21. Kapitel: Ryan Tremblay

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Kälte.

Das war der erste Gedanke der ihr kam, als sie durch die dunklen Gassen in irgendeiner Kleinstadt im Osten Kanadas um kurz vor Mitternacht lief. Sie bog in ihrem weißen Sommerkleid, den weißen Chucks, die etwas abgenutzt aussahen, mit ihrem übergroßer Sommerhut auf ihrem Kopf und mit ihrer Sonnenbrille in eine schmaleren Gasse nach rechts ab. Kanada war nie das Land mit großer Wärme gewesen und sie versuchte sich vorzustellen, wie die anderen Leute in dieser Nacht leicht zu frösteln beginnen mussten. Doch als der kalte Wind ihre tote Haut zu berühren versuchte, schien nicht sie sich zusammenzucken zu müssen, sondern der Wind schien sie umgehen zu wollen. Doch in dieser Gasse war kein einziger Windhauch zu spüren, weswegen ihr Kleid nun wie ein Sack Mehl an ihr herunter hing.

Sie war in ihren weißen Klamotten und der viel zu bleichen Haut ein Kontrast in dieser dunkeln Himmelsnacht gewesen, doch es scherrte sie nicht. Niemand konnte sie sehen, sie war wie der Wind. Unsichtbar, doch jeder wusste, dass sie da war, denn man konnte ihre Anwesenheit spüren. Die Angst war zum greifen nahe.

Deswegen zogen die Bewohner der Häuser, an denen sie gerade schnell vorbeiging, ängstlich ihre Vorhänge zu und selbst die kleinsten Lebewesen der dreckigen Gasse versteckten sich hinter den Resten von verschimmeltem Essen.

Die schwachen Laternen am Rande flackerten leicht auf und der Himmel schien in schwarz getränkt worden zu sein. 

Es war perfekt.

Wohl fühlte sie sich und genüsslich atmete sie die kühle Sommernachtsluft tief in ihre Lungen ein.

Wundervoll.

Ihre Beine schienen sich wie von selbst zu bewegen, einfach nur ein Fuß vor dem anderen hatte sie zu setzen. Es war so einfach und es ließ sie so gut fühlen.

Doch nur eine einzige Sache ließ sie verraten, dass nicht alles gut war.

Das schmale Blutrinnsal, dass ihre Wangen runterlief.

Wie ein kleiner Bach, der Ecken schlug und vergeblich einen Weg in den großen Fluss sich schlängeln wollte, so wollte dieses Rinnsal von ihren toten Wangen auf den Boden fallen. Weg von ihrer Eiseskälte. Sie hatte Tränen verloren. Tränen aus Blut. Tränen der Wut. Wut über sich selbst, dass sie keinen einzigen Schritt weitergekommen war. Sie wusste immer noch nicht was genau sie war und was nun alles mit ihr zu passieren schien.

Deswegen hatte sie zum Ursprung dieses ganzen Rückfalls gegriffen gehabt und zwar zu der CD, die sie von ihren Freunden geliehen bekommen hatte.

Ihre Freunde.

Sie wollte diese zwei einfachen Worte auf ihrer Zunge zergehen lassen, doch sie schienen in ihrem Mund wie zwei Schwerverbrecher gefangen zu bleiben. Wie Glasscherben, die ihren Mund zum verbluten bringen konnten.

Die kalte CD hielt sie in ihrer Hand und sie war froh, nicht mehr bei ihrem ehemaligen zu Hause zu sein. Der Anblick ihrer Eltern hätte sie nur zu weiteren Morden angetrieben und Jack. Oh Jack, oh mein Jack, ich würde dir nur die Angst geben können. Eine weitere Blutspur fiel ihren kalten Wangen hinab und sie musste sich beherrschen nicht ihre Kontrolle zu verlieren, um die CD in ihrer Hand noch ganz zu lassen.

Sie hatte einen Entschluss gefasst, sie wollte die CD verstehen und dafür brauchte sie jemanden. Jemanden, der sie auch sehen konnte. Und genau das war der schwierige Teil an der ganzen Sache. Es gab abertausende Computerfreaks in diesem Land, doch bisher hatten sie sie alle vorher nicht sehen können. Sie ärgerte sich. Wie sollte sie etwas über ihren Zustand herausfinden können, wenn sie niemand sehen und alle nur spüren konnten? Wie konnte sie all jene Rächen, wenn sie nicht wusste was sie war?

Unreal     *Pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt