Kapitel 33

3.6K 134 16
                                    

~ Embry ~

Er haut ab!

Hinterher! Diesmal erwischen wir ihn!

Embry, du bleibst hier.

Der letzte Gedanke war ein Befehl von Sam. In ihm schwang die Autorität des Alphas mit, deswegen blieb mir nichts anderes übrig, als ihm Folge zu leisten.

Also blieb ich stehen, wo ich war, und sah den anderen zu, wie sie die Verfolgung dieses Mistkerls aufnahmen. Ich spürte meine gebrochenen Rippen, die schon wieder begannen, zusammen zu wachsen. Es war ein unangenehmes Gefühl, fast schlimmer, als er sie mir gebrochen hatte, doch äußerlich war mir nichts anzumerken.

Mein Kopf war leer.

Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte. Es prasselten zu viele Gedanken und Emotionen auf mich ein, dass ich mich gar nicht recht entscheiden konnte, was in mir vorging. Das stärkste Gefühl war die Erleichterung darüber, dass Ava anscheinend unversehrt war; doch so richtig konnte ich mich darüber nicht freuen, denn in dieser Erleichterung schwang die Bitterkeit mit, dass ich dabei versagt hatte, Ian auszuschalten – den Vampir, der meine Freundin bedroht hatte und der immer noch jederzeit eine Gefahr für sie darstellte, so lange er lebendig und in einem Stück auf dieser Welt herumlief.

Ich fühlte mich taub. Ich wusste nicht, wie lange ich so dastand und mich nicht rührte. Ich fühlte mich unfähig dazu.

Ich hatte Ian so sehr ausschalten wollen – doch es war mir nicht gelungen. Auch wenn ich derjenige sein wollte, der es tat, wollte ich, dass es endlich ein Ende hatte. Doch trotzdem war ich wütend darüber, dass Sam es mir mit seinem Befehl unmöglich gemacht hatte, Ians Tod auf meinem Konto zu verbuchen. Wäre der Kampf länger gegangen, hätte Ian wirklich mit mir gekämpft, statt mir ständig auszuweichen, wäre es mir schon längst gelungen. Ich fragte mich, weshalb der Blutsauger nicht wirklich mit mir gekämpft hatte, nachdem er mich zuvor so provoziert hatte. Hatte er bemerkt, dass er möglicherweise – ziemlich sicher – verlieren hätte können? Hatte er tatsächlich Angst, dass ich, als Wolf, ihn dadurch töten könnte, wenn ich ihm seine Beine durchbiss? Glaubte er tatsächlich an solche Märchen?

„Embry!"

Avas Stimme riss mich aus meiner Starre. Ich drehte mich zu ihrem Fenster, aus dem sie sich noch immer lehnte.

„Bist du okay?", fragte sie panisch.

Ein ungläubiges Lachen entfuhr mir. „Ob bei mir alles okay ist? Ava, dieser dreckige Blutsauger war in deinem Zimmer, hat dich bedroht, und du fragst, ob bei mir alles okay ist? Meine Knochen heilen wesentlich schneller als deine."

Sie lächelte leicht. „Mir geht's gut. Er hat mir nichts getan." Sie schwieg einen Moment. „Ich kann leider nicht zu dir runterkommen, meine Mum ist zu einem Wachhund mutiert."

„Ich weiß." Mein Lachen erlosch. Genau das war es, was mich beunruhigte.

„Was wollte er von dir?"

„Er hat mich gewarnt." Ich sah von hier aus die Angst, die in ihren Augen glitzerte. „Er meinte, wenn ihr nicht aufhört ihm nachzujagen, wird Liv dafür bezahlen."

„Das wird nicht passieren", versuchte ich sie zu trösten, „Sam und die anderen werden ihn sicher in die Finger bekommen."

„Ava? Ava, mach die Tür auf!", hörte ich die Stimme ihrer Mutter von drinnen.

Ava verdrehte die Augen und drehte sich zu ihrer Zimmertür um. Ihre roten Locken flogen durch die Luft. „Wozu?", rief sie. „Lass mich in Ruhe."

„Ava!"

„Geh weg!", schrie sie.

Einen Moment lang war Stille. Ich hörte keine Antwort von ihrer Mutter und Ava drehte sich wieder zu mir. „Tut mir leid, dass du sie so kennenlernst. Früher war sie nicht so."

„Irgendwann lerne ich sie noch richtig kennen." Ich lächelte und Ava lächelte zurück. Dieses Lächeln ließ mich fast alles um mich herum vergessen. Einen kurzen Augenblick lang dachte ich nicht mehr an Ian, mein Rudel, meinen gescheiterten Versuch diesen dämlichen Blutsauger endlich umzubringen – ich war nur bei ihr.

Ein Heulen riss mich wieder von ihr los.

„Was war das?", fragte Ava.

„Ich befürchte, ein Rudelmitglied. Hörte sich ganz nach Quil an", meinte ich leise.

„Heulst du auch so?"

Ich sah grinsend zu ihr auf. Sie lachte. „Als Wolf meine ich. Zum Vollmond oder so."

„Du bist der Mond, der die Nacht ausmacht, für den ich heule, Ava."

~

Etwa zehn Minuten später saß ich auf dem Boden vor Avas Fenster. Ava saß oben auf ihrem Fensterbrett, als Jacob zwischen den Häusern hindurch auf uns zukam.

„Habt ihr ihn erwischt?", fragte Ava hoffnungsvoll.

Jake schüttelte nur den Kopf. „Er ist weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Es gibt nicht mal mehr eine Fährte, deren Spur wir verfolgen können."

this is lycanthropy (Embry Call)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt