Davon wusste Lina natürlich nichts. Sie ging immer noch davon aus, dass die veränderte Grundstimmung von Marisa damit zu tun hatte, dass sie in diese post-schulische Depression verfallen war, in deren Sumpf die Meisten an ihrem letzten Schultag eingetaucht waren. Selbstverständlich hatte auch sie gemerkt, dass sich die beschwingte Art und die fröhliche Aura von Marisa ein wenig verdunkelt hatte, aber sie dachte sich nichts Böses dabei. Die Beiden wurden erwachsen, da veränderte man sich schonmal. Es war eben das, wovor sie Angst hatte, womit sie gerechnet hatte und warum sie diese Reise überhaupt antrat. Dass sich Marisa so langsam veränderte, bestätigte sie bloß noch in ihrem Vorhaben und dass das alles so richtig war, was die hier überhaupt tat.
"Was hältst du davon, wenn wir endlich an den Strand gehen?"
"Ohja, dass kann ich jetzt echt gebrauchen! Nach diesem Einkaufsmarathon und der Hinfahrt."
"Hey, du musstest doch noch nicht mal fahren."
"Na und? Beifahrer bei dir zu sein ist mental echt auslaugend." grinste Marisa und bereitete sich darauf vor von Lina geboxt zu werden.
|
Ein wenig später lagen die Beiden am Strand und genossen die Sonne, deren gefährliche UV-Strahlen mit Sonnencreme versucht wurden, von der Haut fernzuhalten. Beide hatten Ihre Lieblingssonnenbrille auf der Nase und lauschten mit demselben Paar Kopfhörer einer Gute-Laune-Playlist.
"Weißt du, was wir diesen Sommer machen sollten?" Lina hatte sich aufgesetzt und so ihren Kopfhörer verloren. Sie legte ihre Beine in den Schneidersitz und schob die Sonnenbrille in ihre rostbraunen Haare.
"Mhm?" Marisa blieb liegen und schob lediglich ihre Brille ein wenig nach unten, sodass sie Lina über den Rand ihrer Sonnenbrille hin ansehen konnte. Dadurch, dass die letzten Stunden nur von positiven Emotionen geprägt war, fühlte sich Marisa so wohl, dass sie auch beruhigt hätte schlafen können.
"Wir sollten uns irgendwen klären."
"Bitte?"
"Schau mal, deine Beziehung zu Lukas ist schon ewig her und ich hatte noch nie einen Freund. Dieser Urlaub schreit förmlich nach männlicher Begleitung!" Wie ein kleines Kind klatschte die Ältere in die Hände und hielt bereits nach potentiellen Opfern Ausschau.
Jetzt setzte sich Marisa dann doch auf. "Erstens, mit Lukas ist mal gerade ein halbes Jahr Schluss, zweitens warum brauchen wir ausgerechnet jetzt einen Jungen und drittens, seit wann traust du dich denn männliche Wesen anzusprechen?"
"Pfft, es gibt für alles ein erstes Mal und außerdem sind wir jung. Wir sollten keine Chancen auslassen, die wir später bereuen könnten!" Auch wenn schrecklich viel Pathos in dieser Aussage steckte, beruhigte Marisa es irgendwie, dass Lina von einer Zukunft sprach.
Obwohl sie gerade das komplette Gegenteil behauptet hatte, war Lina so gar nicht zu Mute fremde Jungs anzusprechen. Auch wenn sie sich immer stark und besonnen gab, war sie von fremden Personen relativ schnell eingeschüchtert. Dementsprechend froh war sie, dass sie gar keinen anzusprechen brauchte, da bereits ein Junge - der zuvor ein wenig weiter den Strand runter Volleyball gespielt hatte - auf sie zukam. Scheinbar um den Ball aufzuheben, der in ihrer Nähe gelandet war, doch als er sie erblickte, schlich sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. Er war nicht der schönste Junge auf dem Planeten und irgendwie sah er auch relativ schmierig aus, aber das sollte ihr doch egal sein. Sie wollte nur ein wenig Spaß.
"Hallo Schönheit."
"Na?"
"Oh Herr hab Erbarmen!" Marisa ließ sich mit einem lauten, unzufriedenen Stöhnen auf den Rücken fallen.
Dank des Jungen vom Nachmittag befanden sich Lina und Marisa abends in der Strandbar. Beide hatten sich ein wenig herausgeputzt und zurecht gemacht, obwohl die Jüngere definitiv weniger Lust auf den Abend hatte, als ihre beste Freundin. Aber solange diese Spaß hatte, würde sie die Dunkelheit, die Linas Herz und ihre Seele gefangen hielt, vielleicht bekämpfen können.
Es stellte sich heraus, dass der Junge wirklich ein schmieriger Typ war, mit dem man freiwillig bestimmt nichts zu tun haben wollte. Zumindest Lina nicht, weshalb sich ihre Wege auch schnell nach Betreten, der gut gefüllten Strandbar, trennten. So eine Party, die überwiegend von jungen Partyvolk besucht wurde, war eigentlich die perfekte Gelegenheit neue Bekanntschaften zu machen.
Oder auf alte zu Treffen."Miriam? Sarah?" rief Lina begeistert, als sie die beiden Mädchen erblickte, mit denen Marisa und sie zur Schule gegangen waren.
"Das ist ja eine Überraschung!" Die blonde Sarah quiekte erfreut auf und fiel den Beiden Neuankömmlingen regelrecht in die Arme.
Damit hatte nun keiner der vier gerechnet, dass sie tatsächlich andere Leute aus ihrer ehemaligen Stufe hier treffen würden!
"Ist das cool! Seit wann seid ihr denn da?" freute sich nun auch Miriam, die die Beiden mit verklärten Augen anstarrte. Auch dass sie alle zwei Sekunden an einem Glas nippte, dessen Inhalt mit viel Obst und unnötiger, bunter Deko aufgepeppt wurde, ließ darauf schließen, dass sie nicht mehr ganz nüchtern war.
Noch bevor Lina oder Marisa antworten konnten, wurden die beiden Anderen von ihnen weggezogen. Hysterisch kichernd kuschelten sich Sarah und Miriam an die Brust des Jungen, der jeweils einen Arm um die beiden Hälse geschlungen hatte. "Na Ladys? Wollt ihr mir nicht eure Bekanntschaften vorstellen?" Der braunhaarige Junge mit den Sommersprossen, der wohl in ihrem Alter sein musste, starrte sie freundlich an. Auch er schien schon einiges an Alkohol getrunken zu haben, so breit wie sein Grinsen war.
"Das sind Lina und Marisa. Wir haben zusammen Abi gemacht." Sarah fuchtelte mit ihren Händen herum, so als wolle sie ihre Wörter simultan in Gebärdensprache übersetzen.
"Und das ist Matthias!" ergänze Miriam und nahm somit Marisa die lästige Frage ab. "Wir haben ihn vor wenigen Tagen am Strand kennen gelernt, als er mit seinem Freund schwimmen war."
"Besten Freund, wohlgemerkt. Wollte ich nur anmerken, nicht dass ich was gegen Schwule hab, oder so ne, aber die Leute halten uns viel zu oft für ein Paar!" lallte Matthias. "Apropos, wo ist der Junge eigentlich schon wieder?"
Lina konnte bereits wenige Minuten später erkennen, warum die Beiden oft für ein Pärchen gehalten wurden. Sobald ein weiter Junge, diesmal blond, auftauchte, klebte Matthias schon an ihm. Hätten es alle vier Mädchen nicht besser gewusst, könnte man meinen die Beiden hätten sich Monate nicht mehr gesehen.
Als die Kuschelorgie beendet war, drehte sich der andere Junge zu ihnen um."Hey, ich bin Adam."
DU LIEST GERADE
Lina geht #Goldenbookawards2018
Short StoryLina will nicht mehr, sie hat einfach keine Lust mehr, also beschließt sie zu gehen. Ob Adam das ändern kann? >> Es geht nicht darum, dass Leben zu zelebrieren und die schönen Seiten kennen zu lernen, es geht darum sich zu verabschieden. <...