Acht

90 6 0
                                    

Seit meiner Geburt wurde ich stets beschützt und festgehalten. Ich kannte nichts anderes. Mein Leben akzeptierte ich so. Es war normal für mich, wie es war, wie es ist und wie es für immer sein wird.
Doch auf einmal spürte ich förmlich die Ungerechtigkeit in mir kochen. Durch die Verbindung unserer Familien würden sich die Clans vereinigen. Wir wären stärker, mächtiger.
Ich mochte Phio gerne. Die Gefühle, die ich für ihn empfand, waren keine Liebe. Das wusste ich. Nach einer gewissen Zeit könnte es sich entwickeln, waren meine Gedanken als ich mich auf mein Bett fielen ließ. Ich spürte den weichen Samt an meiner Haut und ließ die Worte im Kopf frei. Es gäbe eine Möglichkeit, glücklich zu werden. Glücklich mit ihm.
Obwohl meine Gedanken entschlossen bei ihm lagen, formte sich ein Bild vor meinen Augen. Goldenes welliges Haar, dunkelblaue Augen und ein weißes liebevolles Lächeln. Meine Mutter.
Ich hatte sie seit 8 Monaten nicht mehr sehen können. Mein Vater erzählte mir, sie würde bald nachhause kommen. Bald... Sie hätte Aufträge in Italien zu erfüllen und die wären von hoher Priorität. "Bedeutend" wie er es immer erwähnte.
Ich verdrehte aufgrund der vergangenen Worte meines Vaters genervt die Augen und schnalzte die Zunge. Ich drehte mich zur Seite, so dass ich das Geschenk von ihm betrachten konnte. Es stand friedlich in dem größten Blumentopf und es schien, als würde das Gewächs mir zunicken, was wohl eher Einbildung war. Durch das geöffnete Fenster schaukelte der Wind sanft die Blätter umher. Ich schaute mit leeren Blick zu ihnen.
"Mein Vater hätte mir bloß meine Mutter lassen sollen. Nur für die Hochzeit. Für dieses eine Mal."
Ich spürte abermals, wie sich Tränen in meinen Augen füllten, doch bevor sie sie verließen, blinzelte ich. Ich wollte stärker sein, als ich es tatsächlich war.
Plötzlich ertönte eine aufgebrachte Stimme vor der Tür meines Zimmers. "Nein! Du wirst ganz bestimmt nicht zu meiner Schwester laufen. Nicht jetzt! Hast du nicht gesehen, wie aufgebracht sie war?"
Der Ton meines Bruders wurde stetig aggressiver und lauter.
"Ich muss aber mit Silva sprechen.", hallte eine ruhigere Stimme durch den Flur.
Ein unüberhörbarer Knall war zuhören, als hätte jemand jemand anderen an die Wand gedrückt.
"Hör gut zu. Ich weiß, was für sie gut ist. Sie braucht Ruhe und unter keinen Umständen einen nervigen verliebten Phio, der sie volllabert. Hast du das verstanden? Ich bin ihr Bruder, ich weiß das."
"Und ich bin ihr Verlobter, Luke! Ich weiß es besser!" Die Ruhe, welcher in dieser Stimme lag, wurde gebrochen und es entsprang eine unaufhaltsame Wut in ihr.
Ich zuckte zusammen. Mich verwunderte es, wie Phio mit meinem Bruder sprach. Zwar waren sie miteinander befreundet, jedoch hatte Luke das Sagen, wie er es schon immer besaß.
Lukes Stimme war nach dem Ausbruch Phios verstummt. Geräuschvolle Schritte, die sich nach unten begaben, konnte ich von meinem Zimmer aus vernehmen. Direkt vor der Tür hörte ich ein fast nicht hörbares Seufzen und ein anschließendes Klopfen.
Mit einem leisen "Herein", gab ich der Person das Zeichen hineinzutreten. Ich sah, wie Phio die Tür langsam hinter sich schloss und schließlich sein Blick auf mir lag.
Ich saß auf dem Rand meines Bettes. Von meinem Fenster aus knnte man den Wald erblicken, welcher durch den Schein des Vollmondes erleuchtet wurde. Meine rechte Gesichtshälfte wurde ebenfalls von dem Licht aufgefangen.
Mit einem flüchtigem Zögern setzte sich Phio neben mich. Sein Kopf blieb gesenkt und seine Körperhaltung ebenfalls. Er knetete seine Hände und ich spürte förmlich seine Gedankengänge.
"Du weißt,...", fing er schließlich das Gespräch an. "... ich würde dir unter keinen Umständen etwas antuen.
Ich will dich für den Rest meines Lebens beschützen, wie ich es schon immer tat.
Ich will dir Freiheiten schenken, die dir bis zum heutigen Tag unterlassen wurden.
Ich will dich glücklich sehen, als meine Frau.
Und ich weiß auch, dass dir diese Heirat nichts bedeutet. Nur die Erfüllung einer Pflicht für deine Familie."
Seine braunen Augen beobachteten jede meiner Regungen im Gesicht.
"Du willst deine Freiheiten und ich will sie dir geben."
Phio atmete einmal tief durch, um die nachfolgenden Wörter aussprechen zu können.
"Ich liebe dich, Silva. Das tat ich schon immer. Und du weißt es. Und ich weiß ebenfalls, dass du das gleiche nicht für mich empfindest."
Als dies über seine Lippen kam, hielt ich den Atem an. Mir war es schon seit längerer Zeit bewusst, doch diese Ehrlichkeit überrumpelte mich.
"Du hast Recht. Ich liebe dich nicht."
Meine Worte waren wie ein Schwert, welche sich durch seine Brust zog. Ich legte meine Hand in seine und ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich seine Verwunderung bemerkte.
"Aber ich werde dich lieben."
Seine Lippen erwiderten ebenfalls ein Lächeln und küssten sanft meinen Handrücken. Er schien dankbar über diese Offenheit zu sein. Doch dann entwickelte sich in mir wieder diese Ungerechtigkeit und der Gedanke an meiner Mutter. Ich zog meine Hand langsam weg und legte sie auf den Seidenstoff meiner Decke.
"Ich kann dich aber trotzdem nicht heiraten. Ohne sie."
Meine Körperhaltung wurde kleiner und gebrechlicher.
"Du musst.", erwiderte er.
Seine Augen symbolisierten Wärme für mich. Immer wenn ich sie erblickte war das Braun seiner Iris hell und freundlich, doch auf einmal wurde diese Empfindung schlagartig verändert. Kälte spiegelte sich in ihnen wieder. Eisige Kälte.
Mein Körper bewegte sich von der Holzkante zur Ecke des Bettes. Es machte mir Angst, ihn so zu sehen. So anders.
Doch mit einem Blinzeln seinerseits war diese Kälte in seinen Augen geschmolzen. Ich bemerkte, wie er realisierte, worum es für mich ging. Wie wichtig es wirklich wahr. Schließlich rückte er näher zu mir und setzte das altbekannte Lächeln auf.
"Wir haben lange darüber nachgedacht und diskutiert, wie wir das mit der Abwesenheit deiner Mutter auf unserer Hochzeit regeln können. Wir haben alles versucht. Für dich."
Phio fügte ein überzeugendes "Wirklich" hinzu als er mein ungläubigen Gesichtsausdruck sah.
"Deshalb haben wir uns überlegt, ob du sie nicht davor sehen könntest. Du könntest sie besuchen fahren."
Meine Augen weiteten sich und mein Mund blieb offen stehen. Ich hatte nicht einmal zu fragen gewagt, ob ich meiner Mutter wirklich einen Besuch abstatten könnte. Es ertönten schon die Worte in meinen Ohren, dass das nicht ginge. Es wäre zu gefährlich... Doch nun würde mein sehnlichster Wunsch erfüllt werden. Ich werde meine Mutter sehen und das schon bald.
"Unsere Leute haben die Karten bereits bestellt."
"Karten?"
Ich fragte mich verwundert über die Pluralform des Begriffes. Er nickte mit einem verschmitzten Zwinkern.
"Dachtest du wirklich, wir lassen dich alleine dahin fahren?" Sein sarkastisches Grinsen verwandelte sich in ein tiefes Lachen.
"Die kleine zerbrechliche Silva alleine auf dem Weg in die Höhle der Löwen."
Ich verschränkte die Arme und zog einen Schmollmund, was mich wahrscheinlich noch kleiner und zerbrechlicher, wie er beschrieb, wirken ließ.
"Nein. Ich werde dich begleiten. Sieh es als ein Aufwärmen unserer Flitterwochen."
Wir stiegen beide in ein Lachen ein. Er fand immer die richtigen Worte.
Glücksgefühle kamen in mir hoch, sodass ich in seine Arme fiel. Er roch noch nach dem Essen, was wir heute Abend zu uns genommen haben. Ich war so froh, ein Stück Freiheit durch meinen Verlobten Erlangen zu können. Es fühlte sich so gut an. Sogleich das Empfinden der Freude in meinem Körper wuchs, so wuchs auch der Zweifel, dass diese Reise wirklich stattfinden würde. Mein Bruder und mein Vater haben schließlich immer das letzte Wort. Und dieses Wort konnte keine Art der Zustimmung gewesen sein. Sie würden dies normalerweise nie zulassen... Wo blieb der Harken?

The Golden BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt