Fünfzehn

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Mit einem unbemerkten Anlauf und einem festen Schritt erreichte meine Gestalt nun den Eingang des Zuges. Der modrige Geruch alter Ledersessel und undichten Fenstern umfasste meine Nasenflügel und stieg in mir hoch. Anscheinend versuchte er, meine Anwesenheit mit Zugtickets niedriger Kosten zu verdecken. Der gegnerischer Clan würde wahrscheinlich nach luxuriöseren Zügen Ausschau halten, nachdem sie die Straßen durchgekämmt hatten.
Phios Brust streifte sacht meinen Rücken und steuerte mich so zu unseren Plätzen. Sie waren weiter entfernt von den weiteren, um uns ein wenig Privatsphäre zu schenken. Ich ließ mich auf einen dieser fallen und aus dem Fenster grüßten mich die von Wind getriebenen Bäumen. Die Sonne kämpfte sich durch die dichten Kronen. Der warme Lichtstrahl strich sacht über meine rechten Gesichtshälfte, weshalb ich meine Augen schloss.
Diese Atmosphäre verlieh mich dazu in einen Schlaf zu verfallen, doch ich kämpfte dagegen. Ich wollte meinen Gedanken noch freien Lauf lassen, um das Geschehene verarbeiten zu können.
Phio und ich waren nun auf dem Weg nach Italien. Auf den Weg zu meiner Mutter, um sie zu befreien. Ich schenkte meine Gedanken schließlich nur ihr bis ich bemerkte, was wir eigentlich taten. Wir stellten uns gegen unser Schicksal, gegen meinen Vater und meinen Bruder. Ich hatte mich mein Leben lang nach ihnen gerichtet und in diesem Augenblick schoss ein leichtes Kribbeln durch meine Magengrube. Ich konnte es nicht fassen. Meine Abenteuerlust kämpfte gegen die Angst.
Durch das Nachdenken wurde mein Körper jedoch nicht in Entspannung gelegt, sondern in eine gewisse Unruhe versetzt. Ich blinzelte und bemerkte, dass der Zug noch im Stillstand lag. Mein Zeitgefühl war vergraben unter meinen Gefühlen, die ich nicht zu sortieren versuchte.
Phio lächelte als er mein vollkommenes Bewusstsein bemerkte.
"Alles gut?", fragte er mich schließlich besorgt. Ich nickte bloß.
"Du hast irgendetwas auf dem Herzen. Ich merke das. Ich kenne dich gut, Silva. Mach mir bitte nichts vor."
Mein Körper drängte mich dazu die Wahrheit zu sagen, und schließlich entfernten sich meine Lippen voneinander, um Worte entfliehen lassen zu können.
"Es ist nur... nur so komisch. Ich fühle mich so gut und doch prägt mich, seitdem ich in dein Auto gestiegen bin, ein schlechtes Gewissen."
"Ist das nicht normal? Du hast die Wahl über deine Lebensentscheidungen in den Händen anderer gelegt. Und nun entwickelst du deinen eigenen Willen und tust etwas, was du bestimmt hast. Aber muss das etwas Schlechtes sein?"
Ich verneinte zaghaft. "Es ist einfach nur ungewohnt." Meine Augen schauten beschämt zu Boden. Ich fühlte mich wie ein kleines verwirrtes Mädchen. Der Zug begann in stetig steigender Geschwindigkeit zu fahren.
"Ich weiß auch, dass es ungewohnt für dich sein muss, mich als deinen Verlobten zu sehen. Aber trotzdem werde ich immer dein Freund von früher bleiben. Ich bin niemand anderes als der Phio, den du seit deiner Geburt kennst. Und es ist immer noch der Phio, der dir nun das hier überreichen will..."
Mit diesen beruhigenden Worten griff er in seine Jackeninnentasche. Es kam ein glänzender Gegenstand zum Vorschein.
Seine Hand griff nach meiner und legte mir den Schmuck um den Ringfinger. Das Metall, welches meinen Finger umschloss, fühlte sich kalt auf der Haut an. Meine Augen hafteten auf dem schimmernden Diamanten, der in den silbernen Ring hinein gearbeitet wurde. Meine Mundwinkel gingen nach oben und hastig nahm ich Phio in meine Arme. Sein Duft überdeckte den modrigen Geruch des stickigen Raumes.  Obwohl die Hochzeit nicht in meinem Interesse lag, sprühten Freudefunken unter meinen Rippen umher. Der Ring gab mir Hoffnung auf eine wirkliche Hochzeit, wie sie in den Märchen geschrieben wurde.
"Ich will dich glücklich sehen.", flüsterte Phio in mein Ohr, weshalb sich meine Härchen auf der Haut nach oben regten.
Ich löste mich langsam aus der innigen Umarmung. Währenddessen bemerkte ich die Erleichterung in Phios Augen. Dieser setzte an etwas zu sagen, doch er wurde unterbrochen. Unsere Blicke lagen nun auf einem dunkel bekleideten Mann.
"Guten Tag. Die Fahrkarten bitte."
Seine Stimme brachte jeden Einzelnen im Wagen in Bewegung. Jeder wühlte eilig in seinen Taschen oder Jacken, um die gewünschten Tickets für die Fahrt präsentieren zu können. Wie es wir ebenfalls taten. Mich wunderte es, dass der gewisse Mann seinen Blick auf mir legte. Die gesamte Zeit des weiteren Kontrollierens der Karten tat er dies. Als er schließlich das Ende des Ganges erreichte, übergab Phio sein Ticket, als dieser bemerkte, dass ich meine noch vergeblich suchte. Ich war mir sicher, sie in meine linke Jackentasche getan zu haben, doch jegliche Spur davon war verloren.
Ich runzelte die Stirn und sah verzweifelt zu Phio rüber, der den gleichen Gesichtsausdruck besaß.
"Es-es tut mir leid. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, aber ich hatte wirklich meine Fahrkarte. Noch gerade eben. Wirklich.", quengelte ich stockend aus mir. Meine Stimme klang brüchig. Ich wusste nicht, was nun geschah, weshalb mein Finger vergeblich mit dem silbernen Ring spielte.
Phio reagierte schnell und legte beschützerisch seinen Arm auf meine Taille ab. "Ich werde dafür aufkommen, Sir. Ich gebe Ihnen so viel Geld, wie Sie es sich wünschen, nur wir müssen unbedingt mit diesem Zug nach Mailand. Bitte verstehen Sie unsere Lage."
Der Mann sprach kein Wort, nahm meinen Arm und riss mich vom Sitz. Schwankend stand ich neben ihm, der mich stark musterte.
"Das kann ich nicht gestatten."
Die Stimme war nach wie vor kalt. Zum ersten Mal sah ich in seine dunklen Augen und zog meine Brauen zusammen. Ich erkannte diese harten Gesichtszüge und die zurückgegelten schwarzen Haare. Vor mir stand der Mann, mit welchem ich einen Zusammenstoß am Bahnhof erlebte. Deshalb hatte er wohl kein Mitgefühl für unsere missliche Lage, dachte ich mir am Rande meiner Gedanken.
"Ich muss dich mitnehmen."
Als der Fremde dies aussprach sprang Phio reflexartig auf und ballte seine Fäuste. "Das kann ich nicht zulassen.", sprach er ruhig, jedoch erkannte ich die steigende Wut in ihm aufkochen.
Kein Zucken des Fremden Gesichtes war zu erkennen, als sich Phio vor ihm aufbaute. Der Mann ließ sich nicht abschrecken, sondern zog meinen Körper nur noch mehr zum Ausgang des fahrenden Wagens.
Diese flüchtigen Momente verliefen so schnell, jedoch auch so vertieft und detailliert ab. Der Fremde schubste Phios Körper gegen die eiserne Wand, bevor dieser seine Waffe zücken konnte. Seine Arme prallten mit voller Wucht auf die harte Barriere und aus Phios Mund entwich ein schmerzerfülltes Stöhnen. Doch er öffnete seine Augen, die vor Wut Funken sprühten. Phio ging zum Gegenangriff über, was den fremden Mann nur wenig beeindruckte.
Als wäre es geplant gewesen, ließ der Zugfahrer die Geschwindigkeit des Transportes sinken und der Mann riss die Tür des Zuges auf. Seine Sicht war auf die Landschaft, die sich vor uns ausstreckte, gerichtet, weshalb er den immer näher werdenden Phio beim Abschuss seiner Knarre keines Blickes würdigte. Ich wachte allmählich aus meiner betäubenden Trance auf, doch es war zu spät. Der Mann packte mich am Oberkörper und sprang mit meiner Selbst aus dem Zug, der nur noch eine geringe Beschleunigung besaß. Meine Kehle war wie zugeschnürt und trotzdem entglitt mir ein Flüstern des Namens meines Verlobtens. Dieser lag keuchend auf dem Boden des Wagens umringt von schreienden Passagieren. Sein Körper wirkte schwach und doch versuchte er gegen den Schmerz anzukämpfen, die von seinem Bein ausging. Ich spürte wie sein Blick mir mitteilen wollte, dass er mich zurückholt. Zurückholt zu sich.
Doch dieses leere Versprechen konnte ich keinen Glauben schenken. Ich war in den Fängen eines Fremden...

The Golden BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt