Kapitel 26

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Heute war Freitag. Das bedeutete, dass Liv morgen ihre Verabredung mit Ian haben würde.

Ich versuchte bei jeder Gelegenheit, Liv irgendwo abzupassen, um noch einmal mit ihr sprechen zu können. Doch sie stellte sich ziemlich geschickt darin an, mir aus dem Weg zu gehen: Immer wenn ich vor oder nach der Stunde vor ihrem Klassenzimmer stand, war sie schon längst weg.

Ich hatte nur noch den heutigen Tag, um sie zu besänftigen. Ich musste sie dazu bringen, Ian für morgen abzusagen.

Das Rudel wollte heute versuchen, sich an Logan zu hängen, um so Ian vielleicht sogar vor der Verabredung auszuschalten.

Nicht nur, dass Livs Verhalten mich fertig machte, ich war zusätzlich auch noch nervös wegen Embry und den anderen Wölfen.

Auch Sam und Kate konnten mir auf meiner Suche nach Liv leider nicht weiterhelfen. Nach der ersten Pause lief ich den beiden am Wasserspender über den Weg. „Tut mir leid, Ava, ich habe sie heute auch noch nicht gesehen", meinte Kate bedauernd und Sam nickte bestätigend.

Ich seufzte. „Okay. Wenn ihr sie seht, gebt mir Bescheid, okay?"

„Klar", lächelte Sam.

Natürlich kam Liv auch nicht zu ihrem Spint. Ich wartete dort die ganze Pause auf sie, aber wahrscheinlich ging sie genau davon aus und mied deshalb den ganzen Korridor. Gerade, als es klingelte, meinte ich ihre schwarze Mähne in der Menge entdeckt zu haben und rannte zielstrebig auf sie zu.

„Liv! Liv, warte kurz!", schrie ich.

Zu meiner Überraschung versuchte sie gar nicht, sich schnell aus dem Staub zu machen, weswegen ich sie schnell einholen und an der Schulter festhalten konnte.

Sie drehte sich um - und war gar nicht Liv.

„Kann ich dir helfen?", fragte das Mädchen irritiert. Sie ging, wenn ich mich recht erinnerte, in den Jahrgang unter mir.

„Äh - nein", stammelte ich. „Ich hab dich verwechselt, sorry."

Das Mädchen sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, ehe es sich umdrehte und in der Schülermasse verschwand.

Peinlich berührt lehnte ich mich an der Wand des Ganges an und atmete tief durch. Jetzt hatte ich auch schon Wahnvorstellungen. Ich schloss die Augen und versuchte ein bisschen herunterzukommen.

„Keine Lust auf Unterricht?", riss mich eine Stimme direkt neben meinem Ohr aus meinen Gedanken.

Erschrocken riss ich die Augen auf und zuckte zurück. Logan, der neben mir an der Wand lehnte, lachte amüsiert.

„Mann, Logan, wegen dir hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen", fauchte ich ihn an.

„Ich dachte nicht, dass du so dermaßen weggetreten bist. Du solltest mehr schlafen", grinste er.

Ich schnaubte. Meine Sorgen drehten sich wirklich nicht um meine tägliche Ration Schlaf. „Hast du Liv heute schon gesehen? Ich glaube, sie geht mir aus dem Weg", fragte ich ihn.

Logans Gesicht wurde erstaunlich ernst. „Nein, tut mir leid."

Ich seufzte niedergeschlagen.

„Dass wir ihr das Date ausreden wollten, hat sie uns wohl ziemlich übel genommen", meinte Logan leise.

„Das kannst du laut sagen. Aber ich hab es ihr nur gut gemeint."

Logan sah mich an. „Ich weiß. Es wäre tatsächlich besser für sie, wenn sie Ian aus dem Weg gehen würde."

Ich zog eine Augenbraue nach oben. „Ich dachte, ihr wärt so dicke miteinander. Wieso denkst du dann, dass er so ein schlechter Umgang ist?"

Sofort drehte er den Kopf wieder weg. „Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß einfach mehr Dinge über ihn, die ich dir nicht erzählen kann."

„Was weißt du, Logan?", fragte ich leise. Wusste er genauso viel wie ich? Aber dann wäre er doch nicht mit ihm befreundet, oder?

Wir sahen uns gegenseitig mit musterndem Blick an, abschätzend, wie viel der jeweils andere wusste. Schließlich wollte Logan wissen: „Was weißt du, Ava?"

„Alles, Logan. Ich weiß alles."

Ein bedauerndes Seufzen entfuhr ihm, als hätte er sich das Gegenteil gewünscht. „Woher?", fragte er tonlos.

„Den Quileute." Ich starrte auf den Fliesenboden vor mir.

„Du meinst, den Wölfen", verbesserte Logan mich bitter.

Ich drehte den Kopf zu ihm. „Weißt du es von Ian?"

Anstatt mir eine Antwort zu geben, nickte er einfach.

„Aber - wieso, Logan? Wieso hängst du dann mit ihm ab, wenn du es weißt?" Das war die alles entscheidende Frage. Es ergab einfach keinen Sinn.


this is lycanthropy (Embry Call)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt