich hätte vorsichtiger sein sollen. Ich hätte mich nicht provozieren lassen dürfen, dann würde ich mein Kind noch immer austragen.", wieder fing ich an zu weinen und wischte jede neue Träne sofort weg. „Du hättest es nicht verhindern können Leila. Wenn ALLAH gewollt hätte, dass das Kind lebt, dann hätte er es auch nach dem Sturz leben lassen. Wenn du es beim Sturz nicht verloren hättest, dann auf eine andere Weise. Alles geschieht aus einem bestimmten Grund. Wir können es nicht ändern, weil alles in ALLAHs Händen liegt.", er kam auf mich zu und wollte mich in den Arm nehmen, doch ich wich zurück. „Es tut mir leid, ich wollte nicht aufdringlich sein.", entschuldigte er sich.  „Es ist nicht deine Schuld.", sagte ich. „Sondern?", hinterfragte er. „Ich kann und möchte nicht darüber reden. Bitte versteh mich.", er nickte und überreichte mir eine Tüte. „Hier hast du einige Anziehsachen von Samra.", ich nahm die Tüte und sah kurz rein. „Danke.", bedankte ich mich. „Du kannst in meinem Zimmer schlafen. Ich bin eh noch bei meinen Eltern.", ich nickte. „Was hat Onkel denn?", wollte ich wissen. Und Onkel nannte ich seinen Vater, weil sich unsere Familie noch vor meiner Geburt kannten. „Er hatte einen leichten Herzinfarkt und muss sich jetzt ausruhen und darf sich nichts aufregen. Deswegen bin ich zu Hause. Ich kümmere mich um die Firma und einige wichtige Angelegenheiten." „Wünsche ihm von mir bitte eine gute Besserung.", Semir nickte. „Du kannst es ihm auch selber sagen.", ich schüttelte meinen Kopf. „Fatih hat ihn damals so sehr verletzt ich kann nicht in seine Augen blicken.", ich schaute auf meine Hände und dachte an den Tag, an dem Fatih und Semirs Vater aufeinandertrafen.

HoffnungsschimmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt