14. Kapitel - Wie ich ein Teil in mir innerlich sterben fühle.

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Die Frau schob mich immer weiter, weiter und weiter. Bog an Ecken ab und blieb ab und zu mal stehen, wenn sie einer ihrer Kollegen antraf. Dann fing sie an mit denen ganz normal zu reden, ab und zu fingen sie auch mal an wie hässliche Hexen zu gackern. Danach als sie fertig mit ihrem Gespräch über was weiß ich war, kamen wir in einem höheren Stockwerk an und wir bogen wieder um eine Ecke, doch dieses mal begegneten wir keinem anderen Angestellten. Nein. Diesmal begegneten wir einem Patienten. Dieser, wie er dort mit leerem Blick uns gegenüber stand, in seinem weißen, knielangen Hemd so verlassen dort stand, mit nichts anderem bekleidet. Sein Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. Und irgendwie spiegelte die Art seiner Haare, wie sie so blass, kraftlos und durcheinander von ihm abstanden sein Inneres wieder. Er tat mir leid. Bestimmt war er kaum älter als 30 Jahre, doch der Aufenthalt in dieser Klinik hat ihn wie einen vierzigjährigen aussehen lassen. Auf einmal kam es wieder zu einem schmerzhaften stoppen und die Frau, die mich schob fing an genervt zu seufzen. Dann schnalzte sie ein paar mal mit der Zunge und ließ mich hier alleine mit diesem Mann mir gegenüber stehen. Verwirrt über ihr Handeln, drehte ich mit zusammengezogenen Augenbrauen mein Kopf vorsichtig zur Seite und versuchte in dem schwach hinter mir beleuchteten Gang etwas zu erkennen. Doch da war niemand. Immer noch verwundert über diese Tat, wollte ich gerade wieder meinen Blick nach vorne drehen, als ich eine kalte und eklig raue Hand an meinem Kinn spüren konnte. Mein Herz fing von null auf hundert an zu schlagen, es schien als wolle es aus meiner Brust hinausspringen um ja weglaufen zu können. Meine Hände, meine Beine, nein ja mein ganzer Körper schien sich sofort verkrampfen zu wollen, doch das Metall, das man mir umgebunden hatte, hinderte mich daran. Innerlich fluchend, dass ich nicht hätte besser aufpassen können und diesen Mann nicht einfach hätte ignorieren sollen, nutzten mir momentan gar nichts. Ich war hier fest gebunden, konnte nichts machen und dieser Mann vor mir war voll gepumpt mit Medikamenten und nicht mehr ganz bei Sinnen. Ich hoffte nur innerlich, dass er mir nichts antun würde, dass er mich einfach nur in Ruhe lassen würde. Aber es war nur eine leere Hoffnung.

So wie ich Gefallen daran hatte mir hier immer selber schmerzen zuzufügen, um mich zumindest etwas noch lebendig fühlen lassen zu können, hatte auch er wohl dabei seine ganz und gar eigene Strategie. Er ließ anderen Schmerz zubereiten, um sich mit ihren Qualen lebendiger wieder fühlen lassen zu können. Deshalb verstand ich jetzt auch, wieso mich diese Frau eben hier alleine gelassen hat. Sie wusste wie dieser Mann tickte, wusste seine Macken und sie übergab mich an ihm einfach weiter. Sie hatte ihren Spaß und nun war ich unter den Qualen, Schmerzen und der hoffnungslosen Rettung hier gefangen. Der Mann vollbrachte sein Werk an mir. Er hinterließ Narben auf mir, die mein ganzes Leben bleiben würden und die Wände in diesem Gang verschluckten mein schmerzhaftes Wimmern. Wie er über mir, mich mit einem Zahnstocher verunstaltete. Und ja, ihr habt richtig gehört, er benutzte einen Zahnstocher, um mir weh zu tun und es klappte hervorragend. Er konnte wieder erfreut lachen und ich konnte wieder ein Teil von mir innerlich sterben fühlen.


Timmothy


„Hey man, du siehst aus, als könntest du noch nen starken gebrauchen." Ich hingegen starrte weiterhin nur auf das leere Glas vor mir. Ich saß in einer Bar, an der Theke und ertränkte mich an meinem Selbsthass und meinen Schuldgefühlen. Den Mann neben mir schenkte ich nicht mal auch nur eine Sekunde Beachtung, doch leider hatte er recht. Ich brauchte gerade dringend noch nen Glas puren Wodka. Doch bevor ich auch nur dazu kam mir einen neuen zu bestellen, stellte man mir ein Glas vor die Nase hin. Mein Kopf schoss sofort in die Höhe und ich konnte einen grinsenden volltätowierten, korpulenten Mann neben mir sitzen sehen. Er erinnerte mich stark an diese Motorrad Männer. Fast schon sah er so aus, als würde er zu den Hells Angels gehören. So wie er in seiner schwarzen Lederweste, einem kleinen Bierbauch und seinem etwas längerem Bart da saß. „Danke", sprach ich nur leise aus und trank mein Getränk auf ex aus. Ich konnte spüren wie die brennende Flüssigkeit mir langsam den Rachen runter floss, konnte nach kaum langer Zeit spüren wie meine Sinne langsam benebelt wurden. Doch trotz dessen trank ich noch ein Glas aus und danach bestellte ich mir ein Bier, an dem ich einfach nur ab und zu dran nippte. Schließlich musste ich ja noch später irgendwie wieder nach Hause kommen. Schon etwas angetrunken sah ich wieder zu dem Mann neben mir, der auch ein Bier in seiner einen Hand hielt und mich irgendwann auch ansah. Für eine Weile blieben wir nur so, bis er einen skeptischen Blick aufsetzte und sein Bier abstellte. Er stützte sich mit seinen Ellenbogen auf der Theke ab und stellte sein Kinn auf seine Hände ab. „Ach Junge, ist es mal wieder die Liebe?" Fing er an mich zu fragen. Ich aber zog verständnislos meine Stirn in Falten und sah ihn von der Seite her kopfschüttelnd an. Nein, es war kein Liebesproblem, wie das, was er sich vorstellte es war eine andere Art von Liebe. Es war keine 0 8 15 Liebesnummer, es war die Art von Liebe, die ich benutzte. Aber wie sollte er das je verstehen können, vielleicht würde er es sogar verstehen können, doch daran glaubte ich nicht. Denn der Begriff Liebe ist für jeden anders zu verstehen. Liebe kommt ganz allein auf die Perspektive des jeweiligen an. Man kann auch nie eine Spinne mit einer Fliege vergleichen. Denn was der Spinne als normal erscheint, erscheint der Fliege als Bedrohung und so ist es auch mit der Liebe. Es ist vielleicht nichts leichtes, aber etwas Lohnen wertes, dieses Gefühl kennen lernen zu dürfen. In egal welcher Hinsicht. Meine Art von Liebe ist wie die Liebe zweier Kindheitsfreunde. Jul und ich lieben uns, aber nicht von einer Art Beziehung. Nein, wir lieben uns freundschaftlich. Und zwar sehr.

Außerdem, wieso schien es ihm so sehr zu interessieren, was mein Problem gerade war. Sollte ihm das nicht eigentlich am Arsch vorbei gehen. Ich wollte ihm nicht von meinen Problemen erzählen. Ich wollte ihm nicht davon erzählen, dass meine beste Freundin in einer krankhaften Klinik gefangen war. Wollte ihm nicht sagen, dass sie angeblich jemanden umgebracht habe. Wollte ihm nicht erzählen wie schwach ich mich fühlte, weil ich nichts für sie tun konnte, obwohl ich ganz genau wusste, dass sie es dort so sehr hasste zu sein. Sie hatte mir damals, bei ihrem ersten Klinikaufenthalt erzählt was die Leute dort mit Menschen taten und es waren grausame Sachen. Juliette war nie so, wie sie jetzt war. Sie war eine Lebensfreudige und Glückliche Person gewesen, doch durch ein Traumata das sie erlebt hatte, fing sie an weniger Spaß im Leben zu empfinden und ihre Eltern steckten sie in eine scheiß Klinik. In eine Klinik, die sie zerstörte und ihr den Rest gab. Diese Klinik war die Ausgeburt der Hölle höchstpersönlich. Schon damals hatte ich sie angefleht, sie versucht umzustimmen mit mir deswegen zur Polizei zu gehen. Doch sie stritt ab, wollte nicht und ich glaube sie hatte Angst. Angst deswegen dann vielleicht nie mehr von denen in Ruhe gelassen werden zu können. Ich vergrub meine Hände in meinem Haar und fühlte Schuld. Schuld, dass ich nichts unternahm um ihr daraus helfen zu können. Ich war schwach, hilflos und ein Feigling, der sich in der nächst besten Bar, an einer Theke mit Alkohol versuchte zu verstecken. Irgendwie erschien mir gerade alles so Lächerlich, es war wie ein Alptraum, aus dem ich nicht mehr herauskommen konnte.

„Keine Liebe?" Ich nickte nur als Antwort und er blieb still. Ich glaube er hatte verstanden, dass mir reden nicht helfen würde, sondern ich mich damit nur noch mehr selber demütigen und verletzen würde. Erschöpft schloss ich meine Augen und nach einer Weile beschloss ich zu gehen. Langsam glitt ich vom Hocker runter, trank noch schnell mein Bier zu Ende und hob die Hand zum Abschied. Der Mann erwiderte meinen Abschied mit einem Kopfnicken und ich konnte beim Hinaustreten der Bar seinen Blick auf mir spüren.

,Auf nimmer Wiedersehen'. Dachte ich mir nur noch und trat aus der Bar hinaus, ging die leere Straße hinab und ließ mich von der Dunkelheit verschlucken. Nicht weit von mir konnte ich den Fluss leise rauschen hören oder ab und zu mal ein oder zwei Autos an mir vorbei fahren hören. Mein Kopf war wie leer gefegt, ich schämte mich, fühlte mich nutzlos und ich hasste dieses wirre durcheinander in mir.

Oh. Verzeihen Sie, Mister. Aber ihr ist kein Besuch mehr gestattet." Verwirrt zog ich die Brauen zusammen. „Was? Aber wieso denn das nicht?" Brach es aus mir heraus. Die alte, verrückte vor mir an der Info gackerte nur dümmlich und sah sich einmal links und rechts um, dann wendete sie sich wieder zu mir und beugte sich etwas zu mir. „Wissen Sie, Mister. Sie hat gerade eben gemordet. Deshalb. Sie ist zu gefährlich, verstehen sie. Und deswegen muss sie ihre gerechte Strafe bekommen. Und wenn ich Sie jetzt bitten dürfte. Sie müssen die Klinik jetzt verlassen, ich glaube kaum, dass ich wegen so einem attraktiven jungen Mann unser Sicherheitsdienst rufen muss." Dabei klimperte sie übertrieben mit ihren künstlichen Wimpern und ihre alte, klumpige Haut kam mir näher. Einerseits angewidert von ihr entfernte ich mich wie von selbst, andererseits war ich viel zu geschockt von ihren Worten und wollte einfach nur raus, raus aus diesem mir zu erdrückend scheinenden Gebäude. Sie war verrückt, diese Frau war es doch eindeutig. Sie alle dort waren doch Verrückt. Was haben sie nur alle mit meiner armen Juliette getan? Die Worte dieser Frau, was Juliette angeblich doch getan haben solle, zu wissen das ich ein Feigling war um ihr daraus helfen zu können, ließ mich mal wieder fühlen, wie ein Teil in mir innerlich zu Sterben begann.

Das Geschehen von eben lief nochmals in meinem inneren Auge vor mir ab und wieder fühlte ich dieses stechende etwas in meiner Brust, dieses etwas, dass mir die Lunge zuschnürte und mir eine Blockade zum Atmen machte. Sie lügen doch nur alle. Meine Juliette würde nie und nimmer einer anderen Person schaden zufügen wollen. Sie war das nicht. Es waren ganz allein diese - diese kranken Personen in diesem kranken Haus dort, die ihr das unter die Schuhe geschoben haben. Ja. So, genau so musste es gewesen sein. Sie war doch meine Jul, meine kleine, zerbrechliche Jul. Sie- Sie konnte es nicht gewesen sein... oder, oder hat sie es wirklich getan...? Man Jul, was ist nur geschehen...



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Heute gab es mal ein extra Kapitel, wo zum Teil es mal aus der Perspektive von unserem lieben Timmothy ^o^ gab. Soll ich sowas auch mal öfters machen?

Ich wünsche euch allen noch einen schönen Samstagabend ;D

Unreal     *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt