Lysander #13

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"Meinst du es ist...?" Ich unterbrach Lane mit einer erhobenen Hand und einem ungeduldigen "Psscht." Ich las den letzten Satz den ich geschrieben hatte erneut und fügte etwas hinzu.
Sein skeptischer Blick ruhte einen Augenblick auf mir, bevor er sich mir gegenüber auf den Stuhl gleiten ließ. Doch schon gleich darauf war ich wieder in den Worten versunken, die sich in meinem Kopf formten und ungehindert auf das Papier flossen.
Ich zuckte zusammen, als der Laptop vor meiner Nase zuklappte und ich gerade noch meine Finger weggezogen bekam, bevor nach ihnen geschnappt wurde. "Bist du bescheuert?!", fuhr ich Lane an und funkelte ihm todbringend an. Er begegnete meinem Blick unbeeindruckt. "Du tippst seit gefühlt zwei Wochen wie ein Irrer auf diesem Teil rum.", stellte er nüchtern fest. "Es sind erst drei Tage.", berichtigte ich ihn mit gefährlich leiser Stimme. Er bemerkte meine Wut anscheinend gar nicht. "Du warst nur einmal in der Uni, um die Prüfung nachzuschreiben und jetzt schreibst du ohne Pause an deiner Hausarbeit, nachdem du dich zwei Tage lang in deinem Zimmer verschanzt hast." "Das nennt man Ehrgeiz.", giftete ich ihn an. Nur eine seiner Augenbrauen hob sich unbeeindruckt in Richtung seines Haaransatzes. "Du isst kaum und schläfst zu wenig, während du deine Nase permanent in Büchern oder den Laptop steckst." "Erzähl mir nicht, du würdest dir Sorgen machen.", sagte ich missbilligend und wollte den Laptop wieder aufklappen, doch er zog ihn mir weg und klemmte ihn unter seine aufgestützten Unterarme. "Du wirkst recht unausgeglichen seitdem du bei Sirius übernachtet hast und telefoniert habt ihr auch nicht mehr. Ist etwas vorgefallen?" "Ich arbeite. Ich habe nur noch knapp zwei Wochen alles aufzuschreiben, was ich mir anderthalb Monate lang angeeignet habe. Und daher brauche ich Ruhe und Konzentration. Da kann ich Sirius nicht gebrauchen." Sein Name fühlte sich merkwürdig kantig in meinem Mund an, als würde er einen Nachgeschmack hinterlassen. Ich schluckte und schickte Lane einen weiteren vernichtenden Blick. "Das ist es nicht." Ich atmete aus und fuhr mir durch meine Haare, die vermutlich in alle Richtungen abstanden. Ich müsste sie auch mal wieder schneiden lassen. "Seit wann bist du ein Experte für meine Gefühlszustände?" Er lachte auf. Am liebsten hätte ich ihn von seinem Stuhl geschubst und mir meinen Laptop zurückgeholt. "Man muss dich nicht kennen, um zu sehen, dass etwas nicht stimmt. Du vernachlässigst sogar dein Morgenritual." Meine Ohren liefen rot an. Man traute ihm gar nicht zu, dass er solche Dinge bemerkte. "Das hat damit zu tun, dass ich Stress habe.", erwiderte ich matter als zuvor. Man sah ihm an, dass er mit der Antwort nicht zufrieden war. "Ich hab dich schon in Prüfungsphasen erlebt. Gerade da hast du auf gesunde Ernährung, Schlaf und Ausgleich zur Arbeit geachtet." Ich seufzte. "Nerv nicht."
"Ein Mensch hat täglich zwischen 30 und 180 Minuten Momente in denen er abschweift. Sie sind wichtig für die Kreativität. Ganz offensichtlich hast du die zur Zeit nicht." Ich starrte ihn bloß genervt an.
"Du isst jetzt was anständiges, duschst und gehst spazieren, sonst kriegst du den Laptop nicht zurück." Er sagte er so bestimmt, dass ich mir sicher sein konnte, dass er Widerspruch nicht dulden konnte. Ich war wütend auf ihn, dass es mich bevormundete und meinte am besten zu wissen, was für mich gut war, doch ich stand auf. "Dann koch mir was Leckeres, während ich bade." Er lächelte zufrieden und stand ebenfalls auf, wobei er den Laptop mit in die Küche nahm. Ich stand seufzend auf und ging ins Bad. Niemals hätte ich von Lane gedacht, dass er so stur sein könnte, geschweige denn sich solche Sorgen um mich machen würde.

Als ich nach Rose duftend und mit feuchten Haaren aus dem Bad kam, war die Wohnung von Essengerüchen erfüllt, die mir bewusst machten, dass ich mich in den letzten Tagen tatsächlich bloß von Obst und Studentenfutter ernährt hatte. Lane summte am Herd zu dem Song, der aus dem Radio drang mit und rührte in einer Pfanne herum, während Reis in einem Topf daneben kochte. "Was gibt es denn?" Er drehte sich lächelnd um. Mein Ärger auf ihn war fast verflogen. Der Laptop lag auf der Arbeitsfläche beim Obst. "Oh." Er drehte sich lächelnd zu mir um. "Asiatische Gemüsepfanne mit Reis. Du kannst dich schon an den Tisch setzen. Willst du Wasser oder Wein?" Ich zog überrascht eine Augenbraue hoch. Der Tisch war gedeckt und es fehlten nur noch die Kerzen. "Wird das hier ein Date?" Er lachte und wandte sich dem Reis zu. "Wasser."
Ich setzte mich auf einen der Stühle und starrte die Teller an. Es wunderte mich immer noch, weshalb er so nett zu mir war. Er brachte die Pfanne und den Reis auf den Händen balanciert, während er eine Wasserflasche unter seinen Arm geklemmt hatte.
"Nimm dir.", forderte er mich auf, während er einschenkte.
Wenn man direkt davor saß roch das Essen noch leckerer und ich kam liebend gerne seiner Aufforderung nach.
Nachdem er sich ebenfalls genommen hatten, herrschten die ersten Momente in denen wir aßen Schweigen. "Das schmeckt fantastisch.", lobte ich ihn und das tat es auch. Der leichte Geschmack von Zitronengras mischte sich mit dem herben Aroma von Erdnüssen und das Gemüse war durch, aber hatte noch ein bisschen Biss.
Er lächelte mich an. "Freut mich." Wieder Schweigen und das Geräusch von Geschirr.
"Wie läuft es bei dir in der Uni?", fragte ich beiläufig zwischen zwei Gabeln. Es wunderte mich immer wieder, wie man auf so engem Raum zusammenleben konnte, ohne tatsächlich etwas über den anderen zu wissen. Was vielleicht auch ein bisschen an meinem bisherigen Desinteresse an ihm lag.
"Hm. Der Studiengang ist ziemlich zäh." Ich beobachtete sein Gesicht. Es wirkte vollkommen entspannt. Lane schien wie jemand, für den die Universität eine Nebenbeschäftigung darstellte. Ich hatte ihn noch nie lernen gesehen, geschweige denn wegen Prüfungen oder Hausarbeiten im Stress. "Aber ich hab einen Typen kennengelernt. Er geht mir unglaublich auf den Zeiger und gleichzeitig sind wir, glaube ich, irgendwie befreundet." Ich lächelte überrascht. "Wie kann man irgendwie befreundet sein?" Er grinste mich an. "Indem man sich nicht entscheiden kann, ob man den anderen umarmen oder erwürgen will. Und das die ganze Zeit." Ich nickte. Ich verstand, was er meinte, aber wollte nicht an die Person denken, die ich mit dem Gefühl verband. Er strich sich eine Haarsträhne hinter sein Ohr, bevor er sich eine weitere Gabel zwischen die Lippen schob. Seitdem er begonnen hatte in diesem Semester Englisch zu studieren hatte er auch weniger Frauengeschichten und war öfter zu Hause. Meine anfängliche Abneigung gegen ihn war eigentlich vollkommen verflogen und es wunderte mich. Aber vielleicht war ich auch einfach etwas in meinen Prinzipien verfahren.

Als unsere Teller leer waren und die Pfanne auch fast, stand er auf und stellte das Geschirr zusammen. Ich wollte ihm zur Hand gehen, da zog er lachend meinen Teller aus meiner Reichweite. "Was war das Dritte in meiner Liste, was du noch erledigen sollst?" "Spazieren gehen..", sagte ich seufzend. Er lächelte und stellte die Teller professionell auf seinem Unterarm ab. Er hatte zwei Nebenjobs. Vielleicht war einer davon ja kellnern... "Genau. Dann tu das, während ich abspüle." Ich seufzte, aber ging ergeben in die Diele, um meine Schuhe zu holen. Wüsste ich nicht, dass es mir gut tun würde an die frische Luft zu kommen und etwas anständiges zu essen, hätte ich schon längst wieder meinen Laptop. Das Gefühl in Verzug mit meiner Arbeit zu sein, saß mit unangenehm nagend im Nacken. Aber vermutlich hatte er Recht. Zu versuchen meinen Kopf freizubekommen würde mich vielleicht beim Schreiben weiterbringen, als mich darin zu verbeißen.
Ich nahm mir meine Schlüssel und steckte mein Handy in die Tasche meiner Jacke. "Bis später." Damit zog ich die Türe hinter mir ins Schloss.
Auf der Straße umwehte mich ein sanfter Wind. Er schmeckte süß, nach Hoffnung und neuem Leben. Genau das, was ich brauchte. Ich atmete tief ein und lief los. Ich wusste nicht wohin, aber es war in diesem Moment vollkommen egal. Das erste Mal seit Tagen schien mein Kopf frei und unbeschwert. Ohne unerwünschte Gedanken oder dem nAnflug von Kopfschmerzen, da ich krampfhaft nach einer passenden Formulierung suchte.
Die hellen Gesicht, der Menschen an denen ich vorbeikam schienen freundlich und am liebsten hätte ich gesungen.
Ohne Lane würde ich immer noch am Esstisch sitzen. Mit knurrendem Magen, ungewaschenen Haaren und schlechter Laune. Ich konnte es kaum glauben, dass ausgerechnet er mir dazu verholfen hatte mich besser zu fühlen.
Als ich wieder begann auf meine Schritte zu achten und darauf wo ich war, bemerkte ich, dass mir die Straße bekannt vorkam. Ich ging weiter. Hoffentlich fand ich den Weg wieder zurück. Das war der Nachteil, wenn man sich einfach treiben ließ.
Ich erstarrte, als ich eine hellblaue Türe im Augenwinkel bemerkte, die mir bekannt vorkam. Das merkwürdige Gefühl, als sei mir der Boden unter den Füßen weggezogen worden machte sich in mir breit. Es war die Türe, vor der unser erstes Gespräch gewesen war, vor der ich auf ihn gewartet hatte und wo er mich geküsst hatte. Ich starrte die Türe an. Was er wohl dahinter machte? Vielleicht war er gar nicht alleine... Bei der Vorstellung wurde mir schlecht.
Wieso interessierte es mich überhaupt, was er machte und dass er hinter dieser Türe lebte?
Es sollte mir egal sein. Genau deshalb hatte ich ihn abgewiesen und wollte ihn nicht mehr sehen.
Genaus deshalb hatte ich mir die Gedanken an ihn verboten.
Ich ballte meine bebende Hand zur Faust. Die verwirrende Mischung aus Aufregung und Wut mischte sich in meiner Brust. Sie schien mir das Atmen schwerer zu machen. So nahe, war ich ihm nicht mehr seit der Szene im Café gewesen.
Er hatte sich an sein Versprechen gehalten. Er hatte nicht gefragt, weshalb ich schlussendlich so kopflos herausgegangen war, nicht ob es mir gut ging und hatte mir auch nicht noch einmal geschrieben oder mich angerufen, weil er mich sehen wollte.
Die ganze Zeit über nicht.
Ein kleiner Teil in mir hatte es sich insgeheim gewünscht. Und genau dieser Teil versuchte mich dazu zu bewegen meinen Finger auf seine Klingel zu senken und ihm ins Gesicht zu sehen.

Curiosity and Fortune.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt