Und so vergingen einige Tage.
Manchmal fühlte ich mich besser, vergaß alles um mich herum, war einfach nur glücklich, doch an anderen Tagen war ich depressiv und niemand konnte mich aus meinem Zimmer locken.
Während dieser Zeit beschloss ich mit meinem Jura Studium aufzuhören, in diesem Zustand konnte ich mich ja sowieso nicht konzentrieren. Außerdem brauchte ich eine Auszeit.
Ich fühlte mich unter Dauerstress obwohl ich eigentlich nichts Weltbewegendes machte. Die Hauptabschlussprüfungen für die Uni standen bevor, doch mir fehlte die Zeit und die Motivation etwas zu lernen.
Doch mindestens ein Examen musste ich bestehen, um die Rückzahlung der Studienbeihilfe auszuschließen. So viel Geld besaßen wir sowieso nicht, denn dank meines Vaters hatten wir nie wirklich viel davon gehabt. Studieren wäre also bloß purer Luxus gewesen, den meine Mutter mir wegen einer guten Weiterbildungsmöglichkeit gewähren wollte. Aber da ich ja sowieso nicht wusste was ich wirklich weitermachen wollte, konnte ich ihr dieses sinnlose Geldausgeben gleich ersparen.
Egal wie viel Angst ich davor hatte, ich musste endlich arbeiten gehen.
Wenn ich es schon nicht für mich machen wollte, sollte ich es meiner Familie zuliebe machen.
So verdammt egoistisch konnte ja nicht einmal ich sein oder etwa doch?
Ich hatte so schrecklich Angst, wovor, wusste ich eigentlich überhaupt nicht.
Es fühlte sich an als würde es mir die Kehle zuschnüren.
Schon wieder fing ich unkontrolliert zu zittern an, obwohl mir gar nicht kalt war.
Ich nieste.
Auf meiner Stirn bildeten sich Schweißperlen.
Was passierte denn nun schon wieder?
Ich wischte mir meine schweißnassen Hände an der Hose ab und stand auf.
Irgendwie war mir nun doch kalt, jedoch schwitzte ich, weswegen mir ja eigentlich heiß sein musste.
Verwirrt ging ich ins Badezimmer und ließ zuerst kaltes und dann warmes Wasser über meine Unterarme laufen.
'Wenn schon seelisch mit mir nichts in Ordnung war, warum konnte dann denn nicht wenigstens körperlich alles stimmen?', grübelte ich während ich mir meine Arme abtrocknete.
Ich betrachtete mein Spiegelbild, ich hasste mein Aussehen und wusste, dass mich andere auch als hässlich sahen, hässlich und fett.
Die wenigen Menschen, die ich Freunde nannte, wollten mir einreden, dass meine Eigenwahrnehmung falsch war, doch noch nie im Leben hatte ich von jemandem ein "Du bist hübsch" gehört. Noch nie.
Laute Musik aus dem Zimmer meiner Schwester ließ mich mein Selbstmitleid einen Moment lang vergessen.
Manchmal hasste ich sie. Für all das was sie hatte. Für alles was sie war. Obwohl sie jünger war als ich. Sie hatte es so leicht. Lilly konnte einfach alles und jeder mochte sie. Sie bekam immer was sie wollte. Es schien als wäre das Glück nur auf ihrer Seite, wohingegen ich vom Pech verfolgt wurde.
Ich fürchtete den Tag an dem Lilly auffiel, was für ein Versager ich eigentlich war. Ich hatte Angst davor, dass sie mich ebenso abschätzig mustern würde wie alle anderen auch. So versuchte ich meine Panik mit Wut und Distanziertheit zu überspielen, damit es mir dann, wenn der Tag kam nicht zu sehr das Herz zerriss.
Ich hatte ihr noch nie gesagt wie viel sie mir eigentlich bedeutete. Ich wollte nicht auch noch von ihr verletzt werden.
Positiv denken!
Ich konnte das nicht. Positiv denken. Ich hatte das noch nie gekonnt. Jedesmal wenn ich es versuchte, passierte das Gegenteil. Passierte das, vor dem ich am meisten Angst hatte, das, von dem ich wollte das niemals geschah.
Mit negativer Einstellung konnte man wenigstens nicht mehr allzu überrascht werden.
Mein Leben enttäuschte mich immer wieder.
Manchmal fragte ich mich wozu ich überhaupt noch hier war, wenn mir ja doch nur Schlimmes passierte.
Die ganz schrecklichen Gedanken durfte ich sowieso nicht in mein Bewusstsein dringen lassen, um das Schicksal nicht auf die Idee zu bringen, genau diese Dinge geschehen zu lassen.
Und davor hatte ich mehr Angst als je zuvor.
Wieder überkam mich die Panik, dass den Menschen, die mir wichtig waren, die Einzigen, die meinem Leben noch Halt gaben, etwas Schreckliches zustoßen würde.
Was würde ich dann machen?
Besaß ich so viel Mut um meinem Leben dann auch ein Ende zu setzen?
Oder würde ich dann immer tiefer in das schwarze Loch der Depression versinken ohne je einen Ausweg zu finden?
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Werd' erwachsen, kleines Mädchen
Diversos"Ich fühle mich einsam. Allein. Warum bin ich nur so? Ich möchte gerne anders sein. Besser. Irgendwann werde ich es euch allen beweisen!" Das Leben der 19-jährigen Sissi wird nur von einem Wort beherrscht: Angst. Die Angst zu versagen, Angst vor der...