Das mit dem Kuss

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Das Meer war viel zu kalt um halbnackt darin zu baden, aber wahrscheinlich war es genau diese beißende Kälte, die Lina brauchte um wieder zur Besinnung zu kommen.

Es war, als könnte sie sich Tage in ihrem Kopf verstecken, sie funktionierte dann auf Autopilot. Aufstehen, fertig machen, irgendwo hingehen, sogar Auto fahren. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie am Steuer einfach mit einem Blinzeln aufwachte und gar nicht wusste, wohin sie eigentlich fuhr oder wie sie da gerade hingekommen war.

Lina hasste ihre Gedanken. Und Schmerz war etwas wundervolles um sich vom Denken abzuhalten.

"Hey, scheiße man, geh doch nicht so tief rein. Es ist scheiße dunkel. Eine Welle und du bist weg."

"Und dann?"

Lina schlug glucksend gegen das Wasser, sodass es hoch spritze und Adam an der Brust traf. Dieser erklärte sie innerlich gerade für verrückt.

"Wie und dann? Ertrinken, Tod, Verwesung?"

"Ich dachte als Wasserleiche verwest man nicht?"

"Was weiß ich, ich bin noch nicht ertrunken."

Lina schlug immer weiter auf das Wasser ein, oder zog mit den Fingern schnell durch das Wasser, sodass es in alle Richtungen spritzte. Dafür blieb sie allerdings im knietiefen Wasser, wo sie durch die hellen Laternen der Strandhäuser wenigstens so gerade noch die Hand vor Augen erkennen konnten.

"Noch nicht?" fragte Lina nach. "Gibt es da etwas, dass ich wissen müsste?" schob sie spielerisch nach und kam ein paar Schritte näher.

"Ähm eigentlich nicht."

"Bist du dir da sicher?"

Und prompt stieß sie sich ab und flog ihm entgegen, sodass Adam ein paar Schritte zurück stolperte und schlussendlich ins Wasser fiel. Zum Glück war das Wasser nicht wirklich tief - so blieb er erst einmal verdutzt sitzen, während alles in ihm in eine Art Schrockfrost versetzt wurde.

"Ich bin immer noch nicht ertrunken." Seine Hand vollführte eine Geste, die vielleicht an Winken oder Finger-zeigen erinnerte, aber Adam selber gar nicht richtig einordnen konnte. Er wusste nicht so wirklich, auf was dieser Abend hinaus lief, hätte er es nicht besser gewusst, hätte er gewettet, dass Lina betrunken gewesen wäre. Sie kicherte und gluckste, wobei nur die Hälfte zur Situation passte und sich echt anhörte.

Vielleicht hatte sie zu viel vom Mondlicht abbekommen. Das sollte es doch geben, dass Menschen sich am Licht des Mondes betrinken konnten - dann wurden sie so anderes. Oder war Mondtrunkenheit nur ein Aberglaube aus dem Mittelalter?

Zu Lina würde es passen, sie drehte sich im Wasser im Kreis, mit ausgestreckten Armen und einen glucksen in der Kehle, dass so kindlich war, dass Adam zweimal hinschauen musste um sicher zu gehen, dass Lina wirklich erwachsen war. Warum war sie in jener Nacht so anders?

Lina war nach der Konfrontation mit Marisa so aufgewühlt, dass irgendetwas in ihr Klick gemacht hatte. Für sie war es jetzt gelaufen, jetzt begann ihre Abschiedstournee und außerdem war sie im dunklen immer anders als im hellen. Wer war das nicht? Nachts war es immer kälter als draußen, warum denn nicht auch der Mensch?

"Das ergibt keinen Sinn." lachte Lina.

"Was ergibt  keinen Sinn?" fragte Adam.

"Na alles! Ich kann quasi alles heute Nacht machen, jede Aktion bedeutet einen losen Faden in meiner Hand, aber zu einem Teppich werden sie nicht zwangsläufig gewebt."

"Bitte?"

"Ich zeig's dir!"

Lina küsste Adam.
Und er küsste zurück.

Lina geht #Goldenbookawards2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt