Zwölf

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Die Langeweile in mir stieg von Zeit zu Zeit und letztendlich entschied ich mich, wieder in mein Bett zu begeben. Schließlich brauchte ich meine Energie und Kraft für den nächsten Morgen. Als das Kissen meinen Kopf sanft umschling, fiel es mir jedoch schwer, in den Schlaf zu fallen. Die Aufregung und die unbeantworteten Fragen, was morgen geschehe, konnten nicht gebändigt werden. Sie waren zu stark, weshalb meine Augen starr auf die Decke blickten. Wiedermal ertönten sachte Regentropfen am Glas des Fensters. Es beruhigte meinen Herzschlag, der sich auch allmählich verlangsamte.
Noch einmal rieb ich mir über den Handrücken und musste dabei ein Grinsen unterdrücken. "Bald bin ich frei. Und bald bin ich wieder bei dir, Mutter.", flüsterte ich in die Stille hinein. "Ich liebe dich.", formte ich noch mit meinen Lippen bis meine Augenlider immer schwerer und schwerer wurden.
Bevor meine Wimpern die Sicht auf die Decke in Dunkelheit bringen konnte, vernahm ich an der Eingangstür Schritte. Schritte, die sich über die Treppe hinaufbegaben. Sie blieben kurz ruhig, als ich Schatten durch den Türspalt erkennen konnte. Doch dann wurden die Klänge schwächer und ferner.
Schon an der Schrittabfolge fühlte ich die Anwesenheit meines Bruders. Ich öffnete die Tür meines Zimmers, jedoch war Luke nirgendwo. Als ich mit gewisser Vorsicht das Zimmer meines Bruders betrat, erspähte ich seine Umrisse auf seinem Sofa, auf welchem wir vor einiger Zeit Videospiele mit Phio gespielt hatten.
Seine Hände vergruben sich in seine blonden, verwuschelten Haare. Als ich näher kam, erkannte ich dunkle Schatten an seinem gesamten Körper. Wie jedes Mal wenn mein Bruder so nach Hause kam, begab ich mich ins Badezimmer und ließ Tücher ins kalte Wasser tauchen.
Diese wasserbefüllten Stoffe legte ich sacht auf seine Schulter und seinen blassen Wangen, als ich mich vor ihm hinkniete.
Seine Augenbrauen waren zusammengezogen und doch war er nicht bei vollem Bewusstsein. Ich versuchte vergeblich, die dunklen Schatten zu beseitigen, welche sich als vertrocknetes Blut herausstellten. Meine Augen suchten seinen Körper nach den Wunden ab, und doch fanden sie keine. Anscheinend war es nicht sein Blut... Was mich ein wenig erleichterte und gleichzeitig beunruhigte.
Er öffnete schwach vor Erschöpfung seine blauen Augen. Ein krampfhaftes verschmitztes Lächeln zeichnete seine noch mit blutbedeckten Lippen. Ohne seinen haftenden Blick zu würdigen, fuhr ich mit meiner Arbeit fort.
Ich wollte ihn fragen, was geschehen war. Ich wollte ihn fragen, wessen Blut das war. Und ich wollte ihn fragen, ob dieser jemand noch am Leben war.
Ohne ein Wort in die Stille des Raumes zu legen, ertönte seine raue und kratzige Stimme in meinen Ohren:"Diese Kerle haben es verdient, Silva. Sie waren ein Teil der Entführung unserer Mutter. Sie steckten alle unter einer Decke. Nichts als einen qualvollen Tod haben diese Wichser verdient... Einen sehr qualvollen Tod."
Ein Schauer überkam meinen Rücken. Ich wusste, dass mein Bruder fähig zu so etwas Derartigem war und dass es ihm schon fast Vergnügen bereitete. Doch diese Worte über seinen Lippen waren mir unbekannt und unheimlich.
Seine Augenlider wurden anscheinend immer schwerer, weshalb seine Augen erneut geschlossen waren. Trotzdessen spürte ich noch die Anspannung seiner Muskeln an seiner Hand, die meine hielt. Ich löste mich von dieser und meine Lippen berührten leicht seine Wange. "Du brauchst nicht mehr zu kämpfen. Ich werde es an deiner Stelle tun. Ich beweise dir, wie stark ich wirklich bin.", flüsterte ich in den Kuss hinein und spürte meinen regelmäßigen Atem auf seiner Haut. Erleichterung kam in mir auf, zu sehen, dass seine Sinne schon durch den Schlaf in Betäubung lagen.
Schließlich hob ich die bluttriefenden Tücher vom Boden auf und begab mich wieder in mein Zimmer.
"Ich habe dich lieb. Bald werden wir uns Wiedersehen.", waren meine Worte als ich die Tür hinter mir schloss.

The Golden BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt