Nach vier weiteren Stunden des Schlafes küssten mich die sonderbar kalten Sonnenstrahlen wach. Ich spürte, wie sich Gänsehaut über meinen gesamten Körper erstreckte. Meine Decke lag auf dem Boden und verweigerte mir so meinen Schlaf weiterführen zu können. Mühselig richtete ich mich auf, um das Fenster zu schließen. Eigentlich umgab es mich ein schönes Gefühl, die stumpfen und fernen Klänge des Waldes zu erhören.
Das rhythmische Plätschern des Wassers, welches gegen das Eis entgegenwirkte.
Das beruhigende Rascheln der Blätter, welche im Winde tanzten. Sie tanzten so elegant, so frei...
Ich schloss mit dem Enden dieser Gedanken an Freiheit das Fenster. Mein Blick blieb bei meinem Handrücken hängen. Da nun die Sonne schon eine hohe Position erreichte, könnte ich Phios Schrift von Weitem erkennen.Morgen 7:30 Uhr am nördlichen Haupteingang.
Wir werden deine Mutter holen!Ich musste diese Wörter ein weiteres Mal lesen. Noch einmal. Und nochmal. Langsam zog sich ein leichtes Kribbeln durch meinen Magen bis hin zu meinen nackten Füßen, die sich vorsichtig vom Fenstersims zurückbewegten. Ich konnte es nicht glauben.
Phio stellte sich gegen den Befehlen meines Vaters und meines Bruders. Ich hätte dies nie zu denken gewagt. Er blieb stets treu und ehrlich zu ihnen. Sollte ich trotz dieser Tatsache seinen Worten Glauben schenken und somit auch die einzige Hoffnung, meine geliebte Mutter wiederzusehen? Ich wollte diesen naiven Gedanken abschlagen, dass er sein eigenen Geist entwickelt, welcher sich nicht beugen ließ.
Ich schüttelte nachdenklich den Kopf und biss mir auf die Lippen, bis sich ein eisenhaltiger Geschmack sich auf meiner Zunge breit machte. Kann es wirklich wahr sein...?
Ich lief abermals die Treppen hinunter und meine Sinne verrieten mir, dass Lyria am Herd stand. Der dämpfende Geruch stieg in meine Nase und meine Augen weiteten sich vor Freude auf eine wärmende und guttuende Mahlzeit mit Lyria. Ihre dunklen Haare hingen ihr sanft über die Schultern und in der einen Hand schob sie eines der Spiegeleier unter den Pfannenwender, um dieses auf den leeren Teller zu schieben. Als sie den Boden knarren hörte, drehte sie sich in meine Richtung und ein heiteres "Guten Morgen" erklang durch den Raum.
Ich war froh, dass keiner meiner Familienmitglieder im Haus anwesend war, sondern Geschäfte erledigte. Ich brauchte diese Zeit, allein mit meiner engsten Freundin.
Ich tapste zu ihr und rieb schmerzhaft über meinen beschriebenen Handrücken, weshalb die Schrift verblasste. Man konnte nicht vorsichtig genug sein.
Ich ließ mich auf dem nächstgelegenem Stuhl fallen und betrachtete Lyria.
Mein Gewissen hielt einen unersättlichen Kampf, ob ich ihr meine Pläne offenbaren sollte. Ich vertraute ihr voll und ganz, doch mich hielt der Aspekt zurück, dass sich ihre Sorgen um meine Sicherheit wuchsen und somit mein Vertrauen zu ihr sank. Um mich in Sicherheit zu wiegen, würde sie all meine Geheimnisse erzählen. Es war eine gute Eigenschaft von ihr, jedoch half es mir in dieser Situation keineswegs.
Das dunkle Mädchen legte den befühlten Teller vor meiner Brust auf den Tisch und reichte mir das silberne Besteck. Schließlich nahm sie den weiteren Teller und gesellte sich zu mir. Es war ein Morgen wie jeder, außer das stressige Herunterschlingen des Frühstücks, um vor dem Privatunterricht noch die gestrigen Hausaufgaben zu erledigen. Zu meinem Glück blieb der Unterricht heute aus.
Ihre Augen hafteten auf meinen, doch ich versuchte, mich auf die Köstlichkeit vor mir zu konzentrieren, da mein Magen lauter und lauter Klagen aussprach. Auf ihren vollen, rosigen Lippen bildete sich ein gewisses Grinsen.
"Und? Wie ist es so, verlobt zu sein?" Ihren Kopf stützte sie auf ihre Handflächen und sah wie gebannt auf meine Reaktion. Ich zuckte mit den Schultern, ohne meinen Blick von meinem Teller abzuwenden. Wie sollte es auch sein? Ich hatte mich mit meiner Vermählung nicht besonders viel auseinandergesetzt, schließlich war meine Mutter in Gefahr.
Sie griff nach meiner Hand und legte sie in ihre. Ihr Daumen strich langsam über meine warmen Haut. Die Oberfläche unseres Körpers standen in einem deutlichen Kontrast. Meine Hand war so blass und schon fast kränklich wirkend, da ich selten Sonnenlicht an mich ranlassen durfte. Ich blieb stets in unserem Haus. Etwas anderes ließen sie nicht zu.
Ihre Haut dagegen war in einer gesunden Farbe gehalten. Sie schien golden, als gäbe es keinen Winter auf der Welt. Neid überkam meinen Körper, als sich diese Gedanken in mein Gewissen schlichen.
"Wann siehst du eigentlich Thomas wieder?", wechselte ich gekonnt das Thema, um nicht über meinen weiteren Kummer nachdenken zu müssen. Aufeinmal wurde ihr Grinsen breiter, während sie ihren Mund öffnete, um Wörter frei zu lassen, doch sie hielt inne.
"Verdammt.", fluchte Lyria plötzlich, stand ruckartig auf und ließ somit meine Hand los. "Ich muss sofort los."
Ich zog die Augenbrauen hoch und schenkte ihr ein Schmunzeln.
"Du verrätst mich doch nicht. Oder, Silva?"
Sie biss sich auf die Zähne und erhoffte eine Bejahung, die ich ihr dann auch schließlich gab. Normalerweise verlief ihre Arbeit in unserem Haus bis zur Mittagsstund'.
"Danke. Du bist die Beste." Mit diesen Worten verließ Lyria den Speisesaal, um ihre Tasche zu packen. Als sie diese über ihre Schulter hing, öffnete sie ihre Arme, um mich an ihren Körper zu drücken. Mein Kinn legte ich auf ihr Schlüsselbein ab und meine Augen richteten sich auf die Leere des Hauses. Nun werde ich abermals in diesen großen Sälen den Tag verbringen. Und das abermals allein.
Wir lösten uns aus der innigen Umarmung und ich spürte noch ihren rosigen Duft an meinem Körper. Mit einem langanhaltenden Knarren wurde die Haustür geöffnet und Lyria schritt hindurch. Nach unserer Verabschiedung lehnte ich mich gegen den Türrahmen und sah zu, wie ihre Silhouette immer kleiner und kleiner auf der Bildfläche wurde, bis diese kaum mehr zu erkennen war. Ich rieb mir über den verschwommenen Schriftzug auf meinem Handrücken und erst nun wurde mir bewusst, dass es möglich wäre, Lyria, meine engste Freundin, nie wiederzusehen...
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The Golden Blood
Romance*** Der Hass, der Schmerz, die Leidenschaft, die Begierde. Alles schien vergänglich. Eine Rose konnte mit einem Windstoß in ihre Einzelteile zerfallen. Ein einziger Windstoß. Doch würde die Rose mit Gold übergossen werden, würde sie immer noch zer...