~Thors Sicht~
„Wie geht es ihr?", war das Erste was ich sagte, als ich den Raum betrat und von einem unangenehmen Schweigen begrüßt wurde.
Der Kopf von Clarys Vater Aegir war in seinen Händen vergraben und er sah nicht einmal auf, als ich mich neben ihn setzte. Sein sonst so ordentliches braun-graues Haar war vollkommen unordentlich. Langsam hob er seinen Kopf und sah mich an. In seinen grauen Augen war nichts mehr von dem starken Mann zu erkennen, der meinem Vater schon immer treu gedient hatte. Darin spiegelt sich nichts weiter als Schmerz und Verzweiflung. Wer konnte es ihm schon verübeln? Seine Tochter lag vor ihm, rührte sich nur wenn sie mal wieder einen Anfall bekam und schlug schon seit Wochen ihre Augen nicht mehr auf. Clarys äußerliche Wunden waren schon vor zwei Wochen wieder vollkommen geheilt, doch ihre „inneren Wunden" rissen immer wieder von neuem auf.
Irgendjemand folterte sie, war in ihrem Kopf und bereitete ihr damit unvorstellbare Schmerzen. Keine Heilerin Asgards konnte ihr helfen, nur Loki hatte es bisher geschafft Clary für ein paar Stunden Ruhigzustellen. Wie? Dies überstieg mein Wissen. Doch er hatte etwas geschafft, was bisher keine Heilerin vollbringen konnte. Schon seit Tagen versuchte ich meinen Vater zu überreden Loki zu ihr zu lassen, Frigga ebenso. Doch mein Vater war stur und war der festen Überzeugung, wenn jemand Clarissa helfen konnte, dann die Heilerinnen.
„Sie leidet...", hörte ich Aegir mit erstickender Stimme sagen, während er die rechte blasse Hand seiner Tochter in die seine nahm und mit dem Daumen immer wieder über den Handrücken strich.
„Wann war der letzte Anfall?", fragte ich ihn ruhig, während mein Blick nun ebenfalls auf Clary lag.
Sie sah so... so unermesslich krank aus. Ihre Haut war unnatürlich blass und man konnte deutlich den Verlauf von Venen sehen, als wäre ihre Haut schon beinahe durchsichtig. Unter ihren Augen befanden sich dunkle Augenringe und ihr Haar war fettig und wirr. Immer wider kniff sie ihre geschlossenen Augen zusammen, als würde sie diese jeden Moment öffnen, doch das tat sie nicht. Ihr Brustkorb hob und senkte sich nur sehr schwach, außer bei ihren Anfällen. Dabei zitterte ihr ganze Körper, ihr Atmen beschleunigte sich rapide und sie fing an zu schreien. Schmerzensschreie, so schrecklich, dass mir jedes Mal das Blut in den Adern gefror.
„Etwa vierzehn Stunden. Die Anfälle treten in immer kürzeren Abständen auf. Die Heilerinnen sagen... sie sagen man weiß nie ob sie den nächsten überlebt. Es ist als ob jemand an ihrem Gehirn spielt und es vollkommen einnimmt. Und in diesen Momenten, in denen sich diese Anfälle zeigen widerfährt ihr etwas so schlimmes, dass sie versucht dessen zu entfliehen, doch sie schafft es nicht. Sie schafft es einfach nicht zu entkommen, Thor! Sie will, doch sie kann nicht, egal wie sehr sie sich gegen diese Angriffe wehrt. Es ist als würde man sie von innen her aussaugen. Als würde sich jemand von ihrer Lebensenergie nähren. Und dies macht sie immer schwächer.", erklärte mir Aegir und drückte dabei die Hand seiner Tochter fest.
Wie schrecklich muss es für einen Vater sein, seine Tochter so leiden zu sehen?
~Clarys Sicht~
Ich lauschte dem sanften gezwitscher der Vögel Asgards und fing an alles um mich herum zu vergessen. All meine Sorgen und Ängste. Ein lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als die Wärme der Sonne mein Gesicht kitzelte und ich leicht meine Nase rümpfte.
Ich schlug meine Augen auf und sah vor mir den wunderschönen Garten Friggas. Ich hörte Kinderlachen und sah mich suchend nach der Ursache um, doch weit und breit waren keine Kinder zu sehen. Langsam schritt ich zu einer kleinen Bank, umgeben von Blumen und setzte mich. Wie ich hier hergekommen war? Keine Ahnung.
Wieder musste ich lächeln, als ich sanft über meinen runden Bauch strich und Tritte vernehmen konnte. Tritte meines ungeborenen Kindes. Lokis Kind, welches ich unter meinen Herzen trug. Ob es genauso sein würde wie er? Hätte es seine wundervollen smaragdgrünen Augen und mein braunes Haar? Oder würde es eher schwarzes Haar besitzen und meine braunen Augen? Oder vielleicht doch ganz anders?
Plötzlich vernahm ich wieder ein Kinderlachen und stand, so schnell es mein Bauch zuließ, von der kleinen Bank auf. Ich sah gerade noch einen schwarzhaarigen Schopf hinter einen der Büsche verschwinden und nahm sofort die Verfolgung auf. Doch als ich hinter den Busch sah, konnte ich weit und breit kein Kind sehen, bis ich wieder dieses Lachen vernahm. Ich raffte mein Kleid ein stück nach oben, ehe ich dem Lachen ins innere des Palastes folgte.
Schlussendlich stand ich direkt vor Lokis und meinen Gemächern und riss die Türen mit einem kräftigen Ruck auf. Mein Atem stockte, als ich dort ein kleines Kind sah, mit schwarzen Haar und braunen Augen. Das kleine Mädchen trug ein grünes Kleid mit goldenem Blumenmuster. Doch nicht sie allein ließ mich schwer Atmen. In ihrer rechten Hand befand sich ein Dolch, befleckt mit Blut. Neben ihr ein blutverschmierter Loki, tot, getötet von diesem lieblichen Kind.
„Mama! Sieh nur was ich schönes gemacht habe? Bist du nicht stolz auf mich? Jetzt gehörst du nur noch mir! Ach was sage ich den da? Noch nicht ganz.", sagte sie mit ihrer engelsgleichen Stimme und schritt mit dem Messer auf mich zu.
Ich wollte rennen, mein Kind beschützen, was in mir heranwuchs, doch ich konnte mich nicht rühren. Es war, als würde eine unsichtbare Kraft mich festhalten und dazu zwingen mit anzusehen, was meine Tochter mir gleich antun würde.
Als sie direkt vor mich stand, lächelt sie mich noch einmal herzerwärmend an, ehe sie einmal kräftig ausholte und das Messer in meinen Bauch rammte. Ich spürte, wie mein Kind in mir starb. Getötet von seiner großen Schwester, Mörderin ihres eigenen Vaters.
Meine Knie gaben nach und ich sank auf den Boden und konnte meiner Tochter nun genau in die Augen sehen. Sie waren voller Hass und versprühten das pure Böse. Lächelnd zog sie den Dolch aus meinen Bauch und strich mir mit der blutverschmierten Hand über die Wange.
„JETZT gehörst du nur noch mir Mama.", sagte sie grinsend.
~Thors Sicht~
Plötzlich durchbrach ein Schmerzensschrei die Stille. Verwundert hob ich ruckartig den Kopf, während Clarys Vater hektisch von seinem Stuhl aufsprang. Clarissa zitterte am ganzen Leib und schrie, wie ich sie noch nie habe Schreien hören. Ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt und sie trat mit den Füßen um sich.
„NEIN! WIESO! NEIN!", schrie sie immer und immer wieder.
„Thor halte sie fest, ich hole eine Heilerin!", wies Aegir mich an, ehe er durch die Tür verschwand.
Ich tat wie mir befohlen und versuchte vergebens die wild um sich schlagende Clary zu bändigen. Immer wieder bekam ich den ein oder anderen Schlag ab, als ich versuchte ihre Arme zu packen und sie zurück auf die Matratze zu pressen. Was geschah nur mit ihr?
Erleichtert vernahm ich die sich öffnenden Tür, durch die nun nicht nur Aegir mit drei Heilerinnen im Schlepptau eintrat, sondern auch meine Eltern. Meine Mutter half sofort den Heilerinnen die nun aufgebracht und in vollster Alarmbereitschaft um Clary herumeilten. Ich wurde von einer Heilerin abgelöst und in die Ecke des Raumes verbannt, in der sich schon Aegir und Odin versammelt hatten. Ich bekam nur nebenbei mit, wie mir mein Vater, bei dem Versuch mich ein wenig zu beruhigen, eine Hand beschwichtigend auf meine Schulter legte. Mein Blick haftete zu sehr an Clary, als das ich mich davon hätte loslösen können.
Langsam wurde diese zum Glück wieder ruhiger. Ihr Brustkorb senkte sich nun wieder so schwach wie vorher und ihre zu Fäusten geballten Hände lockerten sich wieder. Vorsichtig ging ich auf sie zu und drängte mich zwischen die Heilerinnen. Sanft nahm ich ihre rechte Hand in die meine, so wie Aegir es vor kurzen noch getan hat.
Plötzlich hörte ich ein leisen, kaum vernehmbares wispern. Stirnrunzelnd lehnte ich mich näher zu Clary und hielt mein Ohr ganz dicht an ihre Lippen und tatsächlich, sie wiederholte zwei Namen immer und immer wieder:
„Loki...Thanos.",
Ruckartig hob ich meinen Kopf und sah zu meiner Mutter, die sich nun ebenfalls zu Clarissa beugte, ehe sie sich ebenso wie ich ruckartig aufrichtete und mir vielsagend zunickte.
„Du weißt, was du zutun hast mein Junge.", wisperte sie leise.
Noch einmal drückte ich die Hand meiner selbsternannten Schwester und Schwägerin, ehe ich mit festen Schritten das Krankenzimmer verließ.
„Thor, was hast du vor? Frigga, was hast du ihm gesagt?", vernahm ich noch die Rufe meines Vaters, ehe ich mich auf dem Weg zu dem Mann machte, der Clary wahrscheinlich als Einziges wirklich weiter helfen konnte.
Meinen gefallenen Bruder Loki.
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All we know
FanfictionSeit einer gefühlten Ewigkeit bin ich schon hier und muss immer wieder tatenlos mit ansehen, wie meine Liebsten sterben... wie ich sie nicht retten kann oder sie gar selbst töte. Mein Verstand zerbricht immer mehr. Ich habe schon vor langer Zeit auf...