Kapitel 2

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Die letzte Stunde ist jetzt vorbei und ich packe erschöpft meine Sachen zusammen.
Zwei Stunden Mathe, Geschichte und danach noch Spanisch waren wirklich zu viel für mich. Vor allem am ersten Tag nach den Ferien.

Diese Doppelstunden gehen einfach immer so extrem langsam vorbei, das glaubt man gar nicht.
Mit meinen Rucksack auf dem Rücken verlasse ich den Klassenraum.
Vally und Cole hatten gerade Französisch, das heißt es kann etwas dauern bis sie da sind.
Die Beiden sind sowieso nicht die Schnellsten und dann überzieht die Lehrerin immer noch mindestens fünf Minuten.

Jeden Montag muss ich mir anhören, wie sehr die Beiden diese Lehrerin hassen. Ich höre dann meistens einfach nicht zu, das erklärt auch, warum ich den Namen immernoch nicht kenne.

Schlendernd laufe ich durch den Hauptkorridor und lasse meinen Blick durch die Schüler schweifen.
Die Blackriver-High ist keine sehr große Schule, in der Oberstufe kennt eigentlich jeder jeden.
Bis auf ein paar, die nichts mit den "Normalen" zu tun haben wollen.

Ich finde es aber gut, dass die Schule nicht so groß ist, sonst wäre alles so unpersönlich.

Genervt stöhne ich auf, als mich jemand anrempelt.
Ich drehe mich zu der Person um und muss Lächeln, auch wenn meine Nerven am Ende sind.

Louis.

Louis ist mein großer Bruder, er ist inzwischen neunzehn Jahre alt und geht in den Jahrgang über mir, genau wie Jonah.
Ich habe trotzdem ein paar Fächer mit ihm, weil der 11. und der 12. Jahrgang eine "Gemeinschaft" bilden sollen.
Die Nebenfächer wie Geschichte, Sport und Biologie bekommen unsere Jahrgänge zusammen unterrichtet.

Mrs. Baldwin, unsere Direktorin, meinte es würde uns als Schule stärken.
Eigentlich hat unsere Schule aber einfach nur Lehrkraftmangel, deshalb wurde das so geregelt.

"Was ist?" frage ich Louis und er grinst mich an. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was er jetzt von mir will und warum er mich angerempelt hat, aber ich will es schon alleine wissen, weil er so dämlich grinst.

"Rate mal, wer dieses Wochenende sturmfrei hat?" fragt er und nun fange ich auch an zu Grinsen.
Es kommt nicht selten vor, dass wir sturmfrei haben, weil Mum und Dad öfters mal auf Geschäftsreise müssen, okay die Beiden sind gefühlt immer auf Geschäftsreise.
Ich finde es zwar schade, dass Mum so wenig Zeit für uns hat, aber ich akzeptiere es.

Dad interessiert sich sowieso nicht für mich, Louis ist sein Ein und Alles. Papa wollte nie eine Tochter und das lässt er mich auch spüren.
Ich kann froh sein, wenn er mich überhaupt begrüßt nach einer langen Geschäftsreise.
Es verletzt mich schon, dass Papa sich nicht für mich interessiert, aber ich kann nichts dagegen tun.

Ich kann versuchen ihn zu beeindrucken und so viele gute Noten schreiben wie ich will, es interessiert ihn nicht. Er ist nicht stolz auf mich.
Für ihn ist es, als würde ich nicht existieren. Ich bin Luft.

Für ihn ging es immer nur darum einen Mann in der Familie zu haben, der irgendwann die Kosmetikfirma von Mama und ihm übernehmen kann.
Mehr wollte er nicht.
Ich schüttele unmerklich den Kopf, um die Gedanken los zu werden und konzentriere mich wieder auf Louis.
Er hat die dunkelblonden Haare von Papa und braun-grüne Augen, die irgendwie extrem schön sind.

"Ich schätze mal das heißt Party?" frage ich ihn grinsend und er nickt sofort.
Unser Grundstück ist nicht klein und liegt am Rande der Stadt.
In unserem Viertel sind alle Grundstücke so groß, deswegen können wir auch die Musik etwas lauter anmachen.

Wenn ich mich aber zwischen einer vernünftigen Familie, die für mich da ist und diesem Leben, dass ich jetzt führe, mit großem Haus und ohne Geldproblemen entscheiden könnte, würde ich die Familie nehmen.

"Party." erwiedert er direkt und fixiert kurz jemanden hinter mir, ehe er mich nochmal grinsend anguckt.

"Können wir in fünfzehn Minuten los?" fragt er dann und ich nicke.
Es hätte wahrscheinlich sowieso nichts gebracht zu diskutieren, wenn Louis etwas will, dann kann man nichts daran ändern.

"Okay, wir treffen uns dann auf dem Parkplatz." sagt er noch, bevor er an mir vorbei auf jemanden zu geht.
Ich drehe mich um und gucke, wo er hin will.
Achso seine Kumpels.

Ich hab so gut wie nichts mit seinen Freunden zu tun, klar unterhalte ich mich mit den Dreien wenn wir mal wieder ne Party schmeißen, aber sonst habe ich nicht wirklich was mit ihnen zu tun.

Ich weiß, dass sie James, Scott und Dan heißen und wirklich nicht schlecht aussehen, aber das wissen sie auch.
James sieht mit seinen blonden Haaren, der gebräunten Haut und den blauen Augen aus, wie ein typischer Sunnyboy. Er ist der Typ Junge, bei dem man sich gut vorstellen kann, dass er seine Freizeit irgendwo am Strand auf einem Surfbrett verbringt.

Scott hat braune, lockige Haare und grüne Augen. Außerdem hat er mehrere Tattoos am Arm und dem Oberkörper, was nicht schlecht aussieht.
Wenn ich ihn sehe muss ich immer an den Moment denken, an dem sein kleiner Bruder Tommy bei uns vor der Tür stand, weil er Scott abholen wollte. Ich schätze Tommy ungefähr auf fünf Jahre. Er hat so lange vor unserer Haustür gewartet bis Scott in sein Sichtfeld getreten ist, dann ist er mit einem Grinsen übers ganze Gesicht losgelaufen und hat seinen großen Bruder fest umarmt. Es sah einfach nur zu niedlich aus, wie Scott lächelnd seinen kleinen Bruder hochgehoben hat und ihn schließlich zum Auto getragen hat. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich nicht damit gerechnet, dass Scott eine so dermaßen gefühlvolle Seite an sich hat.

Dan hat dunkelbraune Haare und braune Augen.
Er kann zwar arrogant sein, aber im Großen und Ganzen ist er wirklich cool und ich verstehe mich super mit ihm, wenn wir beispielsweise auf Partys miteinander reden. Er findet immer irgendein Thema über das man sich unterhalten kann.

"Lia, da bist du ja." höre ich Vally rufen und drehe mich in die Richtung, aus der ich ihre Stimme höre.
Sofort sehe ich Cole und Vally, die auf mich zukommen.

"Ratet mal, wer Freitag eine Party schmeißt." grinse ich sofort und Cole zieht eine Augenbraue in die Höhe.
Die Beiden wissen nichts von dem schlechten Verhältnis zwischen mir und meinem Vater, niemand außer Mum, Louis und Dad weiß davon.
Ich glaube mit dem Feiern versuche ich die ganze Situation Zuhause zu verdrängen.

Es wird mir zu viel, dass die Beiden nie da sind und das Ich für Papa nichts bin, außer ein geldfressendes, nerviges Anhängsel. Mir ist klar, dass mir Alkohol und Partys auf Dauer nicht weiterhelfen können und mir sind auch meine Grenzen bewusst. Ich übertreibe es nicht. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es mir hilft für einen kurzen Moment abzuschalten.

"Ihr habt doch vorletztes Wochenende erst eine Party geschmissen?" sagt Cole jetzt verwirrt und ich zucke mit den Schultern. Langsam wird Cole misstrauisch, was ich schon bei der letzten Party bemerkt habe, als ich in mein Zimmer gegangen bin, um für einen kurzen Moment abzuschalten. Er hat mich nach zwanzig Minuten alleine dort gefunden, ich hab mich aber mit den Worten, dass mir ein wenig übel war rausgeredet.

"Muss man ausnutzen, wenn die Eltern nicht da sind." antworte darauf also einfach mit einem aufgesetzten Grinsen und wir gehen los auf den Schulhof.
Ich vergrabe meine Hände in den Jackentaschen von meiner Bomberjacke und gucke mich im Korridor um.

Louis, Scott, James und Dan sind inzwischen auch schon draußen und Jonah anscheinend auch, zumindestens steht er nicht an seinem Spind, also ist er entweder schon Zuhause oder draußen.
Oder auf Toilette, aber in der Pausenhalle kann er nicht sein.
Die wird nach der Mittagspause immer schon geschlossen, genau wie die Kantine, die sich ebenfalls in der Pausenhalle befindet.

His smileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt