Kapitel 27

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Logan meinte, dass Ian sich hauptsächlich in einem alten Haus am Rande der Stadt aufhielt. Eine Information, die ich natürlich sofort an die Wölfe weitergab.

Embry wartete nach dem Unterricht auf dem Parkplatz auf mich. Als ich ihn dort entdeckte, überfiel mich wieder die typische Nervosität.

„Ich bin leider nur kurz da", meinte er bedauernd, nachdem wir uns aus der Umarmung gelöst hatten, die mir augenblicklich weiche Knie verpasst hatte. „Wir sehen uns das Haus an, von dem du mir geschrieben hast."

Ich nickte.

„Dein Freund wird aber trotzdem noch von uns beschattet. Wir können nicht sicher sein, ob er nicht doch auf der Seite des Vampirs ist."

Ich wusste nicht, ob ich Embry von meiner Unterhaltung mit Logan erzählen sollte, aber irgendetwas in mir bewegte mich dazu, es nicht zu tun. Also nickte ich wieder nur.

„Wir haben das im Griff, Ava", sagte Embry sanft und besah mich mit einem intensiven Blick.

„Ich weiß. Es ist nur – ich will nicht, dass jemand verletzt wird", sagte ich leise. „Vor allem du nicht."

Embry strich mir eine Strähne hinter das Ohr. „Es wird niemand verletzt."

Ich schloss die Augen. „Das weißt du nicht."

Seine Hand ließ von meiner Strähne hab und wanderte zu meiner Hand. In seiner Stimme schwang pure Überzeugung mit, als er sagte: „Das weiß ich. Ich muss schließlich wieder zu dir zurück."

Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich nahm seine Hand fest in meine. Es widerstrebte allem in mir, ihn gehen zu lassen. Und weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte, küsste ich ihn einfach.

Es war kein Kuss wie sonst; es lag zu viel Traurigkeit und eine Spur Verzweiflung meinerseits in ihm. Aber Embry schaffte es natürlich in den wenigen Sekunden des Kusses mich zu beruhigen. Während ich Angst hatte, war er einfach zuversichtlich. Ich glaubte, dass er sich sogar ein wenig auf einen Kampf mit Ian freute; das hatte ich von den anderen Wölfen nämlich schon mitbekommen. Sie waren alle hungrig auf einen Kampf mit einem echten Vampir, auch wenn die Möglichkeit schwerer Verletzungen – oder Schlimmerem – bestand. Sie waren sich einfach sicher, dass sie ihn mühelos ausschalten konnten.

Embry strahlte einfach das Gefühl aus, das ich im Moment am meisten brauchte: Sicherheit. Und ich liebte ihn dafür.

Viel zu früh löste er sich wieder von mir. „Ich ruf dich an, sobald wir fertig sind."

Ich fragte nicht nach, was „fertig" für das Rudel bedeutete. „Okay", sagte ich. „Ich versuche Liv zu erreichen."

„Sie wird dir nicht ewig böse sein, Ava", versuchte er mich zu trösten.

Ich schnitt eine traurige Grimasse. „Da kennst du Olivia Jones aber schlecht."

Embry grinste. „Vielleicht möchte sie einfach die Teenager-Vampir-Liebesfilme hautnah miterleben."

„Ich hab gehört, Werwölfe haben Vampire bei solchen Filmen von ihrer Rolle abgelöst", stieg ich mit ein.

Sein Grinsen wurde breiter. „Liegt auch auf der Hand. Wir sind einfach heißer."

Ich unterdrückte das Lachen bei dieser Anspielung auf seine hohe Körpertemperatur von knapp 40 Grad Celsius.

~

„Hier ist der Anrufbeantworter von Olivia Jones. Bitte hinterlasst eine Nachricht nach dem Piepsen."

Wütend drückte ich auf den roten Hörer. Seit einer geschlagenen Stunde versuchte ich Olivia zu erreichen, aber ohne Erfolg. Ich fragte mich, was sie wohl trieb. Vielleicht suchte sie sich gerade ihr Outfit für ihr morgiges Date aus?

„A?", erklang die Stimme meines Bruders durch meine Zimmertür.

„Komm rein."

Noah kam ins Zimmer, blieb aber mit einem Stirnrunzeln nach zwei Schritten wieder stehen. „Alles okay bei dir?"

Ich lag, mit den Füßen auf dem Kopfkissen, zusammengerollt in meinem Bett. Die Bettdecke lag halb über meinem Rücken, das andere Kissen hatte ich bei meinem ersten gescheiterten Versuch, Liv zu erreichen, wütend aus dem Bett geschmissen.

„Mehr oder weniger."

Noah zog nur eine Augenbraue nach oben.

„Vielleicht eher weniger."

„Willst du drüber reden?", fragte er. Er schloss die Tür hinter sich und kam nun ganz ins Zimmer.

„Ich weiß nicht, was ich da viel erzählen soll", meinte ich. Noah setzte sich neben mir auf das Bett. „Liv ist sauer auf mich, weil ich es nicht gut finde, dass sie sich mit diesem Typen trifft."

„Mit dem, den ich recherchiert habe?", hakte Noah vorsichtig nach.

„Genau der", bestätigte ich. Ich drehte mich ein bisschen unelegant um, weil die Bettdecke im Weg war, sodass ich jetzt meine Zimmerdecke anstarrte.

Schweigen umhüllte uns, weil keiner von uns beiden wusste, was er sagen sollte. Irgendwann sagte Noah leise: „Ich treffe mich am Samstag übrigens mit Kate."

Mit diesem schlichten Satz hatte er sofort meine Aufmerksamkeit. Ich drehte mich wieder zu ihm. „Mit Kate? Meiner Kate?"

Noah betrachtete unauffällig den Boden, um mich nicht ansehen zu müssen. „Ja."

Ich setzte mich auf. „Seit wann läuft das schon?"

„Erst ein paar Wochen", wich er meiner Frage aus.

Ich amüsierte mich sehr darüber, dass er offenbar panische Angst vor meiner Reaktion hatte, immerhin hatte er ein Date mit einer meiner besten Freundinnen. „Noah West – sieh mich an."

Langsam wandte mein Bruder mir seinen Blick zu, unbehaglich, was jetzt folgen würde.

„Wieso erzählst du mir das jetzt erst? Das ist ja großartig!", freute ich mich.

Ungläubig starrte er mich an. „Dann macht es dir nichts aus?"

Ich prustete. „Wie kommst du denn auf die Idee? Ich freu mich für dich!"

„Naja, es ist ja erstmal ein Date", meinte er nüchtern.

„Das wird schon", versuchte ich ihn aufzubauen. „Ihr habt euch doch sonst auch immer gut verstanden."

„Ja, schon – aber nicht so." Wild gestikulierend versuchte er den Unterschied zwischen einem freundschaftlichen Gespräch und einem Date zu verdeutlichen.

„Noah, entspann dich. Es ist Kate. Sie wird dich nicht auffressen", lachte ich. „Was habt ihr eigentlich vor?"

„Ich hab sie zum Essen ins Diner eingeladen."

Mir gefror das Blut in den Adern. Es war, als hätte jemand eine dicke Eisschicht über meinen gesamten Körper gezogen und er wäre jetzt taub vor Kälte; unfähig, etwas zu spüren. „Am Samstag?", fragte ich tonlos nach.

„Ja, wieso?"

„Wieso Samstag? Die haben doch am Sonntag ein super Menü."

Noah zog eine Augenbraue nach oben. „Wer geht denn am Sonntag zu einer Verabredung?"

„Ja, aber am Sonntag gibt's Buffet", startete ich nochmal einen Versuch.

Ratlos sah er mich an. „Was passt dir denn an morgen nicht, Ava?"

„Äh – nichts." Ich durchsuchte meinen Kopf nach einer Ausrede. „Ich wollte nur morgen mal wieder etwas unternehmen. Weil wir schon so lang nichts mehr gemeinsam gemacht haben."

„Aber das können wir doch auch wann anders machen. Ich hab das mit Kate schon fest ausgemacht, ich kann das nicht umschmeißen. Tut mir leid, A, das müssen wir nachholen."

Ich fluchte innerlich, versuchte mir aber nichts anmerken zu lassen. „Ja. Ja, ist gut. Wir holen das nach." Ich versuchte ein Lächeln.

„Gut", lächelte Noah zurück.

„Ich... äh, ich versuch dann nochmal Liv zu erreichen", meinte ich.

Noah stand auf. „Sie wird sich schon wieder einkriegen, A."

Sobald Noah meine Zimmertür hinter sich schloss, sprintete ich zu meinem Handy.

this is lycanthropy (Embry Call)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt