Das mit der Wahrheit

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Marisa war nicht blöd. Das hatte sie sich immer wieder gesagt, während sie aufgewachsen war. Warum also konnte sie Lina nicht einfach drauf ansprechen, was sie in ihrem Tagebuch gefunden hatte? Und warum erzählte diese ihr nicht die ganze Wahrheit? 

"Mara? Hast du etwa immer noch einen Kater?" 

Das die beiden zusammen feiern waren, war jetzt schon drei Tage her, aber Marisa hing immer noch auf der Couch des Bungalows, in ihre Lieblingsdecke eingekuschelt und schaue wie drei Tage Regenwetter. Ihr war das Tagebuch einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen, seit sie sich wieder dran erinnert hatte und das Lina nun so viel Spaß mit Adam hatte, zeigte ihr einfach nur wie schrecklich es ihr die letzten Wochen gegangen war. Die Hoffnung, das ein einzelner Mensch ihr nun half, war verschwindend gering. 

"Was ist denn los? Brauchst du etwas?" Lina ließ sich neben sie fallen. Ihre Miene verriet keinen ihrer unzähligen Gedanken, die ihr durch den Kopf waberten und die Sinne vernebelten. All ihre unbegründeten Sorgen, dass Marisa sie gar nicht mochte, dass alles bloß ein Spiel war, das von irgendwem viel größeren geführt wurde und sie das auserkorene Opfer war verschleierten die Realität. Es war so, als wenn ein Stein in einen See fällt und Kreise um sich zieht, das Bild was bis dato noch auf der Oberfläche gespiegelt wurde, verzerrt sich auch. 

"Warum sind wir hier, Lina?" Marisas blaue Augen waren bis zum Anschlag gefüllt mit Emotionen, die keiner der beiden so richtig deuten konnte. 

"Wir machen Urlaub, bevor der ernst unseres Lebens beginnt?" tastete Lina sich vorsichtig voran. 

"Für dich oder für mich?" 

"Wie bitte?" Lina saß bereits nur noch auf dem Rand der Couch, so als wenn sie jeden Moment flüchten wollte. Was sollte das? 

"Ich habe dein Tagebuch gefunden, Lina. Lüg mich jetzt nicht an. Was hast du vor, was soll das alles?" 

Es war, als wenn ab diesem Moment an ein Sturm losbrach, der Marisa zu Boden riss und Linas komplette Welt einriss. Die ruhige Atmosphäre, die sie sich durch Adam in den letzten Tagen aufgebaut hatte, riss ein und all ihre Emotionen, gut versteckten Gefühle und alles andere, überfluteten sie. Sie war aufgesprungen und an das andere Ende des Raumes geflüchtet. Was sollte sie jetzt tun? Es war als hätte man eine Bratpfanne genommen und sie mit 250km/h gegen ihren Schädel gedonnert. 

"Was hast du vor, Lina?" wiederholte Marisa die bereits wässrige Augen hatte. 

Lina fühlte sie wie ein in die Ecke gedrängtes Tier. Am liebsten würde sie sich  ihrer besten Freundin erklären, ihr alles unterbreiten und gleichzeitig wollte sie nie wieder mit ihr reden. Sie hatte ihr Tagebuch gelesen, sie fühlte sich hintergangen, nackt und geöffnet und viel zu transparent. 

"Ich will sterben, Mara." flüsterte sie mit zitternder Stimme. "Ich will sterben." wiederholte sie etwas lauter bevor sie das Haus verließ. 


Lina geht #Goldenbookawards2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt