16. Kapitel - Nur zwei Sätze

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„Charlette, jetzt beruhige dich doch bitte." Immer wieder versuchte ihr Mann sie zu beruhigen, versuchte sie mit tröstenden Worten wieder zur Besinnung zu bringen, doch es ging nicht mehr. Der Brief von der Klinik kam heute morgen. Pünktlich um 9.00 Uhr hatte der Postbote bei den O'Brials geklingelt, ihnen einen Brief überreicht und dazu noch irgendein Paket für Jack. Als Charlette O'Brial diesen Brief in den Händen hielt, hatte sie auf eine gute Nachricht gehofft gehabt. Auf eine, die ihr Familienleben wieder wie damals leben ließ. In diesem Moment hatte sich Charlette nicht mehr gewünscht, als wieder ein normales Leben endlich leben zu können. Nicht immer nur diese dummen Kommentare der Bekannten, Nachbarn oder Verwandten sich immer und immer wieder anhören zu müssen, was denn für eine schlecht erzogene Tochter sie denn hätte. Doch sie war sich sicher, dass sie auf keinen Fall eine Mutter sei, die ihr Kind schlecht erzogen hatte. Sie war fest davon überzeugt immer alles richtig gemacht zu haben. Sie hatte immer brav die Regeln des Erziehungsberaters befolgt. Es war nicht ihre Schuld, davon war sie nämlich felsenfest überzeugt. Nein, nicht ihre Schuld war es, sondern die Schuld dieses Mädchen, das sich ihre Tochter nannte. Es lag alles an ihr, irgendetwas dummes musste ihr in den Kopf gekommen sein, dass sie nun zu so einer Verrückten geworden sei. Charlette wollte doch nur eine normale Tochter haben. Als sie voller Eifer und mit noch einem letzten funken Hoffnung in sich diesen Brief las, dass sie noch hoffte alles doch noch, durch diesen Brief, zum Guten sich gewendet hat, dass das alles nur ein Alptraum war und man sie nun wieder daran erinnern möchte auf zu wachen, würde sie enttäuscht. Denn nichts dem gleichen stand in diesem mit zwei Sätzen verfassten Brief. Es war das totale Gegenteil, was sie zu lesen bekam. Während sie den Brief las, versteinerte sich ihr Gesicht immer und immer mehr. Bei jedem einzelnen Wort, das sie zu lesen begann, bei jedem einzelnen Buchstaben, dass sie versuchte durch ihren Schleier aus Tränen zu entziffern, verblasste ihr Gesicht. Als sie endlich, nach gefühlten Stunden, diesen mit nur zwei Sätzen-Brief gelesen hatte, verspürte sie eine solch starke innere Wut in sich aufsteigen. Ihre Hände fingen zu zittern an, den Brief konnte sie nicht länger in ihren zu stark zitternden Händen festhalten, weswegen er ihr langsam, wie eine sanfte Schneeflocke auf den harten Boden fiel. Leise schmiegte sich das Blatt auf den Boden und blieb da liegen. Doch Charlette wollte am liebsten alles in ihrer nahen Umgebung einfach nur gegen die Wand werfen. Ihre Wut, ihre Verzweiflung und ihre erloschene Hoffnung übermannten sie, nahmen ihr die Kontrolle der Vernunft ab und ließen sie alle greifbaren Sachen in ihrer nähe zu Boden werfen. Auf einmal kam ihr Mann in die Küche, hatte von oben ein geklimper gehört und ist die Treppen runter gerannt und als er seine Frau sah, wie sie in diesem Haufen, in der Sonne zu glitzern scheinenden Scherben saß, wusste er nicht, was in sie geschehen war. Voll Sorge ging er vorsichtig über die Scherben, die nun überall auf den Küchenboden zerstreut lagen, zu seiner Frau, die zusammengekauert am weinen war. Als er sie einfach in seine Arme nahm, wurde ihre erbitterten Schluchzer nur noch lauter und ihr ganzer Körper bebte vor lauter weinen und egal wie sehr er versucht hatte, sie zu beruhigen, er schaffte es nicht und hoffte, dass sie irgendwann von selbst aufhören würde zu weinen.

Jack hatte schnell seinem Vater gefolgt gehabt, nachdem auch er das laute Glasscheppern von unten gehört hatte. Anscheinend hatte sein Vater ihn vor lauter Schock nicht wahrgenommen oder gehört, aber das störte Jack auch nicht. Doch als er sah, wie die Küche aussah, wie sein Vater seine Mutter, die zusammengebrochen unter Tränen und nie zu scheinenden erschütternden Schluchzern erfüllt war, wusste er nicht weiter mit sich. Er wusste nicht, was er nun tun sollte. Wollte nicht, dass seine Eltern wussten, dass er hier bei ihnen stand. Also beschloss er sich einfach ins Wohnzimmer neben an zu setzten und einfach nur abzuwarten. Gerade als er sich von diesem sich zu bietenden, erschütternden Schaubild seiner kläglichen Mutter abwenden wollte, entdeckte er aus dem Augenwinkel etwas großes weißes auf dem Boden. Er hielt in seiner Bewegung inne und sah noch einmal genauer hin und tatsächlich es war ein zerknittertes Blatt. Er war schon immer zu neugierig gewesen und viele hatten ihm schon gesagt gehabt, dass diese Neugier ihm irgendwann zum Verhängnis werden würde, doch es war ihm sonderlich recht, was die anderen ihm sagten. Leise schlich er die drei Schritte in die Küche hinein, griff schnell nach dem Blatt und ging wieder leise hinaus. Seine Hausschuhe ließ er vor der Küchentür stehen und ging sofort ins Wohnzimmer, mit dem zerknitterten und schon risse drin habendem Blatt. Im Wohnzimmer schloss er leise die Tür hinter sich und setzte sich möglichst leise, so als hätte er Angst, die schlafenden Geister im Raume zu wecken, hin. Dann glättete er das Blatt nochmals mit seinen Händen und fing mit klopfendem Herzen an den Brief zu lesen. Er erkannte das Siegel der Klinik in der rechten oberen Ecke des Briefes. Er stockte, war sich nicht mehr sicher, ob er wirklich den Brief lesen will. Er fürchtete sich vor dem Geschriebenen. Doch seine Neugier packte ihn wieder, er wollte wissen, was seine Mutter so sehr in Wut versetzen konnte, dass alles so geendet hatte. Dann, als er sich den Brief, mit den zwei Sätzen durchgelesen hatte, fühlte er einen schweren Kloß im Hals, den er nicht herunterschlucken zu schaffen schien. Seine Hände schwitzten, doch ihm war eiskalt. So als wurde ihm plötzlich, als hätte man ihm einen Wasser voll Eiswürfeln übergeschüttet. Sofort warf er den Brief auf den Tisch vor ihm und er vergrub seine Hände in seine Haare. Er fühlte nichts mehr. Und wenn er doch etwas in diesem Moment zu fühlen vermochte, so waren es zu viele Gefühle auf einmal die ihn zu überrempeln schienen. Dieser Brief, mit diesen nur zwei Sätzen, war schlimmer, als jeder Schmerz, den man hätte als geliebter Mensch spüren können. Diese zwei Sätze, waren schmerzhafter als wie jene unendlich tiefen Nadelstiche in einem selber. Denn diese zwei Sätze, zerbrachen einem den letzten Schimmer Hoffnung auf ein wieder gut werden, wie eine eiserne Faust in den Spiegel schlug und alles zersplittern ließ, so ließ dieser Brief einen mit sich fühlen. Man fühlte sich in tausend Einzelteile zersprungen und für immer kaputt.

Unreal     *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt