Alles wie immer

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Hände die vor meinem Gesicht herumfuchtelten, katapultierten mich wieder in die Gegenwart zurück. Ich blinzelte.

"Huhu, Erde an Sissi.", hörte ich die Stimme meiner Mutter. Sie lächelte mich fröhlich an. Mit lautem Gequitsche kam dann auch noch meine einzige Schwester herangehüpft. Ich lächelte gequält. Sie hatten gute Laune, na das konnte ja heiter werden.

'Sei froh, dass ist eine gute Ablenkung für dich, überhaupt in diesen Tagen solltest du dich glücklich schätzen jemanden zu haben, der dich ein wenig aufmuntert!', scholt ich mich innerlich.

Ich seufzte übertrieben laut, stütze meine Ellbogen auf die Knie und legte meinen Kopf auf meine geballten Fäuste.

Die zwei zankten sich mal wieder, ich hatte keine Ahnung warum und auch keine große Lust es herauszufinden.

Ich verdrehte die Augen und ließ sie machen, ich konnte ja eh nichts unternehmen und wollte auch nicht wirklich in ihren Streit hineingezogen werden.

So saß ich nun da, im Schneidersitz, mit hochgezogener Augenbraue und beobachtete wie sich meine Mutter und meine Schwester ankeiften.

Na wenigstens war ihnen nichts passiert, schätz dich glücklich, diesmal, und genieß den Moment, wer weiß wie viele solche Tage dir noch bleiben.

Obwohl ich die beiden mehr als mein eigenes Leben liebte, konnte ich ihren Anblick gerade einfach nicht ertragen.

Ich murmelte ihnen beim Vorbeigehen etwas Entschuldigendes zu und sprintete in mein Zimmer. Der Traum von vorhin drückte noch immer noch auf meine Stimmung, es war kein Platz für gespielte Fröhlichkeit.

Ich öffnete meinen Schrank. Zum Großteil nur Teile die mir sowieso jetzt nicht mehr passten.

Du bist wieder fett geworden.

Ich ignorierte meine innere Stimme geflissentlich und schnappte mir eine graue Jogginghose und einen weiten, grauen Schlabberpulli mit Kapuze.

Ich zog sie über meinen Kopf und setzte mich frustriert auf mein Bett. Ich hatte es so satt.

"Schluss jetzt mit Trübsal blasen! Zeit wird's das du dich ablenkst und endlich mal nicht in Selbstmitleid zerfließt! Wenigstens für einen klitzekleinen Moment wieder mal richtig fröhlich sein!", versuchte ich mich selbst aufzumuntern und tatsächlich, mein Hals fühlte sich nicht mehr so eng an, mein Magen nicht mehr allzu verkrampft und mir kam es nicht mehr so vor als müsste ich jeden Moment heulen.

Wenigstens ein kleiner Lichtblick.

Nun da es so schön schneite, raffte ich mich auf und ging nach draußen, Richtung Wald.

Als ich die Haustür öffnete, stieß ich fast mit meiner Mutter zusammen, die nun hier mit meiner Schwester Lilly lautstark weiterstritt. Dieser kleine "Skandal" hatte sogar schon unsere neugierigen Nachbarn angelockt, die sich die Augen aus dem Kopf glotzten.

"Soll ich euch vielleicht auch noch Popcorn bringen?", schrie ich das alte Ehepaar an, das meine Familie so unverschämt anstierte, erschrak aber dann selbst über die Wut in meiner Stimme und brummelte eine Entschuldigung in ihre Richtung.

Zischend drehte sich die Frau um und schlurfte zu ihrer Wohnung, doch als sie bemerkte, dass ihr Mann nicht von seinem Platz gewichen war und uns noch immer unverhohlen anstarrte, rauschte sie zurück, packte sein Handgelenk und zerrte ihn, wütende Laute von sich geben, mit sich.

Natürlich blieb mir der giftige Blick ihrerseits nicht erspart, bevor sie nun endlich, mit lautem Krach, ihre Wohnungstür schloss.

Ich verdrehte die Augen und drehte mich zu Lilly und meiner Mutter um, die mich dämlich anglotzten.

"Na was ist? Rein mit euch!", fuhr ich sie an und drängte sie in unsere Garderobe.

"Da ist aber jemand ziemlich gereizt.", raunte meine Mutter Lilly zu. Meine Schwester kicherte und ich hörte noch wie sie einklatschten, bevor ich mit einem Seufzen die Eingangstür hinter mir schloss und die zwei im Warmen zurückließ.

Außenseiter. Die beiden kommen gut ohne dich zurecht. Du störst nur.

Und diesmal gab ich meiner inneren Stimme sogar Recht. Nicht das sie je etwas gesagt hatte das nicht stimmt, doch diesmal ließ ich zu das sich dieser quälende Gedanke in mein Bewusstsein drängte.

Überflüssig, tönte es in meinem Inneren.

Überflüssig

Überflüssig

Überflüssig

Ich nickte und machte mich auf den Weg in den kalten, dunklen Winterwald.

Allein. Allein. Für immer allein.

Alles war schon mit einer dicken Schicht Schnee bedeckt, doch es schneite unaufhörlich weiter.

Wunderschön.

Was für ein wunderschöner Abend.

Werd' erwachsen, kleines MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt