Lysander #9

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Die Weinflasche war leer und die Schüssel mit den Artischockenblättern dafür voll. Ich sah auf die Uhr an meinem Handgelenk und spürte, dass mein Kopf sich leichter anfühlte als sonst. Wenn er mich hatte abfüllen wollen, war es ihm geglückt. 20:26 Uhr. Ich hatte die Zeit vollkommen vergessen. Und meine maximale Zeit hatte sich um anderthalb Stunden ausgedehnt. Wie hatte sie so schnell zerinnen können? Ich stand auf und der Raum schwankte gefärhlich. "Pass auf.", sagte er, stand schnell auf und stützte mich, indem er meinen Ellenbogen festhielt. Das unplugged Konzert von Eric Cklapton drang gedämpft aus dem Radio. "Ich muss gehen.", sagte ich schwerfällig. Ich löste meinen Arm aus seinen Fingern und ging auf meine Kleider zu. Jetzt wo ich stand giong der Schwindel sogar. Ich spürte seinen Blick auf mir, aber verschwand in dem provisorischen Bad und zog mich schnell um. Meine Kleider waren immer noch leicht feucht, aber wann sollte ich ihm seine schon zurück geben? Ich legte den Pullover und die Jogginghose über den Rand der Badewanne und kam raus. Er stand immer noch an Ort und Stelle. Ich ging in die Knie und band mir meine Schuhe zu. Er hatte sich immer noch nicht gerührt und da es nicht so wirkte als wolle er sich von mir verabschieden zog ich meine Jacke an und öffnete die Türe am Kopf der Treppe. Was sollte man auch groß sagen? Da spürte ich seine Hand auf meiner Schulter und ich drehte mich zu ihm um. Seine Augen versanken in meinen und ich dachte er wolle mich wieder küssen, hoffte es insgeheim, aber er sah mich bloß mit einem Ernst im Gesicht an, den ich nicht bei ihm gewöhnt war. "Ich bin dir sehr dankbar, dass du für heute Abend zugesagt hast." "Ich habe das nicht für dich getan.", rutschte es über meine Lippen, bevor ich die Worte zurückhalten könnte. Er nickte und wich meinem Blick aus. Seine Augen hingen an meinen Sommersprossen und ich presste meine Lippen zusammen, als könne ih die Worte so zurück nehmen. "Das weiß ich... Aber ich fand es trotzdem schön und wollte es gesagt haben, da wir uns ja nicht..." Er stockte kurz. "Weil wir uns vermutlich ja nicht mehr sehen werden. Ich bezweifle, dass du dich noch einmal melden wirst und ich, ich halte mich an meine Versprechen." Ich nickte bloß. "Ich muss wirklich gehen." Ein schmerzhafter Audruck huschte über seine Gesichtszüge und am liebsten hätte ich ihn mit einer Umarmung getröstet, doch stattdessen drehte ich mich um, öffnete die Türe und ging die Treppenstufen herunter. Er folgte mir leise und ich öffnete die Türe zur Straße. Mir peitschte Regen und kalter Wind entgegen und ich vermisste seinen Pullover und die Jogginghose jetzt schon. "Bist du mit dem Auto da?", fragte er mit unbewegter Stimme und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn verletzt hatte. Ich schüttelte den Kopf und sah raus auf die dunkle Straße auf die der Regen schwer prasselte. "Was?" Er klang entgeistert. "Kann dich jemand abholen?" Wieder schüttelte ich den Kopf. "Ich lasse dich in dem Wetter und halb besoffen nicht nach Hause gehen.", stellte er fest und schob entschlossen das Kinn vor. Ein Donnern von draußen unterstrich die Bedeutung seiner Worte noch zusätzlich. "Hast du kein Angeberauto?", fragte ich und sah ihn herausfordernd an. "Ich fahre mit dem Fahrrad.", sagte er und drückte seine Hand flach gegen das Holz der Türe, so dass sie lautlos zu schwang. "Was tust du?" "Ich lasse dich so nicht nach Hause gehen." Ich starrte ihn einen Moment sprachlos an. Vermutlich lösten sich alle Worte, die ich sagen könnte in dem leichten weißen Neben des Alkohols in meinem Kopf auf. Er erwiderte meinen Blick ungerührt. "Also soll ich hier schlafen?" "Und wenn ich dafür auf dem Boden schlafen muss. Ja." Die Entschlossenheit, die in seiner Stimme klang ließ keinen Zweifel daran, dass er es toternst meinte und jeglicher Widerstand zwecklos war. Außerdem war er größer und stärker und höchstwahrscheinlich auch schneller, weshalb es auch sinnlos war zu versuchen an ihm vorbei auf die Straße zu huschen. Die Trägheit, die der Alkohol in meinem Körper verteilte hatte sich schon längst entschieden. Ich seufzte frustriert und stapfte die Treppe hoch. Als ich bei der letzten Stufe ankam, stand er immer noch unten. Ich drehte mich um. "Kommst du?" Anscheinend hatte er nicht erwartet, dass ich kein Theater machen würde. Er löste sich aus seiner Erstarrung nickte und folgte mir. "Du kannst dich umziehen und duschen." Er schloss die Türe hinter sich und gab mir Handtücher. Ich nickte und ging durch den Vorhang.
Als ich wieder heraus trat hatte er den Tisch abgeräumt und spülte gerade ab. Ich lehnte mich an den Esstisch. "Wo schlafen wir dann?" Er hob nicht den Kopf und ein Lied, das ich nicht kannte blubberte immer noch verwaschen aus dem Radio. "Du schläfst auf jeden Fall im Bett." Kurz sah ich zu dem Quadrat das bedeckt von Kissen und Decken war. "Ich denke es ist breit genug für uns beide." Ich sah sein überraschtes Aufblicken aus dem Augenwinkel. "Du meinst das ernst?" Vielleicht lag es an dem Alkohol aber ich nickte. "In Ordnung." Sein Stimme klang immer noch unsicher, so als könne ich jeder Zeit rufen, dass ich ihn reingelegt hatte. "Dann kannst du dich schonmal hinlegen, während ich im Bad bin.", schlug er vor und ich nickte, auch wenn ich es etwas vermessen fand den abgetrennten Bereich als "Bad" zu bezeichnen. Ich tapste auf das Bett zu und setzte mich auf die Kante, während sich hinter ihm raschelnd der Stoff schloss. Mia schlief darauf friedlich, ein Blitz zuckte über den Himmel und versetzte den Raum für den Bruchteil einer Sekunde in helles Licht. Ich schaltete die kleine Lampe ein, die zwischen zwei Balken befestigt worden war. Sofort tauchte sie die Stoffe der Kissen und Decken in ein honiggelbes Licht. Ich legte mich einmal schräg über das Bett und schaute den Stapel an Büchern und Zeitschriften durch, die sich darauf stapelten. Ich könnte eine ganze Woche in den Bett bleiben, Wenn ich könnte. Es war groß, bequem, man hatte genug zu lesen und es lag direkt neben der Küche. Außerdem sah Mia aus, als würde sie einem dabei liebend gerne Gesellschaft leisten. Ich entdeckte 50 shades of grey in dem Stapel, zog es heraus und las mir den Klappentext durch. Dieses Buch war ein Bruch in seinem sonst makellosen Literaturgeschmack. Mit spitzen Fingern legte ich es zurück auf die Spitze des Stapel. "Eine Freundin wollte unbedingt, dass ich das lesen.", erklärte er und ich sah zu ihm. Er trug T-Shirt und Boxershorts. Schnell versuchte ich mich aufzusetzen und nicht das ganze Bett in Anspruch zu nehmen. Ich zog mir die Ärmel seines Pullovers bis auf die Handflächen vor, hielt sie dort mit meinen Fingern fest und sah auf. Er starrt mich immer noch an. Nervosität stieg in mir auf, aber ich versuchte sie mir nicht anmerken zu lassen, indem ich eine Augenbraue hochzog. Er öffnete den Mund, sein Gesicht war ernst und angespannt und ich verspannte mich. Eine Spannung lag in der Luft und ich spürte, dass er etwas sagen wollte, das ich nicht hören wollte. Doch dann wich er meinem Blick aus. "Auf welcher Seite schläfst du?" Vielleicht würde er mich nie wieder so ansehen und ich müsste nicht mehr fürchten, dass er etwas Dummes sagte. "Hier." Es war die Seite, die näher an der Küche lag. Das was hinter der Couch kam schien privat, weshalb ich mich nicht zu nah daran befinden wollte. Er nickte und das Grinsen hatte sich wieder in seine Gesichtszüge geschlichen. Als er neben mir ins Bett rutschte, musste ich den Drang unterdrücken näher an die Kante heranzurutschen. Er hatte mich schon geküsst, also wieso wollte ich auf gar keinen Fall von ihm berührt werden? Wenn er meine Haut wieder in Flammen setzte könnte ich vielleicht nicht mehr widerstehen, aber ich versuchte mir darüber keine weiteren Gedanken zu machen. Er kuschelte sich ein. "Machst du das Licht aus?" Als er seine Augen schloss und sich sein Gesicht entspannte sah er noch schöner aus, als sonst. Schnell zog ich mir die Decke über die Schultern und schaltete das Licht aus. Bloß weil er schön war, hieß es nicht, dass ich darüber hinwegsehen konnte, dass er ein Arsch war und wir uns nach dem morgigen Tag vermutlich nie wieder sehen würden.

Curiosity and Fortune.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt