Kapitel 18

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"Da sind wir." sagt Dan und ich gucke das Haus an, vor dem wir gerade anhalten. Es ist nicht besonders groß, aber trotzdem schön.
Er schaltet den Motor ab und steigt aus, was ich ihm gleichtue.

Wir gehen zusammen auf die Haustür zu und schön wird die Tür von einem aufgeregtem, kleinem Jungen geöffnet. Seine strohblonden Haare sind verwuschelt und seine hellblauen großen Augen starren mich geradezu an. Ich schätze er ist ungefähr vier.

Prüfend verengt er seine Augen und guckt zwischen mir und Dan hin und her. Als sein Blick auf unsere Hände wandert schlägt er geschockt die Hände vor dem Mund zusammen.

"Warum haltet ihr nicht Händchen?" fragt er und guckt Dan böse an.

"Du Weichei." sagt er dann und jetzt muss ich anfangen zu lachen. Dan zieht nur grinsend eine Augenbraue in die Höhe und stemmt seine Hände in die Hüfte.

"Was hast du gerade gesagt?" Fragt er und geht immernoch grinsend einen Schritt auf den Jungen zu, der jetzt provozierend die Zunge rausstreckt.

"Du Weichei." sagt er nochmal extra betont und geht einen Schritt zurück.

"Na warte!" ruft Dan jetzt und geht ruckartig einen Schritt auf ihn zu. Der Junge fängt an zu lachen und rennt kreischend weg, was mich jetzt auch zum Lachen bringt. Ich schätze mal der Junge ist Dans kleiner Bruder, auch wenn ich nicht wusste, dass er überhaupt einen hat.
Aber anscheinend verstehen die Beiden sich mega gut, was mich wirklich freut.

"Ist das dein Bruder?" frage ich Dan, nachdem wir das Haus betreten haben und folge ihm in die Küche.

"Ja das ist Damon, er kann ziemlich wild sein, wie du vielleicht gerade mitbekommen hast. Er ist mein Stiefbruder." grinst er und guckt mich an. Ich erwiedere das Grinsen, es muss schön ein kleines Geschwisterchen zu haben. Das heitert doch mit Sicherheit immer die Stimmung auf. Aber als ich so überlege fällt mir auf, dass ich es keinem Kind wünschen würde in meiner Familie aufzuwachsen. Das einzige womit meine Familie dienen könnte wären zwar zwei liebevolle Geschwister, was an sich nicht schlecht ist, aber das Kind würde ohne Eltern aufwachsen und das würde ich niemandem Wünschen. Trotzdem macht mich das Funkeln in Damons Augen ein Stück weit glücklicher.

"Es ist bestimmt schön einen kleinen Bruder zu haben, oder?" Ich bin mir ziemlich sicher, dass Dan von meiner familiären Situation weiß. Er ist der beste Freund meines Bruders, er weiß wahrscheinlich mehr als ich mir wünschen würde. So wie ich meinen Bruder kenne braucht er jemandem mit dem er über alles reden kann und auch wenn er weiß, dass ich immer für ihn da bin würde er nicht immer zu mir kommen. Das weiß ich. Er will mich mit möglichst wenig Problemen belasten, er will mich vor allem beschützen was ihm möglich ist.

Klar kann er mich nicht vor allem beschützen, aber er versucht es. Das bedeutet mir viel.

"Ja. Ich meine klar ist er manchmal ne kleine Nervensäge, aber hergeben würde ich ihn nicht wieder." antwortet mir Dan und wuschelt dem kleinen blonden Jungen vor mir lächelnd durch die Haare. Dieser zieht eine Grimasse und verschwindet dann blitzschnell hinter einer Tür am Ende des Flurs. Ein leichtes Lächeln bildet sich auf meinem Gesicht und in Gedanken wünsche ich mir sowas. Ich wünsche mir eine richtige Familie. Eine mit der man lachen kann, bei der man sich geborgen fühlt, eine in der man weiß, dass die Eltern hinter einem stehen egal was man tut. Eine Familie in der Liebe herrscht.

Ich schüttele leicht meinen Kopf, damit die Gedanken aus meinem Kopf verschwinden. Diese Wünsche bringen mir nichts bis auf die Traurigkeit. Ich bekomme keine neue Familie nur weil ich es mir wünsche, ich weiß auch gar nicht ob ich überhaupt eine neue Familie haben wollen würde. Selbst wenn meine Eltern sich nicht für mich interessieren und für mich da sind. Ich habe noch Louis. Ihn würde ich für nichts auf der Welt hergeben.

"Möchtest du was essen?" reißt mich Dan erneut aus den Gedanken, wahrscheinlich weil er keine Antwort bekommen hat. Ich schüttele nur leicht den Kopf, ich habe keinen Hunger.

"Nein danke." sage ich nun auch und gucke ihn an. Er nickt verstehend und deutet mit einem Handzeichen an, dass ich die Treppen hochgehen soll, was ich dann auch tue. Oben angekommen gucke ich mich erstmal um. Ich stehe in einem breiten Flur mit dunklem Parkettboden, am Ende des Flurs ist ein großes Fenster. Aber das zieht meine Aufmerksamkeit nicht auf sich, es sind die vielen Bilder die hier an den Wänden hängen. Ich gucke das Bild direkt neben mir an. Es zeigt Dan als er noch jünger war, vielleicht um die sieben. Er sitzt im Sand vor dem Meer und strahlt übers ganze Gesicht. Mit einem Finger zeigt er auf die große Sandburg, die neben ihm steht. Das Bild zeigt auch eine Frau, die mit einem ausglassenen Lächeln hinter ihm kniet und Dan anguckt. Das muss wohl seine Mutter sein.

Alleine dieses Bild strahlt so viel Liebe und Wärme aus, wie ich von meiner Mutter noch nie empfangen habe. Ich will nicht sagen, dass meine Mutter mich nicht liebt, ich weiß es nicht. Aber sie hat es mir noch nie so gezeigt, wie ich es auf diesem Bild sehe. Wir waren nie zusammen am Strand oder generell überhaupt schwimmen. Das habe ich alles von meinem Opa gelernt.

Mein Herz zieht sich zusammen und ich wende meinen Blick ab.

"Das Bild hat Louis sich auch angeguckt, als er zum ersten Mal hier war. Er hat genauso reagiert." sagt Dan hinter mir und jetzt weiß ich genau, dass Louis ihm alles erzählt hat. Das hat man eindeutig an dem mitleidigen Tonfall gehört. Ich lächele einfach nur unecht.

"Ich war acht als das Bild entstanden ist, wir waren den ganzen Tag am Strand. Ich habe die Tage am Strand geliebt. Ich war immer so frei und glücklich als wir dort waren. Ich habe mit meinem Vater Sandburgen gebaut und mit meiner Mutter bin ich immer schwimmen gegangen und habe versucht über die Wellen zu springen. Es war eine schöne Zeit." schwelgt Dan in Erinnerungen und sieht glücklich aus, bis sich seine Mundwinkel wie automatisch nach unten ziehen und sein Blick leerer wird.

"Das ist das letzte Foto von mir und meiner Mum am Strand, sie ist den Herbst gestorben." sagt er dann leise und ich schlucke schwer. Warum erzählt er mir das?

"Warum erzählst du mir das?" spreche ich meine Gedanken laut aus und er guckt mich mit glänzenden Augen langsam an. Es tut irgendwie weh so etwas über ihn zu hören und ihn so zu sehen. Ich kenne Dan schon ewig und ich habe ihn nie traurig gesehen, ich dachte immer bei ihm sei alles in bester Ordnung. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ihm sowas widerfahren ist.

"Ehrlich gesagt weiß ich es selbst nicht" antwortet er mit einem traurigen Lächeln im Gesicht. "Ich weiß aber wie du dich gefühlt haben musst, als dein Opa gestorben ist, es tut mir so leid."

"Es tut mir auch leid." Ist das einzige was ich jetzt sagen kann und gucke ihm direkt in die Augen. Ich habe bis jetzt tatsächlich gedacht er und seine Familie wären glücklich, dass hier alles in bester Ordnung ist. Jetzt erst verstehe ich, dass Damon sein Stiefbruder ist, das Dan jetzt immer eine andere Frau dort sieht, wo er seine richtige Mutter vermissen muss. Auf einmal tut er mir unglaublich leid. Ich weiß immer noch nicht warum er mir das erzählt hat, ob er wollte, dass ich mich verstanden fühle oder ob er die Gedanken in dem Moment einfach loswerden musste. Ich weiß es nicht, aber es ist mir auch egal. Ich gucke ihn wieder an und entscheide mich dazu einen vorsichtigen Schritt auf ihn zuzugehen und meine Arme vorsichtig um ihn zu legen. Er scheint überrascht zu sein von der Geste, aber schließlich entspannt er sich, legt seine Arme ebenfalls um mich und platziert sie auf meinem Rücken. Ich schließe meine Augen und lasse meinen Gefühlen einfach freien Lauf. Ich habe auf einmal das Gefühl ich könnte endlich über alles nachdenken, ich habe das Gefühl, dass er mich nicht dafür verurteilen würde schwach zu sein und mich verstehen würde.

His smileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt