Der Duft, welcher unaufhaltsam meine Nase anregte, war herrlich. Ich spürte schon, wie mein Magen klagte und rumorte. Ich stützte mich auf die kalte Theke, die den Küchenbereich vom Essbereich trennte. Von meinen Ellenbogen aus durchflutete die Kälte in meinen gesamten Körper, woraufhin sich leichte Gänsehaut auf meinen Armen bildete. Ich sah aufmerksam zu, wie der junge Koch die unzähligen Speisen in unserer Küche zubereitete. Leise ertönten Stimmen aus dem Radio, die die Stille füllten. Meinen Kopf legte ich auf meine gefalteten Hände ab. Neben mir stapelte sich ein Berg von Tellern, die Lyria nach und nach auf die große und langgezogene Tafel legte. Sie schien im Stress zu sein. Ich bemerkte, wie ihre Adern am Hals ausgeprägter wurden und dessen Puls sich beschleunigte.
Das Öl in der Pfanne fing an sich zu erwärmen, was sich deutlich durch das stumpfe Knistern auf der Oberfläche machte. Als die Flüssigkeit nun heiß wurde, wich ich einen entgegenkommenden Spritzer aus. Der Koch, dessen Namen mir nicht bekannt war, wandte sich kurz von seiner Arbeit ab und lächelte mich an, was schon fast einem Auslachen grenzte. Ich stieg kurz ein, doch drehte mich schließlich um. Ich spürte, wie die Röte in meinem Gesicht anfing, zu steigen. Hätte das mein Bruder gesehen, würde er das schon als Flirten gelten lassen...
Lyria transportierte währenddessen den letzten Teller an den Kopf des Tisches und fokussierte sich auf das Besteck, welches ebenfalls noch neben mir lag.
Ich wollte Lyria unter keinen Umständen bei ihren Tun stören, doch als meine Ohren die Melodie vernahmen, welche aus dem Radio kam, konnte ich nicht anders. Es war unser Lied. Es war das Lied, das wir beide über alles liebten und zu jeder Gelegenheit miteinander sangen.
Bevor Lyria das Besteck erreichen konnte, griff ich nach ihm. Sie verdrehte die Augen und sprach etwas Unverständliches, was sich nach der Betonung zu urteilen, eine Warnung gewesen sei. Sie versuchte, es an sich zu nehmen, doch meine Reflexe siegten. Ich lief mit dem Blick nach hinten zu Lyria gerichtet zum Tisch und legte das Besteck zerstreut auf die Oberfläche. Sie verdrehte abermals die Augen, was eigentlich eher meine Spezialität des Genervtseins war. Lyria kam nun auf mich zu.
Ich machte ein flüchtiges Handzeichen zum Koch, so dass er die Lautstärke des Radios verstärkte. Das Radio stand immer einsam auf dem Fensterbrett in der Küche. Schon fast verstaubt und ungebraucht. Mein Vater und mein Bruder hörten nicht oft Musik. Bloß meine Mutter und ich, jedoch war sie schon länger nicht mehr bei uns gewesen.
Ich nahm die warmen Hände Lyrias. Mein Versuch gelang, sie mitzureißen und unsere Körper zu drehen. Ihre dunklen Haare wehten zurück und es schien alles in Zeitlupe. Die Musik begleitete unsere Tanzeinlage und in mir kamen Glücksgefühle hervor. Ihr ging es anscheinend genauso, da auf ihrem angespannten Gesicht ein fröhliches Grinsen zur Geltung kam und auch ein leises Murmeln des Textes. Mir war es gleich, was der Fremde in diesem Moment von uns dachte. Es war einfach unser Moment. Lyrias und meiner.
"Okay, okay, das ist genug.", sprach sie nach einer Weile aus. "Ich muss weiterarbeiten. Und außerdem habe ich noch paar Tänze vor mir heute Abend."
Ich stellte die Bewegung ein und hob neugierig die Augenbrauen. Ohne ein Wort auszusprechen, seufzte sie und erklärte mir:"Du weißt doch, Thomas."
Sie erzählte mir viel von diesem Mann. Thomas sprach Lyria eines Tages vor ihrer Haustür an. Nun waren drei Monate vergangen, in denen sie täglich schrieben und sich gelegentlich trafen.
"Er will unbedingt mit mir heute tanzen gehen. Frag mich nicht, wieso er genau das wollte. Aber ich habe keine Kraft mehr heute. Es ist doch innerhalb der Woche.", fügte sie klagend hinzu.
"Trotzdem liebst du es, tanzen zu gehen.", warf ich ein. Ich wünschte, dies könnte ich auch von mir sagen.
"In letzter Zeit nicht mehr so gerne..." Lyrias verzweifelter Blick lag auf mir.
"Haben deine Eltern eigentlich nie etwas gesagt, dass du so oft ausgehst?", fragte ich nun.
Sie lachte. "Ich bin 23. Meine Eltern sagen mir seitdem ich 16 Jahre alt bin nicht mehr, was ich machen soll. Das ist doch selbstverständlich."
Ich schaute beschämt zu Boden. In diesem Augenblick fühlte ich mich so dumm und verdammt jung. Ich war also jemand abnormales, weil meine Familie mich durch meine Freiheitsbeschränkung beschützen wollte?
Die Atmosphäre änderte sich von der einen auf die andere Sekunde. Lyria konnte sehen, was in meinem Inneren vorging.
"So meinte ich das nicht." Lyrias Handfläche lag auf meiner rechten Schulter. "Du weißt, dass deine Familie sich von den anderen unterscheidet. Du bist etwas Besonderes..."
Ich öffnete meinen Mund, um dies zu verneinen, jedoch unterbrach mein Bruder die Konversation.
"Lyria, verdammt nochmal! Du sollst arbeiten und nicht dumm rumstehen. Dafür bezahlen wir dich nicht."
Die wütende Stimme Lukes übertönte das Knistern des Öls auf der Pfanne sowie die Melodien, welche aus dem Radio hallten. Sein Gesicht war von Zorn verzerrt.
Lyria schaute verängstigt zu Boden, nickte kurz und fuhr fort, den Tisch zu decken.
Als ich mich zu meinen Bruder und auch zu Phio begab, um in allmählich zu beruhigen, erkannte ich verschwommene Silhouetten vor unserer Tür. Sie waren bereits da. Der Abend würde beginnen.
DU LIEST GERADE
The Golden Blood
Romance*** Der Hass, der Schmerz, die Leidenschaft, die Begierde. Alles schien vergänglich. Eine Rose konnte mit einem Windstoß in ihre Einzelteile zerfallen. Ein einziger Windstoß. Doch würde die Rose mit Gold übergossen werden, würde sie immer noch zer...